der 50 Prozent der Spieler aus der eigenen
Ausbildung kommen. Eine Mannschaft, in
der auch Bremer Jungs dabei sind.
Aber fällt es nicht schwer, den Entwicklungs-
prozess des Teams nicht noch mehr zu be-
schleunigen und einige gestandene Spieler
mit dem gewissen Extra holen zu können?
Das werde ich immer wieder gefragt, und
ich antworte immer mit einem Schmunzeln,
dass mich keiner gezwungen hat, hier zu
unterschreiben. Im Gegenteil. Schon beim
ersten Treffen mit den Verantwortlichen
des SV Werder wurde aus der großen Her-
ausforderung kein Geheimnis gemacht. Ich
wusste mit meiner Unterschrift genau, wo-
rauf ich mich einlasse. Meine Unterschrift
war ein klares Bekenntnis zum Kurs, den
Werder eingeschlagen hat. Mir ist klar, dass
in unserer Situation kein Ruf des Trainers
nach teuren Neuzugängen kommen darf.
Aber ich stehe auch dazu. Ich finde den Kurs,
über die Entwicklung von Eigengewächsen
verbunden mit der einen oder anderen cle-
veren Transferlösung – durchaus auch von
erfahrenen Spielern wie Ludovic Obraniak
– eine neue Mannschaft aufzubauen, höchst
interessant. Und ich glaube, es ist eine große
Motivation aller Teammitglieder hier, dass
sie Teil dieses Neubeginns sein können.
Könnte die angestrebte Kooperation mit Ju-
ventus Turin eine Möglichkeit sein, die eine
oder andere clevere Transferlösung zu errei-
chen?
Natürlich beobachte ich, mit welcher Kreati-
vität, welcher Dynamik, welchen Ideen Tho-
mas Eichin unterwegs ist, um das Beste für
Werder in dieser Situation herauszuholen.
Solch eine Kooperation könnte ein unkon-
ventioneller Weg sein. Aber es darf auch hier
keiner erwarten, dass die Früchte schon vor
der Blüte in den Bäumen hängen.
Ihre Arbeit mit einer Vielzahl von Eigenge-
wächsen gipfelte in der Winterpause in den
langfristigen Vertragsverlängerungen mit Juli-
an von Haacke und Martin Kobylanski.
Sie sind zwei sehr offensichtliche Ausrufe-
zeichen für unseren Kurs. Wir senden aber
schon seit Monaten wichtige Signale an jun-
ge Spieler. Und zwar durch gute Rahmenbe-
dingungen. Wir besetzen dauerhaft Plätze
im Profi-Trainingskader mit Spielern der
U23 und U19 und geben ihnen die Chance,
bei starken Trainingsleistungen auch mal in
der Bundesliga-Startelf zu stehen. Martin
Kobylanski hat im Nordderby gegen den HSV
sein Startelf-Debüt gegeben, Davie Selke
gegen Hannover 96. Melvyn Lorenzen kam
ebenfalls zu seinem ersten Einsatz. Julian
von Haacke, der eine starke Vorbereitung
gespielt hat, bekam zum Rückrunden-Auf-
takt den Vorzug vor manchem gestandenen
Bundesliga-Profi. Unsere Jungs haben begrif-
fen, welche Chancen sich in dieser Situation
auftun. Die jungen Spieler vergrößern den
Konkurrenzkampf, vergrößern den Druck.
Es sollte sich keiner zu sicher sein, in der
Startelf aufzulaufen. Und es sollte keiner zu
früh die Flinte ins Korn werfen.
Von welchem jungen Spieler erwarten Sie in
der Rückrunde einen Leistungsschub?
Ich will das gar nicht auf die jungen Spieler
beschränken. Wir sind darauf angewiesen,
dass die Mannschaft in ihrer Gesamtheit ei-
nen Schritt nach vorne macht. Vor allem in
den Zweikämpfen und im Pass-Spiel müssen
wir weiterkommen. Individuell lässt es sich
schwer vorhersagen, wer den Sprung durch
die Decke schafft. Das kann ein junger Spie-
ler sein, aber es kann auch einer sein, der
schon in der Hinrunde beständig in der ers-
ten Elf stand.
