

Gutachtliche Entscheidungen
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Die Gutachterkommission ist in den vergangenen Jahren
wiederholt mit der Überprüfung von urologischen Behand-
lungen befasst worden, bei denen es im Rahmen der Punk-
tionsdrainage der Harnblase zu Verletzungen mit erheblichen
Folgen für die Patienten gekommen ist. Da es sich hierbei in
aller Regel um vermeidbare Komplikationen gehandelt hat,
besteht Anlass, an Beispielsfällen den jeweiligen Sachverhalt
und dessen Beurteilung darzustellen und die auftretenden
Fehlerrisiken deutlich zu machen.
Vorausgeschickt sei, dass mit der Harnblasendrainage durch
die Bauchdecken im Gegensatz zu der Dauerkatheterung
der Harnröhre Komplikationen der Harnröhre (auch bei der
Frau) und der Genitalorgane beim Mann verhindert werden
sollen. Anders als vielfach angenommen kommt es auch bei
der Harnableitung durch die Bauchdecken zeitversetzt, aber
zwangsläufig zu einer katheterbedingten Infektion, die sich
jedoch meistens nur auf den Katheterkanal und die Harn-
blase auswirkt.
Diesen nachhaltigen Vorteilen der harnröhrenfreien Harn-
blasenableitung stehen erhebliche Anwendungsrisiken der
Harnblasenfistelung gegenüber. Während die Harnröhre
mit Ausnahme von Verengungen durch Vernarbungen,
Verletzungen, Prostatawucherungen oder Steinen meistens
katheterisierbar ist,muss der Drainageweg durch die Bauch-
decken durch eine Punktionsfistelung sachgerecht herge-
stellt werden.Voraussetzungen hierfür sind eine ausreichende
Füllung und Freilage der Harnblase, eine fehlende Blutungs-
neigung und Venenstauung sowie eine korrekte Punktions-
technik.
Fall 1
Bei der 79-jährigen Patientin bestand in Folge eines Diabetes
mellitus und einer arteriellen Hypertonie nach rezidivierten
Hirninfarkten mit linksseitiger Hemiparese eine chronische
Harninkontinenz. Nach anfänglicher Versorgung mit Vorla-
gen und vierwöchiger Ableitung durch einen Harnröhren-
katheter wurde in der Neurologischen Abteilung einer
Reha-Klinik die Indikation zu einer Punktionsdrainage der
Harnblase gestellt.
Von dem behandelnden Neurologen wurde ein gebräuchli-
cher Aufklärungsbogen mit den aktuellen Gerinnungswer-
ten ausgefüllt. Eine Unterbrechung der Einnahme eines
Thrombozytenaggregationshemmers (ASS 100) und eine
Kontrolle des Harnstatus erfolgten nicht.
Der konsiliarisch zugezogene Urologe unternahm einen
Punktionsversuch und dokumentierte: „Frustrane SPK-An-
lage. Blase ließ sich nicht ausreichend füllen, Punktion nicht
möglich. Bitte Abdomen beobachten.“ In seiner Stellung-
nahme im Überprüfungsverfahren führte er dazu aus, der
transurethrale Katheter sei zwar vereinbarungsgemäß abge-
klemmt worden, habe aber in der sonographischen Kontrolle
keine ausreichende Füllung gezeigt, sodass er diese über den
Dauerkatheter durchgeführt habe.
Dabei habe die Patientin aufgrund des zunehmenden Drucks
unruhig reagiert, sodass die Füllung nicht maximal habe
durchgeführt werden können. Bei der danach durchgeführ-
ten Punktion sei die Perforation der Blase nicht gelungen.
Der Eingriff sei nicht zuletzt wegen der Abwehr der Patien-
tin abgebrochen worden.
Etwa vier Stunden später wurde die Patientin wegen starker
Bauchschmerzen, Erbrechen und Schweißausbruch in eine
Klinik für Chirurgie verlegt. Bei der Notfall-Laparotomie
fanden sich im Bauchraum etwa 1,5 l Blut aus verletzten
Bauchwandgefäßen (Vasa epigastrica) sowie eine Durchstich-
verletzung der letzten Dünndarmschlinge. Die Verletzun-
gen wurden sachgerecht versorgt. Die Patientin erholte sich
jedoch von dem Eingriff nicht und verstarb etwa vier Wo-
chen später.
Beurteilung
In dem gutachtlichen Bescheid wurde die Behandlung in
mehreren Punkten als fehlerhaft beurteilt: Entgegen der all-
gemeinen Empfehlung, etwa 5 bis 7 Tage vor dem Eingriff
die Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern ab-
zusetzen, sei dies nicht geschehen, sodass die Blutgerinnung
bei der Patientin eingeschränkt gewesen sei.
Ferner sei der Harnstatus vor der Behandlung nicht auf In-
fektfreiheit kontrolliert worden, obwohl in Folge der vier-
wöchigen Dauerkatheterableitung eine bakterielle Harnin-
fektion mit entsprechender Zystitis mit größterWahrschein-
lichkeit anzunehmen gewesen sei. Diese unbehandelte Ka-
theterzystitis sei möglicherweise der Grund dafür gewesen,
dass sich die Harnblase nicht ausreichend habe auffüllen
lassen.
Eine Harnblase müsse aber mit mehr als 300 ml gefüllt sein,
um ihren extraperitonealen Anteil, das Interventionsfenster,
zu treffen. Als fehlerhaft wurde in dem Bescheid vor allem
die Tatsache angesehen, dass der Urologe trotz der unzurei-
chenden Blasenfüllung Punktionsversuche überhaupt
durchgeführt und diese seitlich der Mittellinie vorgenom-
men hat.
Schließlich habe er es auch pflichtwidrig unterlassen, die
von ihm selbst für notwendig erachtete Beobachtung des
Abdomens selbst durchzuführen, statt sie dem betreuenden
Neurologen zu überlassen. Der vier Wochen später einge-
tretene Tod der Patientin sei zwar eine mittelbare Folge der
nicht fachgerechten Behandlung, jedoch sei die vorbeste-
hende Multimorbidität der Patientin die richtungsweisende
Teilursache gewesen.
Fall 2
Bei dem 72-jährigen Patienten bestand nach früherer
Beckenfraktur mit Harnröhrenverletzung eine rezidivierte
Harnröhrenverengung. Nach auswärtigen Voruntersuchun-
gen durch eine Ausscheidungsurographie und eine Compu-
Anwendungsfehler bei der Punktionsdrainage der Harnblase