

Unter einem Aneurysma der großen Körperschlagader ver-
steht man eine umschriebene Gefäßerweiterung, die in der
Regel Folge arteriosklerotischer Wandveränderungen ist.
Die meisten Bauchaneurysmen verursachen keine Be-
schwerden und werden oft erst im Rahmen einer sonogra-
phischen Untersuchung des Bauchraumes zufällig entdeckt.
Eine Ruptur dagegen verursacht akute Bauchschmerzen,
wobei die Bauchdecken gespannt, druckschmerzhaft und
aufgetrieben sind.
Abgesehen davon, dass der pulsierende Tumor getastet wer-
den kann, wird die Diagnose in der Regel durch Untersu-
chung des Bauchraumes mit dem Ultraschallgerät gestellt.
Bei der sonographischen Untersuchung kann unter Umstän-
den der Riss selbst nicht immer sogleich erkannt werden,
weil er möglicherweise von dem rückseitigen Bauchfell ge-
deckt ist. Die auf eine solche Erkrankung hindeutende
Raumforderung im Unterbauch ist jedoch bei sorgfältiger
Untersuchung nicht zu übersehen.
Im nachfolgend geschilderten Fall musste die Gutachter-
kommission erhebliche Sorgfaltsmängel feststellen, die zur
schwerwiegend fehlerhaften Verzögerung der Notoperation
führten.
Der Sachverhalt
Der 72 Jahre alte Patient verspürte am 16. September starke
Schmerzen im Unterleib. Die sofort gegen 16:00 Uhr aufge-
suchte Ärztin für Allgemeinmedizin wies ihn unverzüglich
in die später beschuldigte Chirurgische Klinik ein. Der Pa-
tient fuhr selbst mit dem Pkw in die Klinik, wo er zwischen
18:00 Uhr und 21:30 Uhr ambulant von einemAssistenzarzt
untersucht wurde: Beim Betasten des Bauches wurden
Druckschmerzen mit Abwehrspannung und lebhafte Darm-
geräusche festgestellt. Das Blutbild ergab ein vermindertes
Hämoglobin von 12,3 g/dl, verminderte Erythrozyten von
4,2 Mio. Die Leukozyten waren mit 17.600 (normal 3.000
bis 9.600) deutlich vermehrt.
Die Röntgenaufnahme des Bauches zeigte keine freie Luft
und keine Zeichen eines Darmverschlusses. Sonographisch
ermittelte der Arzt außer einer Steingallenblase keine freie
Flüssigkeit im Bauchraum. Eine Raumforderung im Unter-
bauch wurde nicht gesehen.
Der Assistenzarzt diagnostizierte ein „akutes abdominelles
Geschehen“ und hielt die stationäre Aufnahme für notwen-
dig. Die diensthabende Oberärztin, Fachärztin für Chirur-
gie, wurde über das Untersuchungsergebnis telefonisch in-
formiert. Ein möglicher Riss der großen Körperschlagader
im Bauchraum als Ursache des „abdominellen Geschehens“
wurde auch von der Oberärztin, die von einer Untersuchung
des Patienten absah, nicht in Erwägung gezogen.
Wegen Bettenmangels wurde der Patient nach Rücksprache
mit einer anderen Chirurgischen Klinik mit ausdrücklicher
Zustimmung der Oberärztin in diese Klinik überwiesen.
Entgegen ärztlichem Rat fuhr der über die mögliche Schwe-
re der Erkrankung nicht unterrichtete Patient mit seinem
Pkw in die Klinik, wo er gegen 22:00 Uhr eintraf.
Bei der sofort vorgenommenen Untersuchung wurden stark
gespannte Bauchdecken mit deutlichem Druckschmerz im
rechten Unterbauch festgestellt. Sonographisch fand sich ei-
ne unklare Raumforderung im Mittel- und Unterbauch. Die
CT-Untersuchung zeigte ein gedeckt perforiertes Bauch-
aortenaneurysma. Das Untersuchungsergebnis führte zu der
sofortigen Vorbereitung einer Notoperation, die gegen 23:50
Uhr begonnen wurde.Trotz intensivster Bemühungen miss-
lang der Versuch, das Aneurysma zu resezieren. Das
Leben des Patienten konnte nicht mehr gerettet werden; er
verstarb noch in der Nacht an der nicht beherrschbaren Blu-
tung.
Gutachtliche Beurteilung
Der Patient erkrankte am 16. September an einem akuten
Riss der großen Körperschlagader im Bauchraum, der bei
der Untersuchung in der beschuldigten Klinik nicht erkannt
wurde. An eine solche Ursache der Schmerzen in Verbin-
dung mit den sonstigen Untersuchungsfeststellungen wurde
auch nicht gedacht.
Bei der sonographischen Untersuchung in der beschuldig-
ten Klinik wurde zwar keine freie Flüssigkeit in der Bauch-
höhle nachgewiesen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass
die Ruptur noch vom Bauchfell gedeckt wurde. Es ist nach
Ansicht der Kommission jedoch nicht vorstellbar, dass die
Raumforderung im Unterbauch, die kurze Zeit später in der
anderen Klinik eindeutig beschrieben wurde, durch sorgfäl-
tige Untersuchung nicht hätte festgestellt werden können.
Diesen Sorgfaltsmangel wertete die Kommission als Be-
handlungsfehler.
Als schwerwiegend fehlerhafte Behandlung hat die Kom-
mission sodann das Verhalten der Oberärztin beurteilt, die
ohne eigene Untersuchung des ihr telefonisch übermittelten
„abdominellen Geschehens“ mit den entsprechenden La-
bordaten der Überweisung des Patienten, dessen stationäre
Behandlung für notwendig erachtet wurde, zustimmte. Eine
Untersuchung durch die chirurgisch erfahrene Oberärztin
hätte nach Ansicht der Kommission zur sofortigen Notope-
ration geführt.
Ein „Bettenmangel“ wäre kein ausreichender Grund zur
Verweigerung gewesen, weil für solche Notfälle immer eine
Unterbringungsmöglichkeit, ggf. auf der Intensivstation,
bestehen würde. Die unaufschiebbare Operation hätte bei
unverzögert sorgfältiger Untersuchung um etwa drei Stun-
den früher stattfinden können. Insgesamt bewertete die Gut-
achterkommission das ärztliche Fehlverhalten in der Klinik
als einen schwerwiegenden (=groben) Behandlungsfehler.
Ruptur eines Bauchaortenaneurysmas
Unzureichende Untersuchung und Operationsverzögerung
Gutachtliche Entscheidungen
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