

Gutachtliche Entscheidungen
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Operative Eingriffe zur Behebung eines Leistenbruches auf
endoskopischem Wege gelten mittlerweile als anerkannte
Regeleingriffe. Das Risikopotential unterscheidet sich von
den so genannten offenen Verfahren (z. B. Operation nach
Shouldice oder Lichtenstein). So sind beispielsweise Verlet-
zungen von Nachbarorganen wie Darm und Harnblase
auch bei sorgfältigstem Vorgehen nicht immer vermeidbar.
Über solche Risiken ist deshalb rechtzeitig umfassend auf-
zuklären, um eine Haftung auszuschließen,wenn trotz aller
Sorgfalt eine Verletzung eingetreten ist. Erforderlich sind
selbstverständlich, wie bei jedem Eingriff, neben der sorg-
fältigen Durchführung der Operation die ausreichende ab-
schließende Kontrolle und Inspektion des Eingriffgebietes,
um jeglichem Organdefekt unverzüglich nachgehen zu
können.
Im nachfolgend geschilderten Fall musste die Gutachter-
kommission Sorgfaltsmängel feststellen, und zwar beim
Eingriff selbst und auch wegen des Übersehens einer erheb-
lichen Blasenwandverletzung, die schon wegen ihres Aus-
maßes dem Operateur nicht entgehen durfte.
Der Sachverhalt
Starke Schmerzen in der linken Leiste führten bei dem 67-
jährigen Patienten zu der Diagnose eines linksseitigen Leis-
tenbruches. Am 17. März erfolgte in der beschuldigten Klinik
für Allgemein- und Viszeralchirurgie die ambulante prästa-
tionäre Vorbereitung mit eingehender Aufklärung über den
beabsichtigten Eingriff und die damit verbundenen mögli-
chen Komplikationen. Am 19. März wurde der Patient sta-
tionär aufgenommen und noch am selben Tage operiert.
Nach dem detaillierten Operationsbericht wurde zunächst
eine Spiegelung der Bauchhöhle vorgenommen, um die gro-
ße indirekte Leistenhernie links zu bestätigen und gegebe-
nenfalls krankhafte Veränderungen im Bauchraum festzu-
stellen. Danach wurde auf die so genannte extraperitoneale
Hernienoperation umgestiegen. Der Raum zwischen vorde-
rer Bauchwand, Blase und Peritonealsack wurde eröffnet
und freipräpariert.Anschließend erfolgte die Freilegung des
linken Leistenringes. Der Inhalt des Bruchsackes wurde
teils stumpf, teils scharf unter Schonung der dort gelegenen
Blutgefäße aus der Bruchpforte herausgezogen. Danach
wurde das Bauchfell weiter nach kopfwärts sowie nach me-
dial und lateral präpariert, so dass schließlich eine ausrei-
chende Fläche von 10 x 12 cm zur Einlage des so genannten
Vypro II-Netzes (Markenname) entstand. Das Netz wurde
über den Kameratrokar eingebracht und an der vorderen
Bauchwand so angelegt, dass die Bruchpforten bedeckt wa-
ren. Anschließend erfolgte die Einlage einer Robinson-
Drainage in den Unterbauch. Eine Harnableitung mittels
Dauerkatheter wurde intraoperativ nicht durchgeführt.
Besondere technische Schwierigkeiten bei der Präparation
oder eine Berührung der Blase sind im Operationsbericht
nicht erwähnt.
Am 20. März, dem ersten postoperativen Tag, hatte der Pa-
tient leichte Bauchschmerzen und Schwierigkeiten beim
Wasserlassen, so dass er Doryl erhielt und einen Einmal-
katheter benötigte. Wegen Blutbeimengungen im Urin ver-
anlasste der Chefarzt bei derVisite um 18 Uhr für den nächs-
ten Tag ein urologisches Konsil.
Am 21. März erfolgte wegen des dringenden Verdachtes auf
eine Harnblasenverletzung die Verlegung in eine urologi-
sche Klinik.
Stationäre Behandlung in der Urologie
Als erste Maßnahme wurde eine Blasenspiegelung durchge-
führt, bei der sich eine kreisrunde Perforation am Blasen-
dach links fand. Eine zweite Perforation wurde in der Mitte
des Blasendaches vermutet. Die Revision der Harnblase er-
folgte durch einen queren Unterbauchschnitt. Es zeigte sich
zunächst am Blasendach und Übergang zur Hinterwand eine
5 mm große Perforation, welche erweitert und zur weiteren
Inspektion der Blase genutzt wurde. Es fand sich dann ein
4 x 4 cm großer Defekt am Blasenhals im Bereich der Vor-
derwand, durch den auch das eingebrachte Netz zu sehen
war. Die Blasenschleimhaut wurde mit Vicryl-Rapid-Faden
durch die Blase verschlossen. Danach erfolgte der zwei-
schichtige Verschluss durch Einzelknopfnähte.
Der postoperative Heilungsverlauf war frei von Komplika-
tionen. Die Blase wurde für 10 Tage mit einem Harnröhren-
dauerkatheter entlastet. Am 31. März erfolgte eine Dichtig-
keitsprüfung der Blase durch Röntgenkontrolle, die unauf-
fällig
war.Am2.April konnte der Patient aus der stationären
Behandlung der urologischen Klinik entlassen werden.
Gutachtliche Beurteilung
Die linksseitige Leistenhernie wurde zutreffend diagnosti-
ziert. Die ambulant durchgeführten präoperativenVorberei-
tungen waren sachgerecht. Gleiches gilt für die zunächst
durchgeführte Bauchspiegelung, die die Operabilität des
Patienten sicherstellte. Die Gutachterkommission hatte
auch keinen Anlass, die im Operationsbericht näher darge-
stellten operativen Schritte zur Einlage eines Kunststoffnet-
zes zwischen Bauchwand und dem Peritonealsack zu bean-
standen.
ImOperationsbericht findet sich keine Angabe über eine Be-
rührung der Harnblase. Fest steht jedoch nach dem gesam-
ten Krankheitsverlauf, dass der Operateur bei seinem Ein-
griff die Blase erheblich verletzt hat. Er hat zwei Perforatio-
nen verursacht,eine von 5 mmDurchmesser,eine zweite mit
einem Umfang von 4 x 4 cm. Es steht weiter fest, dass der
Operateur beide Verletzungen, die sich in einem kleinen über-
schaubaren Operationsgebiet ereigneten, nicht bemerkt hat.
Zu der Frage, inwieweit ein Operateur bei seinem Eingriff
eine Verletzung der Blase vermeiden kann, hat die Kommis-
sion im vorliegenden Fall wie folgt Stellung genommen:
Fehlerhafte endoskopische Leistenbruchoperation