Background Image
Previous Page  111 / 258 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 111 / 258 Next Page
Page Background

Inwieweit die Funktion der Nerven wiederkehrt, hängt al-

lerdings von anderen Faktoren (Durchblutungsstörungen,

Narbenbildungen usw.) ab. Die letzte Hörprüfung ergab,

dass auf dem linken Ohr noch eine mittel- bis hochgradige

Schwerhörigkeit besteht, was für den Funktionserhalt des

Nerven spricht. Der Ausfall des Gleichgewichtsnerven wird

im weiteren Verlauf in der Regel kompensiert und macht

sich dann kaum störend bemerkbar.

Zusammenfassend stellte die Kommission fest, dass die dia-

gnostische Abklärung entgegen dem medizinischen Stan-

dard versäumt und damit das Akustikusneurinom verspätet

erkannt wurde. Dieser Behandlungsfehler hat sich aller-

dings nicht entscheidend auf das glücklicherweise günstige

Behandlungsergebnis ausgewirkt, sodass ein wesentlicher

Gesundheitsschaden durch die vorwerfbar verspätete Dia-

gnose nicht entstanden ist.

Bei dem weiteren dargestellten Fall handelt es sich um Dia-

gnosemängel eines Radiologen.

Zweiter Sachverhalt

Die Patientin litt schon seit drei Jahren an einer leichten

Mundastschwäche links und an einer Hörminderung auf

dem linken Ohr, verbunden mit linksseitigen Ohrgeräu-

schen. Der mit der CT-Untersuchung beauftragte beschul-

digte niedergelassene Radiologe konnte in dem von ihm

angefertigten Computertomogramm keine tumoröse Verän-

derung oder vaskuläre Läsion feststellen.

Knapp sieben Jahre später begab sich die 43-jährige Patien-

tin wegen einer zunehmenden Sehverschlechterung auf

dem linken Auge in die Behandlung eines Augenarztes, der

eine beidseitige Stauungspapille feststellte. Bei der von ihm

veranlassten weiteren bildgebenden Diagnostik wurde ein

großer linksseitiger Kleinhirnbrückenwinkeltumor er-

kannt.

Operative Behandlung

In der Neurochirurgischen Klinik ergab die Aufnahmeun-

tersuchung eine bitemporale Hemianopsie (Halbseiten-

blindheit) und eine Anakusis (Taubheit). Wegen deutlicher

Zeichen eines beginnenden Verschlusshydrocephalus er-

folgte zunächst eine externe Ventrikeldrainage rechts fron-

tal. Anschließend wurde über eine suboccipitale Kranio-

tomie das linksseitige Akustikusneurinom operiert.

Eine vollständige Entfernung war nicht möglich, sodass ge-

ringe Tumor- und Kapselanteile belassen blieben. Die Ven-

trikeldrainage musste fortgeführt werden, weil nach ihrer

Entfernung Übelkeit, Kopfschmerzen und Erbrechen auf-

traten. Schließlich musste ein VP-Shunt rechts-frontal ange-

legt werden. Postoperativ kam es zu einer Abnahme der Ven-

trikelwerte; zurück blieben der Ausfall des VII. und VIII.

Hirnnerven und ein linksseitiger Verlust der Hör- und

Gleichgewichtsorgane.

Die histologische Untersuchung des entferntenTumorgewe-

bes ergab ein fibrilläres Neurinom. Röntgenologisch zeigte

sich zuletzt eine unauffällige dichte Verteilung in allen Ab-

schnitten des Gehirns bei normal weiten äußeren und inne-

ren Liquorräumen und einem mittelständigen Ventrikel-

septum.

Gutachtliche Beurteilung

Die Gutachterkommission wertete die Diagnose des be-

schuldigten Radiologen, auf den CT-Aufnahmen seien we-

der einTumor noch vaskuläre Veränderungen erkennbar, als

mangelhaft. Auf der Grundlage einer überzeugenden Begut-

achtung durch das fachsachverständige radiologische Mit-

glied der Gutachterkommission konnten folgende Feststel-

lungen getroffen werden:

Auf einem der Bilder angedeutet und deutlich abgrenzbar

auf einem anderen Bild ist links medial der Pyramidenspitze

und im Bereich der inneren Gehörgangsöffnung ein länglich

ovaler, glatt begrenzbarer, knapp 1 cm großer Bezirk sicht-

bar, der sich wegen seiner etwas erhöhten Gewebedichte im

Vergleich zur Umgebung gut erkennbar abhebt; rechts fehlt

ein entsprechender Befund.

Aufgrund der klinischen Symptome einer linksseitigen Hör-

minderung mit Ohrgeräuschen war der durch die radiolo-

gische Untersuchung zu klärende Verdacht auf einen Klein-

hirnbrückenwinkeltumor gegeben. Das Ergebnis der CT-

Untersuchung musste zumindest Anlass zu einer weiteren

Abklärung durch eine zweite Aufnahmeserie nach intra-

venöser Kontrastmittelgabe sein. Noch besser wäre die

Durchführung einer Kernspintomographie gewesen.

Der Diagnosefehler hat eine ganz wesentlich frühere Ope-

ration mit weit geringeren Risiken und Folgen für die Pa-

tientin verhindert. Ein seinerzeit rechtzeitiger Eingriff hät-

te unter wesentlich leichteren Bedingungen durchgeführt

werden können. Einen weiteren Hörverlust, möglicherweise

bis zur Ertaubung, hätte man zwar wegen der bestehenden

Innenohr- bzw. Hörnervenschwerhörigkeit auch bei früh-

zeitiger Operation nicht mit Sicherheit vermeiden können.

Gleiches gilt für die Schädigung des Facialisnerven.

Nach der Überzeugung der Kommission wären die weiteren

Verluste jedoch bei rechtzeitigemVorgehen mit deutlich ge-

ringererWahrscheinlichkeit eingetreten;ein Shunt wäre mit

Sicherheit nicht notwendig gewesen. Insoweit hat der vor-

werfbare Behandlungsfehler zu einem Gesundheitsschaden

geführt.

Herbert Weltrich

und Wilfried Fitting

Anmerkung

Die Gutachterkommission hat sich, soweit feststellbar, bislang in

17 Fällen mit Behandlungsmängeln der dargestellten Art beschäf-

tigen müssen. Die gutachtliche Beurteilung führte in acht Fällen zu

der Feststellung von vorwerfbaren Behandlungsfehlern.

Diagnosemängel im HNO-Bereich

Gutachtliche Entscheidungen

109