

Inwieweit die Funktion der Nerven wiederkehrt, hängt al-
lerdings von anderen Faktoren (Durchblutungsstörungen,
Narbenbildungen usw.) ab. Die letzte Hörprüfung ergab,
dass auf dem linken Ohr noch eine mittel- bis hochgradige
Schwerhörigkeit besteht, was für den Funktionserhalt des
Nerven spricht. Der Ausfall des Gleichgewichtsnerven wird
im weiteren Verlauf in der Regel kompensiert und macht
sich dann kaum störend bemerkbar.
Zusammenfassend stellte die Kommission fest, dass die dia-
gnostische Abklärung entgegen dem medizinischen Stan-
dard versäumt und damit das Akustikusneurinom verspätet
erkannt wurde. Dieser Behandlungsfehler hat sich aller-
dings nicht entscheidend auf das glücklicherweise günstige
Behandlungsergebnis ausgewirkt, sodass ein wesentlicher
Gesundheitsschaden durch die vorwerfbar verspätete Dia-
gnose nicht entstanden ist.
Bei dem weiteren dargestellten Fall handelt es sich um Dia-
gnosemängel eines Radiologen.
Zweiter Sachverhalt
Die Patientin litt schon seit drei Jahren an einer leichten
Mundastschwäche links und an einer Hörminderung auf
dem linken Ohr, verbunden mit linksseitigen Ohrgeräu-
schen. Der mit der CT-Untersuchung beauftragte beschul-
digte niedergelassene Radiologe konnte in dem von ihm
angefertigten Computertomogramm keine tumoröse Verän-
derung oder vaskuläre Läsion feststellen.
Knapp sieben Jahre später begab sich die 43-jährige Patien-
tin wegen einer zunehmenden Sehverschlechterung auf
dem linken Auge in die Behandlung eines Augenarztes, der
eine beidseitige Stauungspapille feststellte. Bei der von ihm
veranlassten weiteren bildgebenden Diagnostik wurde ein
großer linksseitiger Kleinhirnbrückenwinkeltumor er-
kannt.
Operative Behandlung
In der Neurochirurgischen Klinik ergab die Aufnahmeun-
tersuchung eine bitemporale Hemianopsie (Halbseiten-
blindheit) und eine Anakusis (Taubheit). Wegen deutlicher
Zeichen eines beginnenden Verschlusshydrocephalus er-
folgte zunächst eine externe Ventrikeldrainage rechts fron-
tal. Anschließend wurde über eine suboccipitale Kranio-
tomie das linksseitige Akustikusneurinom operiert.
Eine vollständige Entfernung war nicht möglich, sodass ge-
ringe Tumor- und Kapselanteile belassen blieben. Die Ven-
trikeldrainage musste fortgeführt werden, weil nach ihrer
Entfernung Übelkeit, Kopfschmerzen und Erbrechen auf-
traten. Schließlich musste ein VP-Shunt rechts-frontal ange-
legt werden. Postoperativ kam es zu einer Abnahme der Ven-
trikelwerte; zurück blieben der Ausfall des VII. und VIII.
Hirnnerven und ein linksseitiger Verlust der Hör- und
Gleichgewichtsorgane.
Die histologische Untersuchung des entferntenTumorgewe-
bes ergab ein fibrilläres Neurinom. Röntgenologisch zeigte
sich zuletzt eine unauffällige dichte Verteilung in allen Ab-
schnitten des Gehirns bei normal weiten äußeren und inne-
ren Liquorräumen und einem mittelständigen Ventrikel-
septum.
Gutachtliche Beurteilung
Die Gutachterkommission wertete die Diagnose des be-
schuldigten Radiologen, auf den CT-Aufnahmen seien we-
der einTumor noch vaskuläre Veränderungen erkennbar, als
mangelhaft. Auf der Grundlage einer überzeugenden Begut-
achtung durch das fachsachverständige radiologische Mit-
glied der Gutachterkommission konnten folgende Feststel-
lungen getroffen werden:
Auf einem der Bilder angedeutet und deutlich abgrenzbar
auf einem anderen Bild ist links medial der Pyramidenspitze
und im Bereich der inneren Gehörgangsöffnung ein länglich
ovaler, glatt begrenzbarer, knapp 1 cm großer Bezirk sicht-
bar, der sich wegen seiner etwas erhöhten Gewebedichte im
Vergleich zur Umgebung gut erkennbar abhebt; rechts fehlt
ein entsprechender Befund.
Aufgrund der klinischen Symptome einer linksseitigen Hör-
minderung mit Ohrgeräuschen war der durch die radiolo-
gische Untersuchung zu klärende Verdacht auf einen Klein-
hirnbrückenwinkeltumor gegeben. Das Ergebnis der CT-
Untersuchung musste zumindest Anlass zu einer weiteren
Abklärung durch eine zweite Aufnahmeserie nach intra-
venöser Kontrastmittelgabe sein. Noch besser wäre die
Durchführung einer Kernspintomographie gewesen.
Der Diagnosefehler hat eine ganz wesentlich frühere Ope-
ration mit weit geringeren Risiken und Folgen für die Pa-
tientin verhindert. Ein seinerzeit rechtzeitiger Eingriff hät-
te unter wesentlich leichteren Bedingungen durchgeführt
werden können. Einen weiteren Hörverlust, möglicherweise
bis zur Ertaubung, hätte man zwar wegen der bestehenden
Innenohr- bzw. Hörnervenschwerhörigkeit auch bei früh-
zeitiger Operation nicht mit Sicherheit vermeiden können.
Gleiches gilt für die Schädigung des Facialisnerven.
Nach der Überzeugung der Kommission wären die weiteren
Verluste jedoch bei rechtzeitigemVorgehen mit deutlich ge-
ringererWahrscheinlichkeit eingetreten;ein Shunt wäre mit
Sicherheit nicht notwendig gewesen. Insoweit hat der vor-
werfbare Behandlungsfehler zu einem Gesundheitsschaden
geführt.
Herbert Weltrich
†
und Wilfried Fitting
Anmerkung
Die Gutachterkommission hat sich, soweit feststellbar, bislang in
17 Fällen mit Behandlungsmängeln der dargestellten Art beschäf-
tigen müssen. Die gutachtliche Beurteilung führte in acht Fällen zu
der Feststellung von vorwerfbaren Behandlungsfehlern.
Diagnosemängel im HNO-Bereich
Gutachtliche Entscheidungen
109