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Jahresbericht 2014

Ärztekammer

Nordrhein

Allgemeine Fragen der Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik

Kollege bleibt viel länger und ist engagiert, und

du willst schon nach Hause?“ Dabei habe der Ober-

arzt die unterschiedlich ausgeprägte Leistungsbe-

reitschaft unter den Kollegen während der Visite

nicht gewürdigt. Eine solche Anwesenheitskultur

aber werte die Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten

ab, die Teilzeit arbeiten. Die Folge laut Köhne: „Wer

als Teilzeitkraft erfolgreich sein will, muss in 30

Stunden mehr leisten als jemand, der 50 Stunden

im Betrieb ist.“

Köhne kritisierte, dass Ärztinnen und Ärzte, die

ihre Weiterbildungsabschnitte in Teilzeit absolvie-

ren möchten, dieses bei der Ärztekammer vorher

anmelden und auch begründen müssen. „Warum

muss man sich überhaupt rechtfertigen?“ Auch

der Passus der Weiterbildungsordnung, dass die

Teilzeitweiterbildung „hinsichtlich Gesamtdauer,

Niveau und Qualität den Anforderungen an eine

ganztägige Weiterbildung entsprechen“ müsse,

suggeriere, dass diese gegenüber einer Weiterbil-

dung in Vollzeit weniger wertvoll sei.

Gleich in doppelter Hinsicht experimentierfreu-

dig ist Raphael Schwiertz: Zum einen hat er als

inzwischen dreifacher Vater viele unterschiedliche

Wege ausprobiert, Familie und Beruf zu leben. Zum

anderen ist er der derzeit bundesweit wohl einzige

Väterbeauftragte einer Uniklinik. Männer sähen

sich traditionell in der Rolle des Ernährers, sagte

Schwiertz. Zunehmend nähmen sie auch die Rol-

le an, aktiv an der Erziehung teilzunehmen. Vie-

le Kollegen treibe die Sorge um, mit dem Wunsch

nach mehr Zeit für die Familie einen Karriereknick

zu erleiden oder nicht mehr genug zu verdienen, um

den Lebensstandard, nun mit einem oder mehreren

Kindern bei gleichzeitigem Verdienstausfall der

Partnerin, zu halten.

Seit 2010 berät Schwiertz an der Uniklinik Essen

zum Beispiel über die Elternzeit, stellt seinen Kol-

legen Fortbildungsangebote während dieser Auszeit

oder das Wiedereingliederungskonzept der Klinik

nach der Familienphase vor. Simpel und doch pfif-

fig: Ärztinnen und Ärzte können an der Uniklinik

aus der Kantine auch Essen für die Familie mit nach

Hause nehmen. Entscheidend für die Vereinbarkeit,

so Schwiertz, sei ein familienbewusstes Verhalten

von Führungskräften: Nur wenn diese den Wunsch

ihrer Kollegen, Beruf und Familie in Balance zu brin-

gen, respektierten und aktiv unterstützten, könnten

Instrumente wie die Elternzeit nachhaltig wirken.

Von den Bedürfnissen einer neuen Mediziner-

generation berichtete Friederike Jahn, Koordina-

torin des Projekts „Freundilie – Für Freunde und

Familie“ der Bundesvertretung der Medizinstudie-

renden in Deutschland (bvmd). Ihre Generation,

die sogenannte Generation Y der in der zweiten

Hälfte der 1980er geborenen Jungen und Mädchen,

sei weltoffen, selbstbewusst und ehrgeizig, wolle

Verantwortung übernehmen, lebe den Teamgeist

und habe eine gute medizinische Ausbildung ge-

nossen. Entsprechend anspruchsvoll sei ihre Ge-

neration, wenn es um die Bedingungen für eine

kurative Tätigkeit in Klinik oder Praxis geht: So

seien flache Hierarchien, Feedback und Coaching,

Zeit für Hobbies, Freunde und Familie, moderne

Arbeitszeitmodelle und die Bereitschaft von Vorge-

setzten, auf Fragen konstruktive und respektvolle

Antworten zu geben, für sie und ihre Kommilitonen

essentiell. Und zu den Ansprüchen ihrer Generation

gehöre es eben auch, den Arztberuf, Notfälle und be-

sondere Situationen ausgenommen, wie Menschen

in anderen Berufen auch im Tagesrhythmus von

acht Stunden ausüben zu können, führte Jahn aus.

Dr. Christiane Friedländer,

seit 1980 in Neuss als HNO-Ärztin niedergelassen, berichtete

von ihren Strategien, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. So habe sie sich

für eine Facharztlaufbahn entschieden, ummöglichst wenig Hausbesuche machen zu

müssen. Als positiv habe sich auch ihre Entscheidung erwiesen, Praxis und Wohnung in

einem Haus zu vereinen. Als ihre eigene Arbeitgeberin sei sie auch zeitlich fast immer in

der Lage gewesen, spontan auf private Anlässe zu reagieren. Insgesamt könne sie emp-

fehlen, über eine Tätigkeit in Einzelpraxis als Berufslaufbahn ernsthaft nachzudenken.

Dr. Arndt Berson,

Hausarzt in einer Berufsausübungsgemeinschaft in Kempen, betonte

ebenfalls die Vorteile, die die Tätigkeit als eigener Chef, bei aller Verantwortung und

zeitlichen Belastung, mit sich bringt. Zwar erreiche er die übliche Wochenarbeitszeit von

38,5 Stunden oft bereits nach drei Tagen. „Auch ich hätte manchmal gern mehr Frei-

zeit“, so Berson. Mit der Anstellung einer zusätzlichen Kollegin wollten seine Praxispart-

nerin und er nun aber die Option erhalten, wenigstens einen Nachmittag in der Woche

frei zu nehmen. Dennoch bereue er die Niederlassung nicht. „Ich habe schätzen gelernt,

welche Gestaltungsmöglichkeiten man als eigener Chef hat“, sagte das Vorstandsmit-

glied der Ärztekammer Nordrhein.

Die Lösung, die Arbeit und ihr erstes Kind unter einen Hut zu bringen, bestand für die

Hausärztin

Dr. Raphaela Schöfmann

in der Hilfe ihrer Mutter. Sie übernahm in den ersten

beiden Lebensjahren die Betreuung, während Schöfmann in der Klinik arbeitete. Eine

weitere Strategie: Statt den Facharzt für Innere Medizin anzustreben, entschied sich die

seit 2009 in Kempen angestellte Allgemeinärztin dafür, ihre Weiterbildung in der Allge-

meinmedizin zu absolvieren, ummöglichst schnell in einer Praxis geregelte Arbeitszei-

ten zu haben, ohne die in Kliniken üblichen Dienste. „Als angestellte Ärztin kann ich mich

fast nur auf die ärztliche Tätigkeit konzentrieren“, zog die inzwischen dreifache Mutter

eine positive Bilanz.

Michael Lachmund,

angestellter Radiologe amMVZ RNR am Sana-Klinikum Remscheid,

äußerte Motive, die bisher in Einzelniederlassung tätige Kollegen für eine Tätigkeit in

einemMedizinischen Versorgungszentrum anführten: dazu zählen der Wunsch nach Auf-

gabe der unternehmerischen Tätigkeit und Abgabe des Investitionsrisikos, nach Reduk-

tion der zeitlichen Belastungmit Führungsverantwortung oder der Wunsch nach der Tätig-

keit imTeam. Für Kollegen, die aus der Klinik in einMVZ wechseln, stelle nach der statio-

nären Tätigkeit nun jene imambulanten Umfeld oft eine Bereicherung dar, sagte Lachmund.

Beispiele aus der Praxis