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Diagnose- und Befunderhebungsfehler

Die juristische Besonderheit des Falles liegt darin, dass nebenein-

ander sowohl ein vermeidbarer Diagnosefehler (hier: die anfängli-

che Verkennung der eindeutig erkennbaren Fraktur der 8. Rippe

links) als auch ein Befunderhebungsfehler festzustellen waren. Die

Abgrenzung zwischen einem Diagnose- und einem Befunderhe-

bungsfehler bereitet zuweilen Schwierigkeiten. Der Fall macht die

Unterscheidung deutlich: Ein Diagnosefehler ist gegeben, wenn die

zur Sicherung der Diagnose gebotenen Befunde zwar erhoben, je-

doch fehlinterpretiert wurden, und wenn die Fehlinterpretation

nicht mehr vertretbar erscheint, mithin nicht als entschuldbarer

bloßer Diagnoseirrtum zu bewerten ist. Ein Befunderhebungsfehler

liegt hingegen vor, wenn die zutreffende Diagnose nicht gestellt

wurde, weil zur definitiven Klärung medizinisch gebotene (weite-

re) Untersuchungen (hier: das Thorax-CT) unterlassen wurden.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass ein Diagnosefehler

nicht dadurch zu einem Befunderhebungsfehler wird, dass bei ob-

jektiv zutreffender Diagnose noch weitere Befunde zu erheben

gewesen wären

(BGH, Urteil vom 21. Dezember 2010 – VI ZR 284/

09 –, BGHZ 188, 29–38)

. So war es aber im vorliegend begutach-

teten Fall gerade nicht, denn die weitere Befunderhebung durch

Thorax-CT war – wie ausdrücklich festgestellt wurde – unabhängig

von der anfänglichen Fehlbeurteilung des Röntgenbildes geboten.

Beurteilung

Die Entscheidung des diensthabenden Arztes zur Einliefe-

rung des Patienten in stationäre Krankenhausbehandlung

war sachgerecht.

Der Dienstarzt im Krankenhaus, der dem Radiologen telefo-

nisch lediglich den hochgradig krankhaften Befund einer

ausgedehnten Raumforderung im linken Thoraxbereich

mitteilte, handelte jedoch fehlerhaft. Den zusätzlichen patho-

logischen Befund einer Arrosion beziehungsweise Fraktur

der 8.Rippe erwähnte er in diesem Telefongespräch nicht,

weil er ihn offensichtlich nicht erkannte. Die Fehlbeurtei-

lung des Röntgenbildes war ihm als fehlerhaft anzulasten.

Wenn die Diagnose der Rippenfraktur rechtzeitig gestellt

worden wäre, wäre im Zusammenhang mit der durch Mar-

cumar bedingten Gerinnungshemmung sehr wahrschein-

lich schon an diesem Tag der Verdacht auf einen Hämato-

thorax erhoben und der Patient adäquat behandelt worden.

Weiterführende Diagnostik versäumt

Allerdings hätte auch aus anderen Gründen – unabhängig

vom Übersehen der Rippenfraktur – die Fortführung der

Diagnostik mit einer computertomographischen Untersu-

chung der Thoraxorgane bereits am Aufnahmetag erfolgen

müssen. Denn der Patient war aufgrund der festgestellten

Beschwerdesymptomatik mit starken Schmerzen und Luft-

not als Notfallpatient in Arztbegleitung eingeliefert worden.

Nach der Röntgenaufnahme lag ein pathologischer Befund

vor, aber noch keine Diagnose, die zur Erklärung der Be-

schwerden und damit auch zur Therapie geführt hätte. Die

Unterlassung weiterführender Untersuchungen zur diagnos-

tischen Klärung war den Ärzten deshalb als weiterer Be-

handlungsfehler – im Sinne eines Befunderhebungsfehlers –

anzulasten, ebenso die Entlassung des Patienten nach Hau-

se ohne Diagnose und ohne Therapie. Gerade wegen seiner

Ablehnung einer stationären Aufnahme aus persönlichen

Gründen war eine definitive Abklärung der Beschwerden,

wenigstens aber eine Sicherungsaufklärung über die Folgen

der Ablehnung gegen Unterschrift erforderlich.

Als Gesundheitsschaden waren die durch verzögerte Be-

handlung des Hämatothorax bedingten Komplikationen

(hämorrhagischer Schock mit apparativer Beatmung und

die zehntägige intensivmedizinische Behandlung mit der

Entwicklung einer Begleitpneumonie) festzustellen. Mit

praktischer Gewissheit wäre dem Patienten bei sofortiger

Behandlung mit einer Bülaudrainage und Normalisierung

der Gerinnungswerte der komplikationsreiche Verlauf er-

spart geblieben.

Klaus-Dieter Grosser, Ulrich Smentkowski und Beate Weber

Gutachtliche Entscheidungen

197

Verkennen eines Hämatothorax