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Gutachtliche Entscheidungen
Im Anschluss an die Erörterung der Grundsätze des Kausa-
litätsnachweises und der Beweislastverteilung bei ärztlichen
Behandlungsfehlern werden im Teil 3 und Schluss des Bei-
trags die Besonderheiten des Kausalitätsnachweises bei ärzt-
lichen Aufklärungsversäumnissen dargestellt.
Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche werden
nicht selten aus einer Verletzung der ärztlichen Pflicht zur
Eingriffs- und Risikoaufklärung hergeleitet. Rechtsdogma-
tisch erfüllt auch der zu Heilzwecken vorgenommene ärzt-
liche Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten den
Tatbestand der Körperverletzung, die zu ihrer Rechtferti-
gung der Einwilligung des Patienten bedarf. Eine rechts-
wirksame Einwilligung setzt voraus, dass der Patient im
Gespräch mit dem Arzt rechtzeitig vor dem Eingriff über
seine Erkrankung, die Art, Dringlichkeit, Tragweite und
Risiken der Behandlung sowie über denkbare Behandlungs-
alternativen im Großen und Ganzen aufgeklärt worden ist
(so genannte Selbstbestimmungsaufklärung).
Arzt haftet bei unzureichender Risikoaufklärung
Bei Minderjährigen müssen grundsätzlich beide Eltern in
den Eingriff einwilligen. Nur bei leichteren alltäglichen Er-
krankungen kann der Arzt ohne Weiteres davon ausgehen,
dass der das Kind begleitende Elternteil von dem nicht er-
schienenen ermächtigt ist, für ihn mitzuhandeln. In Zwei-
felsfällen sollte die Frage der Ermächtigung vor Eingriffen
mit nicht unbedeutenden Risiken durch Rückfrage bei dem
erschienenen Elternteil geklärt werden.
Bei für die weitere Lebensführung des Kindes weit reichen-
den Entscheidungen ist grundsätzlich die Einwilligung
auch des anderen Elternteils unerlässlich
(vgl. Steffen/Pauge,
Arzthaftungsrecht, 10. Auflage, Rn. 431-433)
. Vor Eingriffen
mit drohenden schwerwiegenden Folgen ist zudem auch der
Minderjährige zu beteiligen, wenn er über eine ausreichen-
de Urteilsfähigkeit verfügt; denn unter diesen Umständen
kann ihm einVetorecht gegen die Fremdbestimmung der El-
tern zustehen
(BGH, Urteil vom 10.10.2006, NJW 2007, 217)
.
Bei unzureichender Aufklärung haftet der Arzt grundsätz-
lich für alle nachteiligen Folgen des Eingriffs, selbst wenn
dieser fachgerecht vorgenommen wurde. Ersatzpflichtig
sind allerdings nur die Nachteile, die ohne die rechtswidri-
ge Behandlung nicht eingetreten wären, also nicht solche
Schäden, die unabhängig von dem Eingriff infolge Ver-
wirklichung des Krankheitsrisikos eingetreten sind. Die Be-
weislast für die Krankheitsentwicklung ohne den Eingriff
trägt der Arzt
(Steffen/Pauge, a. a. O., Rn. 449)
.
Bei Aufklärungsmängeln hat der Arzt nach diesen Grund-
sätzen für die Eingriffsfolgen in der Regel auch dann einzu-
stehen, wenn sich ein Risiko, das nicht genannt wurde, tat-
sächlich gar nicht verwirklicht hat. Jedoch wird der Arzt
unter Schutzzweckaspekten von der Haftung freigestellt,
wenn sich nur das Risiko verwirklicht hat, auf das hinge-
wiesen wurde, auch wenn der Patient über andere aufklä-
rungspflichtige Risiken nicht unterrichtet wurde. Versäumt
der Arzt indes die gebotene „Grundaufklärung“, haftet er
auch dann, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, über das
nicht aufgeklärt zu werden brauchte
(BGHZ 106, 396; NJW
1991, 2346)
. Die so genannte Grundaufklärung erfordert
wenigstens einen Hinweis auf das schwerste in Betracht
kommende Eingriffsrisiko
(Steffen/Pauge, a. a.O., Rn. 450 ff.)
.
Den Nachweis der ordnungsgemäßen Eingriffsaufklärung
hat der Arzt zu führen, während die Beweislast dafür, dass
der Schaden durch den Eingriff des Arztes verursacht wor-
den ist, beim Patienten verbleibt
(Steffen/Pauge, a. a. O., Rn.
447)
. Zwar ist für die Selbstbestimmungsaufklärung die
Schriftform nicht vorgeschrieben, doch kommt der Doku-
mentation des Aufklärungsgesprächs in den Krankenunter-
lagen unter dem Gesichtspunkt der Beweisführung oftmals
entscheidende Bedeutung zu.
Eine fehlende Dokumentation kann ein Indiz dafür sein,
dass der Arzt seine Aufklärungspflicht nicht erfüllt hat.
Ohne schriftliche Dokumentation des wesentlichen Inhalts
des Aufklärungsgespräches wird der Arzt nicht oder nur
unter erheblichen Schwierigkeiten darlegen und beweisen
können, dass er den Patienten in dem notwendigen Umfang
aufgeklärt hat. Der Gefahr von Aufklärungsversäumnissen
im arbeitsteiligen Krankenhausbetrieb hat auch der Kran-
kenhausträger durch geeignete organisatorische Maßnah-
men entgegenzuwirken
(Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fach-
anwalts Medizinrecht, Kap. 4, Anm. 866 ff.)
.
Gegen den Vorwurf mangelhafter Aufklärung kann der Arzt
einwenden, dass der Patient auch bei Kenntnis der Risiken
in die Behandlung eingewilligt hätte (so genannte hypothe-
tische Einwilligung). Der Einwand ist nur beachtlich, wenn
der Arzt sich ausdrücklich darauf beruft
(vgl. Schellenberg:
Aufklärungsmängel, hypothetische Einwilligung und der„echte“
Entscheidungskonflikt im Arzthaftungsrechtsstreit, VersR 2008,
1298)
. In solchen Fällen obliegt es dem Patienten, plausibel
darzulegen, dass er bei sachgerechter Aufklärung in einen
Entscheidungskonflikt geraten wäre, der die behauptete Ab-
lehnung des Eingriffs – beispielsweise zur vorherigen Ein-
holung einer Zweitmeinung – verständlich macht. Gelingt
ihm dies nicht, entfällt die Haftung des Arztes. Der Nach-
weis der hypothetischen Aufklärung unterliegt jedoch stren-
gen Anforderungen, damit die verfassungsrechtlich garan-
tierte Selbstbestimmung des Patienten nicht auf diesem
Wege unterlaufen wird
(vgl. Wenzel, a. a. O., Kapitel 4 Rn.
187 ff.; Laum/Smentkowski, Ärztliche Behandlungsfehler –
Statut der Gutachterkommission, Kurzkommentar, 2. Auflage,
Anm. 14 in Abschnitt VII. zu § 2)
.
Beispiele:
Trotz Wahrung der gebotenen Sorgfalt sind nach Tonsill-
ektomie Geschmacksstörungen als typische methoden-
immanente Komplikation des sachgerecht durch-
geführten Eingriffs aufgetreten. Obwohl dem Arzt ein
Behandlungsfehler nicht vorzuwerfen war, hatte er für
diese nicht in jedem Falle vermeidbare Folge des Ein-
Kausalität, Beweiswürdigung und Beweislastverteilung in der Arzthaftung
Teil 3 – Besonderheiten des Kausalitätsnachweises bei ärztlichen Aufklärungsversäumnissen