

rechtsseitiges Orchiektomiepräparat mit diffuser fortge-
schrittener hämorrhagischer Infarzierung des Hodens und
Nebenhodens sowie frischeren venösen Gefäßthrombosen
entsprechend dem Zustand nach einer Torsion.
Der Heilungsverlauf war komplikationslos. Am 26. März
wurde in derselben Urologie zur Vorbeugung einer Verdre-
hung des linken Hodens eine transskrotale Orchidopexie
ohne nachfolgende Komplikationen durchgeführt.
Beurteilung des Sachverhalts
Nach Auffassung der Gutachterkommission bestand als ein-
ziges Hinweiszeichen auf eine akute Appendizitis ein rechts-
seitiger Unterbauchschmerz. Andere typische Symptome
wie eine Abwehrspannung, ein Loslassschmerz, eine Tem-
peraturerhöhung, eine Leukozytose und/oder ein Anstieg
des C-reaktiven Proteins fehlten. In diesem Falle wäre vor
der Entscheidung zur Operation des Wurmfortsatzes eine
eingehende Untersuchung der benachbarten Organsysteme
dringend geboten gewesen.
Hierzu hätte bei einem 13-jährigen Jungen auch die Inspek-
tion seiner Genitalorgane gehört. Bei der zu fordernden
gründlichen Untersuchung wäre die Schwellung bzw.
Schmerzreaktion der Hodengebilde als Hinweis auf deren
Erkrankung aufgefallen.
Nach dem intraoperativen und mikroskopischen Befund des
entfernten Gewebes bestand die verdrehungsbedingte Durch-
blutungsstörung länger als nur wenige Stunden und wahr-
scheinlich seit Beginn der akuten Erkrankung. Nach der
Überzeugung der Gutachterkommission wäre daher bei
einer sorgfältigeren Untersuchung die Erkrankung des Ho-
dens zu erkennen gewesen.
Dieses Versäumnis hat sich bei der Operation wiederholt.
Nachdem sich die Diagnose einer akuten Appendizitis nicht
bestätigt hatte, wäre es dringend notwendig gewesen, durch
eine Untersuchung der benachbarten Organe nach der tat-
sächlichen Schmerzursache zu suchen. Auch diese differen-
zialdiagnostisch zwingend erforderliche Maßnahme ist
sorgfaltswidrig unterblieben.
Die nachfolgende Behandlung in der beschuldigten Klinik
war ebenfalls fehlerhaft. Spätestens um 19 Uhr des ersten
postoperativen Tages war die schmerzhafte Hodenschwel-
lung bekannt. Eine angemessene Diagnostik fand weder zu
diesem Zeitpunkt noch am frühen Morgen (6.30 Uhr) des
nächsten Tages statt. Es wurde lediglich eine „Bedarfsmedi-
kation“ gegeben.
Über 14 Stunden nach der ersten Dokumentation der
schmerzhaften Schwellung wurde schließlich auf Drängen
der Mutter eine urologische Untersuchung veranlasst. Ent-
gegen dem Gebot der Dringlichkeit erfolgte zunächst die
Überweisung in eine urologische Fachpraxis. Bei einer so-
fortigen Verlegung in die nächstgelegene urologische Klinik
hätte die Operation etwa zwei Stunden früher stattfinden
können. In noch kürzerer Zeit hätten die behandelnden
Chirurgen bei den ersten Symptomen des akuten Hoden-
schmerzes auch selbst eine operative Freilegung vornehmen
können.
Dies sei, wie die Gutachterkommission zum Ausdruck
bringt, in einem Krankenhaus ohne eigene Urologie durch-
aus angebracht und notwendig, um irreversible Organschä-
den zu vermeiden. Stattdessen kam es zu einer Kette von vor-
werfbaren Versäumnissen und Fehlentscheidungen, die
zum Verlust des rechten Hodens geführt haben.
Die Gutachterkommission hat insgesamt die festgestellten
Sorgfaltsmängel als schwerwiegend (grob) fehlerhaft be-
wertet, da sie gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse
und Erfahrungen verstießen und aus objektiver ärztlicher
Sicht nicht mehr verständlich seien. Bei einem groben Be-
handlungsfehler, der geeignet ist, den eingetretenen Ge-
sundheitsschaden herbeizuführen, obliegt nach der Recht-
sprechung dem Arzt der Beweis der fehlenden Kausalität.
Das bedeutet,dass in einem solchen Fall nicht der Patient die
Ursächlichkeit nachzuweisen hat. Es ist dann Sache des
Arztes, den Nachweis zu führen, dass der Schaden – hier
der Verlust des Hodens – nicht eine Folge der ärztlichen
Versäumnisse war, was bei dem geschilderten Fall kaum ge-
lingen dürfte.
Herbert Weltrich und Wilfried Fitting
Hodentorsion rechtzeitig erkennen
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Gutachtliche Entscheidungen