

Vorwürfe wegen vermeintlich fehlerhafter medikamentöser
Therapie werden in den bei der Gutachterkommission Nord-
rhein geführten Verfahren eher selten vorgebracht. Im Hin-
blick auf die Quote der festgestellten Behandlungsfehler bei
derArzneimitteltherapie und die auf ihnen beruhenden teils
schweren dauerhaften Gesundheitsschäden der betroffenen
Patienten haben sie jedoch nicht unerhebliche Bedeutung.
Von Behandlungsfehlervorwürfen im Zusammenhang mit
einer Arzneimitteltherapie sind Ärzte aller Fachrichtungen
betroffen,wobei sich die Vorwürfe ziemlich gleichmäßig auf
ambulante und stationäre Krankenhausbehandlungen einer-
seits sowie auf niedergelassene Ärzte andererseits verteilen.
Besonders häufig werden Fehler bei Behandlungen mit blut-
gerinnungshemmenden Medikamenten festgestellt. Unzu-
reichende Kontrollen, überhöhte Dosierungen, Nichtbeach-
tung von Kontraindikationen, Verkennung von Komplika-
tionen und Versäumnisse bei der Umstellung auf Heparin
vor Gelenkpunktionen und operativen Eingriffen sind typi-
sche Fehler. Der nachstehend geschilderte Fall betraf Bean-
standungen hinsichtlich der Dosierung und Überwachung
der Marcumarbehandlung.
Der Sachverhalt
Die 1936 geborene Antragstellerin wurde am 3. Juli nach
mehrmonatigen stationären Aufenthalten im Krankenhaus
und in einer Reha-Klinik in ein Seniorenheim aufgenom-
men. Sie litt an Herzrhythmusstörungen, arterieller Hyper-
tonie und an Hirndurchblutungsstörungen bei Zustand
nach kardioembolischem Infarkt. Deshalb wurde eine Anti-
koagulation mit Marcumar eingeleitet. Die Ernährung der
multimorbiden Patientin erfolgte über eine perkutane endo-
skopische Gastrostomie (PEG).
Der belastete praktische Arzt übernahm die Betreuung der
Patientin laut seiner Sprechstundenkartei amTag ihrer Ent-
lassung aus der Rehabilitationsklinik. Er bestimmte einen
Quickwert von 53 % (INR-Wert von 1,46) unter der Einnah-
me von 2 Tabletten Marcumar. Der Marcumar-Pass
(siehe
auszugsweise Darstellung unten)
der Patientin wurde von der
Pflegedienstleitung im Seniorenheim aufbewahrt. Die Ein-
tragungen wurden nach telefonischer Anordnung des belas-
teten Arztes von einer Krankenschwester vorgenommen.
Demnach verordnete der Arzt nunmehr für 4 Tage im tägli-
chen Wechsel die Einnahme von je 2 Tabletten bzw. 1 Ta-
blette Marcumar. Vom 7. bis zum 10. Juli wurden dann täg-
lich 2 Tabletten eingenommen. Am 10. Juli erfolgte eine La-
borkontrolle, die einen Quickwert von 96% (INR-Wert von
1,08) ergab. Am 11. Juli wurde einmalig 1 Tablette Marcu-
mar und vom 12. bis zum 31. Juli wurden täglich 3 Tabletten
Marcumar verabreicht. Die Dosierung ergibt sich aus den
Eintragungen imMarcumar-Pass („weiterhin 3 Tabletten bis
zur nächsten Blutabnahme“) und der Sprechstundenkartei-
karte, die für den 23. Juli eine „Beratung“ vermerkt und die
Patientin „in gutem Allgemeinzustand“ beschreibt. Am
24. Juli besuchte der Arzt die Patientin letztmalig vor An-
tritt eines Urlaubs. Die weitere Betreuung der Patientin
überließ er seinem Vertreter, den er allerdings nicht im Ein-
zelnen über die Patientin informierte.
Am 1. August wurde die Patientin nach telefonischer Rück-
sprache zwischen dem Heimpersonal und dem Urlaubsver-
treter zur stationären Behandlung ins Krankenhaus einge-
wiesen, nachdem sie am 31. Juli Teerstuhl abgesetzt hatte
und „sehr blass wirkte“. Dort wurde sie im hämorrhagischen
Schock bei oberer gastrointestinaler Blutung aufgenom-
men. Bei der Aufnahme war sie in reduziertem Allgemein-
zustand und bewusstseinsgetrübt; sie zeigte eine Blässe von
Kontrollen bei Antikoagulantientherapie
Fehler bei Behandlungen mit blutgerinnungshemmenden Arzneimitteln
Auszugsweise Wiedergabe des Marcumar-Passes
Datum Quick-Wert%TT INR-Wert
Verordnung (Marcumar)
Bemerkung
MO DI MI DO FR SA SO
17.06.
39 %
1,8
1,5 1 2 2 3 2 2
24.06.
18 %
3,29
0 0,5 1 1 2 1 1
01.07.
54 %
2
02.07.
56 %
2 3 2
03.07.*
2
1
2
1
2
08.07.
2
2
2
1
3
3
3
15.07.
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
24.07.
3
3
3
3
3
3
3 weiterhin 3 Tabl. abends bis zur nä. (nächsten)
Blutabnahme (gutachtliche Anmerkung: dieser
Termin ist nicht definitiv terminiert)
3
3
3
* 03.07.: Aufnahme in das Senioren-Pflegeheim
Gutachtliche Entscheidungen
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