

Gutachtliche Entscheidungen
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Befinden sich Patienten mit einem fortgeschrittenen Hüft-
gelenkverschleiß in einem Alter, in dem man bei normaler
Lebenserwartung nach Einbringen einer Hüftendoprothese
mindestens mit einer Wechseloperation rechnen muss, so
sind sorgfältig alle nichtendoprothetischen alternativen Be-
handlungsmethoden zu erwägen.
Als alternative operative Behandlung ist die Möglichkeit ei-
ner Umstellungsoperation zu prüfen. Dabei untersucht
man, ob nicht voraussichtlich eine Verbesserung der Situa-
tion sowohl durch Änderung von Hebelarmverhältnissen
mit anderer Lasteinleitung in das Hüftgelenk als auch durch
das Hereindrehen von Oberschenkelkopfanteilen mit noch
vermutlich gut erhaltenen Knorpelbereichen zu erzielen ist.
Entsprechende Eingriffe sind sorgfältig zu planen. Zu den
Methoden, das Ergebnis einer möglichen Umstellung prä-
operativ zu überprüfen, gehören Funktionsaufnahmen, mit
denen eine komplexe Umstellung, das heißt in den drei Ebe-
nen, simuliert wird.
In dem nachstehend geschilderten Fall waren neben der
nicht ausreichend belegten Indikation und Planung des Ein-
griffs intra- und postoperative Mängel zu beanstanden.
Die 51-jährige Patientin befand sich vom 31. März bis zum
28. April in der stationären Behandlung des beschuldigten
Orthopäden, der als Belegarzt im Krankenhaus tätig war.
Am 31. März wurde die Patientin über den vorgesehenen
Eingriff unterrichtet, wobei die Technik mit der Fixation
mittels Winkelplatte in einer Zeichnung skizziert wurde.
Angegeben ist, dass mit der Umstellung eine Varisierung
(Senkung des Winkels zwischen Oberschenkelhals und
-schaft) und eine Medialisierung (Verschiebung des unteren
Fragmentes in der Durchtrennungslinie nach innen) vorge-
sehen sei.
Am 1. April wurde präoperativ eine Aufnahme des rechten
Hüftgelenkes in langer Form angefertigt. Zu erkennen ist,
dass die Spitze des großen Rollhügels unter dem Drehmit-
telpunkt des Oberschenkelkopfes liegt und der projizierte
Winkel zwischen Oberschenkelhals und -schaft über die
Norm vergrößert ist. Der Oberschenkelkopf ist vollständig
überdacht. Der Hüftgelenkspalt ist leicht in seiner Höhe
vermindert. Die angrenzenden Knochenbezirke zeigen Ver-
dichtungen. Der Oberschenkelkopf lässt an seinem äußeren
Rand reaktive Anbauten erkennen und somit das Bild einer
Steilhüfte mit umformenden Veränderungen (Coxa valga –
Coxarthrose).
Röntgenaufnahmen zur exakten Bestimmung der reellen
Winkelverhältnisse und eine Funktionsaufnahme liegen
nicht vor.
Die Operation wurde am 1. April vorgenommen. Der Ope-
rationsbericht vermerkt als Diagnose „Coxarthrose rechts
bei Coxa valga“. Als Operation gibt er an:„Dreh-osteotomie
intertrochanter rechts mit Condylenplatte 50 mm Länge, 10°
Schränkung, 90° Plattenwinkel“.
Der Operateur beschreibt, dass die Antetorsion durch einen
auf den Schenkelhals aufgelegten Kirschnerdraht bestimmt
wurde und eine Markierung zur Drehung auf der Vorder-
seite des Knochens erfolgte („Kennzeichnung der Rotations-
ebene auf der Ventralseite des cranialen Femurendes“).
Ein Draht habe die quere Knochendurchtrennungsrichtung
markiert, ein weiterer die Richtung für das Plattensitzins-
trument vorgegeben. Nach Eintreiben des Plattensitzinstru-
mentes bis zu einer Tiefe von 50 mm in den Schenkelhals
erfolgten die Knochendurchtrennung dicht oberhalb des
kleinen Rollhügels („quere Osteotomie dicht oberhalb des
Trochanter minor“) und eine Keilentnahme von 10° innen-
seitig („varisierende Keilentnahme von 10° medial“).
Nach Austreiben des Plattensitzinstrumentes wurde eine
90° Hüftwinkelplatte eingebracht. „Nochmalige Kontrolle
mit Hilfe des Bildwandlers. Einstauchen der Osteotomieflä-
chen. Diese zeigen einen guten Sitz aufeinander. Es besteht
eine Medialisierung von ca. 8 mm bei einem eingehaltenen
Varisierungseffekt von 10°. Fixierung der selbstspannen-
den Platte durch 4 Corticalisschrauben 30 mm, 32 mm und
38 mm. Beide Osteotomieflächen kommen unter Preß-
druck“.
Von der Operation liegen zwei Videoprintaufnahmen vor,
von denen lediglich eine den eigentlichen Operationsbe-
reich, den Bereich der Knochendurchtrennung, zeigt. Zu
erkennen ist eineWinkelplatte, die sich mit der Klingenspit-
ze demAdam’schen Bogen des Schenkelhalses genähert hat.
Die Schnittfläche des Oberschenkelknochens verläuft von
außen oben nach innen unten abfallend. Das untere Frag-
ment ist nicht nach innen eingerückt. Der unter der Klinge
liegende Knochenbereich des oberen Fragmentes verjüngt
sich von innen nach außen und ist im Bereich der so ge-
nannten Klingenkröpfung (Umbiegungsstelle der Klinge)
sehr schmal; hier ist direkt in der Biegung der Kröpfung
Knochenmaterial zu erkennen.
Eine Röntgenkontrolle dieses Befundes fand bis zum
6. April nicht statt. An diesem Tage klagte die Patientin über
vermehrte Beschwerden. Darauf wurden noch am selben
Tage Röntgenaufnahmen veranlasst. Sie zeigen ein vollstän-
diges Ausbrechen der Klinge aus dem oberen Fragment,
das in ausgeprägte O-Stellung (Varusposition) gekippt ist.
Außerdem ist eine von der Schnittfläche her in den großen
Rollhügel reichende, sich nach unten erweiternde Bruchli-
nie, zu erkennen. Die Aufnahme vom 9. April bestätigt die-
sen Befund.
Die Revisionsoperation fand am 10. April statt. Die Rönt-
genaufnahmen vom 14. und 26. April zeigen den Zustand
nach dieser Operation mit einer weit in den Oberschenkel-
hals bis in den Oberschenkelkopf vorgetriebenen Winkel-
platte, gut adaptierte Knochendurchtrennungsfläche und
Mängel bei Umstellungsosteomie
Fehlerhafte orthopädische Behandlung