

Gutachtliche Entscheidungen
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Prostatitis und Prostatakarzinom sind häufige Erkrankun-
gen, die vielfach gleichzeitig vorkommen und ähnliche Sym-
ptome haben können. Hierzu gehören erhöhte Werte des
prostataspezifischen Antigens sowie Verhärtungen und Un-
regelmäßigkeiten der Prostataoberfläche. Zu unterscheiden
sind beide Erkrankungen dadurch, dass bei der Prostatitis
erhöhte PSA-Werte spontan oder unter geeigneter Antibioti-
katherapie (Gyrase-Hemmer) allmählich abfallen, beim Pro-
statakarzinom dagegen kontinuierlich ansteigen, sowie durch
den bioptischen Nachweis. Da beide Erkrankungen den Pa-
tienten ganz unterschiedlich bedrohen, ist ihre konsequente
Differenzialdiagnostik zwingend geboten.
Der Sachverhalt
Bei dem 64-jährigen Antragsteller wurde im März von seiner
Allgemeinärztin ein PSA-Wert von 24,7 ng/ml („normal“ bis
4,0 ng/ml) festgestellt. Der Antragsgegner, ein Urologe, tas-
tete eine verdächtige Prostata und führte eine Sextanten-
Stanzbiopsie durch. Bei der histologischen Untersuchung
fand sich in allen Prostatastanzen eine mittel- bis hochgra-
dige, chronisch unspezifische, teilweise auch granulierende
Prostatitis. In einer Prostatastanze zeigte sich zudem neben
einer kribriformen Epithelhyperplasie eine intraepitheliale
Neoplasie (PIN Grad III).Aus diesem Grunde empfahlen die
Pathologen eine bioptische Kontrolle.
In der Folgezeit wurde der Patient von dem Urologen bei
mehr als 20 Praxisbesuchen (von April bis Juli des Folgejah-
res) wegen Potenzstörungen und dysurischen Beschwerden
klinisch untersucht und medikamentös behandelt. Eine Be-
handlung der Prostatitis mit einem Gyrase-Hemmer und eine
Kontrolle des PSA-Wertes sind aus der Dokumentation
nicht ersichtlich. Für die Behandlungsdaten 1.4. und 28.5.
ist vermerkt, dass mit demAntragsteller über die Notwendig-
keit einer PSA-Kontrolle gesprochen worden sei.
Danach wurden laut Karteieintrag eine PSA-Bestimmung
oder eine Prostatabiopsie nicht mehr erörtert, bis am 6.7.
bei einer Besprechung der zunehmenden Restharnmengen
neben der angezeigten Prostataresektion auch eine Prostata-
biopsie erwähnt wurde. Dazu kam es jedoch nicht.
Nach einer Untersuchung am 19.8., bei der wegen eines ho-
hen Restharns von 300 ml zu einer Prostataresektion gera-
ten worden war, erfolgte im September die Feststellung ei-
nes fortgeschrittenen Prostatakarzinoms mit Einwachsen in
das umgebende Fettgewebe, in die Harnblasenhinterwand,
in die Rektumvorderwand, in den Beckenknochen und die
Beckenlymphknoten. Das prostataspezifische Antigen lag
> 100 ng/ml. Nach bioptischer Sicherung eines gering diffe-
renzierten Adenokarzinoms wurde als palliative Maßnahme
eine plastische Orchidektomie durchgeführt und neben einer
Biphosphonat-Gabe eine Strahlentherapie eingeleitet. Hier-
unter ließen die Symptome nach.Der PSA-Wert fiel imMärz
des folgenden Jahres auf 2,5 ng/ml.
Gutachterliche Beurteilung
Die Gutachterkommission hat einen als schwerwiegend zu
bezeichnenden Behandlungsfehler festgestellt. Dieser liege
zum einen in der Nichtbeachtung der Empfehlung des Pa-
thologen zu einer bioptischen Kontrolle eines tumorver-
dächtigen Befundes und zum anderen in der Unterlassung
zeitgerechter Kontrollen eines hochpathologischen PSA-
Wertes über nahezu 17 Monate.
Zwar habe der Urologe ursprünglich selbst den Verdacht ei-
nes Prostatakarzinoms gehegt, diesen aber über mehr als ein
Jahr vollständig „vergessen“, weil der Patient ihm andere
Symptome wie eine erektile Dysfunktion, eine Blasenentlee-
rungsstörung u. ä. vorgetragen und er diese Beschwerden
behandelt habe. Dies entschuldige aber nicht, dass er der
Empfehlung der Pathologen nicht gefolgt sei und die eigene
Differenzialdiagnostik nebst Behandlungskontrolle nicht
ordnungsgemäß zu Ende geführt habe.
War schon der hohe PSA-Wert von 24,7 ng/ml untypisch für
eine chronische Entzündung, so schloss deren Bestehen ein
gleichzeitig vorhandenes Karzinom keineswegs aus, weil
Entzündungsprozesse häufige Begleiterscheinungen gut-
und bösartigerWucherungen der Prostata sind. Bei demAn-
tragsteller hätte deshalb die Notwendigkeit bestanden, die
vermutete Entzündung mit einem geeigneten Antibiotikum
zu behandeln und den Erfolg durch den Rückgang des
PSA-Wertes zu kontrollieren. Beides ist jedoch laut Doku-
mentation nicht geschehen.
Damit wurde die erste naheliegende Möglichkeit zur Diffe-
renzialdiagnose versäumt. Im Falle eines Fortbestehens der
PSA-Erhöhung hätte die Prostatabiopsie kurzfristig wieder-
holt werden müssen und sehr wahrscheinlich die Karzi-
nomdiagnose gesichert werden können.
Dass der Urologe dies alles unterlassen hat, verstieß nach
Auffassung der Gutachterkommission gegen gesicherte und
bewährte wissenschaftliche Erkenntnisse, praktische Erfah-
rungen und gebotene Sorgfaltspflichten. Das Versäumnis
war deshalb schwerwiegend fehlerhaft mit der Folge, dass
die Prognose des Patienten verschlechtert wurde.
Volkmar Lent, Friedrich Baumbusch und Pia Rumler-Detzel
Literatur
[1] Lent, Baumbusch, Weber: Behandlungsfehler im Zusammenhang
mit der Bestimmung des prostataspezifischen Antigens, Urologe
(2005) Urologe 12, 1458 ff; MedWelt 9/2006, 400 ff.
[2] Mielke (Haftungs)Rechtliche Aspekte der PSA-Bestimmung,
Urologe (2006) 6, 756 ff.
Diagnose von Prostatitis und Prostatakarzinom
Konsequente Differenzialdiagnostik zwingend geboten