

Im folgenden Fall hatte es die Gutachterkommission
für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer
Nordrhein parallel sowohl mit einemDiagnose- als auch mit
einem Befunderhebungsfehler zu tun.
Sachverhalt
Auf Bitten des 63-jährigen Patienten kam an einem Sams-
tag, dem 3.Mai, der Arzt im kassenärztlichen Notdienst
zum Hausbesuch. Der Patient gab seit acht Tagen aufgetre-
tene starke thorakale Schmerzen und Atemnotzustände an.
Trotz Gabe von Ibuprofen verstärkten sich die Schmerzen
beim Niesen und Husten. Daraufhin ließ der Arzt den Pa-
tienten in notärztlicher Begleitung zur Krankenhausaufnah-
me in das vom Vorwurf eines Behandlungsfehlers betroffe-
ne Krankenhaus bringen.
Im Notarzt-Einsatzprotokoll wurde vermerkt: „Patient mit
Dyspnoe und Schmerzen entlang dem Rippenbogen links.
Der Blutdruck war mit 140/80 mm Hg normal. Die Pulsfre-
quenz betrug 140/min.“ Die Diagnose lautete „Intercostal-
neuralgie DD: Minimale I.E.“ Im NACA-Score wurde 3 =
stationäre Behandlung angekreuzt.
Bei der Aufnahmeuntersuchung wurden Schmerzen beim
Einatmen links basal im Thoraxbereich vermerkt. Die Be-
schwerden hätten vor drei Wochen begonnen. Seit einem
Jahr bestand eine Marcumarbehandlung wegen zweimali-
ger Thrombosen.
Aufzeichnungen über klinische Untersuchungsbefunde feh-
len. Bei den Laboruntersuchungen ergaben sich ein Hb-
Wert von 14,2 g/dl, Leukozyten 14,7 nl, CRP 2,5 g/dl und ein
Quickwert von 22 Prozent. Der D-Dimer-Test war unauffäl-
lig. Das EKG zeigte eine Sinustachykardie mit 116/min bei
Normalverlauf.
Die Beschreibung der vom Dienstarzt befundeten Röntgen-
Thorax-Aufnahme lautete: „Große RF (Raumforderung)
30 x 15 cm linke Lunge, konkav von Pleura her ausgehend,
DD:TU.“ Dieser Befund wurde telefonisch dem Radiologen
mitgeteilt. Auch die Laborwerte wurden besprochen. Auf-
grund dieser Untersuchungsergebnisse wurde keine Not-
indikation für eine CT-Thoraxuntersuchung gesehen. Zur
Begründung wurde angeführt, dass der Patient fieberfrei
war und der Hb-Wert mit 14,2 g/dl im Normbereich lag.
Die vom diensthabenden Arzt vorgeschlagene stationäre Be-
handlung lehnte der Patient aus familiären Gründen („un-
versorgte pflegebedürftige Mutter“) ab. In der Kurzmittei-
lung zur Entlassung finden sich folgende Eintragungen:
Diagnose: „Unklare Raumforderung linke Lunge, am ehe-
sten von der Pleura ausgehend, circa 30 x 15 cm. Marcumar
bei Zustand nach zwei Thrombosen. Patient gibt an, seit
3 Wochen unter Schmerzen linke Lunge bei Einatmen zu
leiden. Er sei auf Intercostalneuralgie behandelt worden.“
Und: „Kontrollbedingte Untersuchungen CT-Thorax not-
wendig. Bei Fieber sofortige Wiedervorstellung.“
Am nächsten Morgen um 9 Uhr wurde das am Vortag ange-
fertigte Röntgen-Thorax-Bild vom Radiologen gesehen. Bei
der Inspektion stellte dieser fest, dass zusätzlich eine Frak-
tur der 8. Rippe links vorlag. In Kenntnis der Marcumarbe-
handlung kam er zu dem Schluss, dass eine große Einblu-
tung im Sinne eines Hämatoms vorliegen könnte und emp-
fahl ein CT der Thoraxorgane. Daraufhin versuchte man
mehrfach, den Patienten telefonisch zu erreichen, was nicht
gelang.
Aus den Krankenunterlagen geht hervor,dass der Patient am
Sonntag, dem 4. Mai gegen Mittag den Notarzt wegen star-
ker Atemnot, Schwindel und zunehmender Schwäche alar-
miert hatte. In dem entsprechenden Notarztprotokoll von
diesem Tage ist folgender Befund dokumentiert: „Es wird
ein blasser, kollaptischer Patient (Blutdruck nicht messbar)
mit Ruhedyspnoe und Tachykardie von 160/min. angetrof-
fen. Nach dem NACA-Score ist eine akute Lebensgefahr
nicht auszuschließen.“
Bei der Aufnahmeuntersuchung befand sich der Patient im
Schockzustand. Die nun durchgeführten CT-Röntgenunter-
suchungen der Thoraxorgane zeigten einen ausgedehnten
Hämatothorax mit nachweisbaren Veränderungszeichen
und mediastinaler Verlagerung, außerdem eine Fraktur der
8. Rippe. Die Laboruntersuchungen ergaben einen Hb-Wert
von 10,3 g/dl und einen Quickwert von 15 Prozent. Es er-
folgte nach Applikation von 1.000 IE PPSB die Intubation
und die sofortige Verlegung in eine Thoraxchirurgische Kli-
nik zur Bülaudrainage. Es entleerten sich 2,3 Liter Blut.
Nach Gabe von 3 Erythrozytenkonzentraten und 6 FFP sta-
bilisierte sich der Zustand am nächsten Tag. Bei zwischen-
zeitlichem Fieber bis auf 39,5 Grad Celsius erfolgte eine an-
tibiotische Behandlung. Am Dienstag, dem 6. Mai war die
Kreislaufsituation ausgeglichen und bei suffizienter Spontan-
atmung konnte die Extubation vorgenommen werden. Die
Thoraxdrainage wurde belassen, da sich ein Mantelpneu auf
der linken Seite entwickelt hatte. Am 7. Mai konnte der Pa-
tient ausreichend atmend mit stabilen Kreislaufverhältnis-
sen im wachen, ansprechbaren Zustand in das belastete
Krankenhaus zurückverlegt werden. Bis zum 15. Mai war
eine intensivmedizinische Behandlung notwendig. Am 22.
Mai wurde der Patient nach Hause entlassen. Ein Entlas-
sungsbericht wurde nicht vorgelegt.
Verzeichnet wurde in den Krankenunterlagen noch ein Te-
lefonat mit dem nachbehandelnden Hausarzt mit folgenden
Empfehlungen: 1. Weiterführung der Antibiotikatherapie
wegen Pneumonie für eine Woche. 2. Aussetzen der Marcu-
marisierung wegen Hämatothorax. 3. Wegen Flüssigkeits-
und Luftsaum im Thorax nach Hämatothorax röntgenologi-
sche Kontrolle nach einer Woche. 4. Ursache der Rippen-
fraktur unklar. Kein Anhalt für pathologische Fraktur.
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Gutachtliche Entscheidungen
Verkennen eines Hämatothorax
Abgrenzung zwischen einem Diagnose- und einem Befunderhebungsfehler bereitet
zuweilen Schwierigkeiten