Kann es auch Torhüter Raphael Wolf sein?
Auch er kann mit einer starken Rückrunde
seinen Beitrag leisten. Er hat sich nach inten-
siven Wochen im Duell mit Sebastian Mie-
litz durchgesetzt. Von dieser Entscheidung
sind wir zu 100 Prozent überzeugt. ‚Rapha‘
hat in den vergangenen Monaten über das
Training unheimlich viel Druck aufgebaut.
Er hatte sich die Chance in den letzten vier
Spielen der Hinrunde verdient. Und er hat
uns am Ende den Sieg gegen Leverkusen
gerettet. Er hat die wenigen guten Chancen
des Gegners pariert und sehr viel Ruhe aus-
gestrahlt. Dann hat er dem Druck in der Vor-
bereitung standgehalten und gegen Braun-
schweig gleich wieder ‚zu Null‘ gespielt.
Sehen Sie das Team unter Berücksichtigung
der Integration der jungen Spieler gefestigt für
den Konkurrenzkampf in der unteren Tabellen-
hälfte?
Warum nicht? Wir haben mit diesem Team
in der Vorrunde schon einen kleinen Schritt
gemacht. Mit Stars wie Kevin De Bruyne und
Sokratis hat Werder im ersten Halbjahr 2013
zwölf Punkte geholt. Im zweiten waren es
nun 19. Klar sind wir noch in der ‚Verlosung‘
um die Abstiegsplätze dabei, aber das geht al-
len Teams ab Platz elf so. Es kann sich kein
Club auf einen gemütlichen Spätwinter und
Frühlingsbeginn einstellen.
In den kommenden Wochen wird es sportlich
für Werder sehr anspruchsvoll.
Wir sind mitten in einem Hammerpro-
gramm. Mit Gladbach und Dortmund kom-
men schwere Gegner ins Weser-Stadion.
Aber was bedeutet das? Braunschweig ge-
winnt gegen Leverkusen, Hoffenheim und
Wolfsburg und verliert 0:4 gegen den HSV.
Wir siegen gegen Leverkusen und machen
gegen Frankfurt eines unserer schlechtesten
Spiele. So ist die Bundesliga. Man kann in je-
dem Spiel punkten.
Was spricht für Werder in diesem heißen Früh-
jahr?
Ich sehe unseren Vorteil darin, dass wir ge-
nau mit der richtigen Erwartungshaltung in
die Saison gestartet sind. Es gibt auch Teams,
die bis vor wenigen Wochen noch von der
Europa League gesprochen haben und jetzt
hinter uns stehen. Unsere Mannschaft zeich-
net sich durch Leidenschaft, Leistungsbe-
reitschaft und realistische Einschätzung der
Situation aus, ohne sich darauf auszuruhen.
Auch die Fans sind ein wichtiger Faktor. Sie
haben eine riesige Geduld bewiesen, zeigen
Fingerspitzengefühl für die Situation. Aber
die Spieler müssen auch das nötige Verant-
wortungsbewusstsein haben. Sie müssen
erkennen, dass ihnen die Leute diese Unter-
stützung zukommen lassen, weil sie in der
Hinrunde in jeder Minute alles geben, auch
wenn nicht immer alles glatt läuft. Es wäre
schlecht, wenn die Mannschaft die Geduld
der Fans fehlinterpretiert und sich hängen
lässt. Im Gegenteil, sie muss gerade wegen
dieses Rückhalts jeden Tag im Training alles
geben und heiß darauf sein, immer noch ei-
nen Platz in der Tabelle nach oben zu rut-
schen. Genau das zeichnet die Mannschaft
neben ihrem sehr starken Teamgeist aus.
Interview: Michael Rudolph
s
WERDER MAGAZIN 317 27
INTERVIEW