

Fehlerbedingte Ureterläsionen bei Operationen im kleinen Becken
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Gutachtliche Entscheidungen
Beispielfall
Ein Beispielfall soll die Entscheidungspraxis der Gutachter-
kommission verdeutlichen: Die 49-jährige Patientin wurde
in die belastete Frauenklinik wegen eines Uterus myomato-
sus mit Hypermenorrhoe, eines Descensus uteri et vaginae,
einer hyperaktiven Harnblase und einer Anämie zur Opera-
tion eingewiesen. Es zeigte sich mittels Spekulum ein „bis
ins untere Scheidendrittel deszendierter Uterus“, sonogra-
phisch ein „Uterus mit 8 cm großem Fundusmyom und
mehreren Myomknoten.“
Es erfolgte eine totale laparoskopische Hysterektomie durch
eine Assistenzärztin imWechsel mit dem Chefarzt und einer
Studentin im Praktischen Jahr. Intraoperativ zeigte sich
nach demOP-Bericht „ein monströs das kleine Becken kom-
plett ausfüllender Uterus myomatosus multilocularis, der
über das Promontorium herausragte.Die Ovarien waren zu-
nächst nicht einsichtig. Das rechte Ovar war durch einen
Endometrioseknoten adhärent.Der Douglas’sche Raumwar
verschlossen durch eine endometriosebedingte Adhäsion
des Rektums mit der Zervixhinterwand. Das linke Ovar
zeigte sich unauffällig. Es erfolgte eine Adhäsiolyse des Rek-
tums von der Zervixhinterwand und ein Abschieben des
Rektums von der Scheidenhinterwand bis zum Erreichen
des Musculus levator ani. Dann Adhäsiolyse des linken
Fimbrientrichters von der Zervixhinterwand.“
Weiter heißt es im Bericht: „Es zeigte sich, dass die gesamte
Hinterwand des Uterus von Endometriose infiltriert war
und beide Sacrouterinligamente einbezogen waren. Mani-
pulation des Uterus zusätzlich durch einen Myombohrer.
Es erfolgte eine bipolare Koagulation und Durchtrennung
des Ligamentum rotundum links, der Tube links und des
Ligamentum ovarii proprium. Spalten des Ligamentum la-
tum und Abschieben der Harnblase über die Manipulator-
kappe. Darstellen der Arteria uterina links. Bipolare Koagu-
lation über eine lange Strecke und Durchtrennung in Rich-
tung Manipulatorkappe. Gleiches Vorgehen auf der rechten
Seite, wobei hier das adhärente rechte Ovar vollständig ge-
löst wurde. Kolpotomie durch monopolare Nadel von ven-
tral beginnend, nach dorsal sich fortsetzend unter Mitnah-
me beider Sacrouterinligamente und des im Bereich des
rechten Parametriums sitzenden Myoms. Bergen des Uterus
nach vaginal in toto. Sorgfältige Blutstillung im Bereich des
Scheidenrandes. Inspektion des Rektums digital. Dieses ist
nicht verletzt. Kein thermischer Schaden sichtbar. Anschlie-
ßend sorgfältige Spülung. Es herrscht annähernd Bluttro-
ckenheit. Verschluss der Scheide durch fortlaufende Naht
mit Vicryl Stärke 1 unter separater Knotung beiderWundek-
ken. Einlage einer Robinson-Drainage durch den rechten
Unterbauchtrokar.“
Postoperativ ging es der Patientin zunächst gut. Die Drai-
nage förderte 550 ml am ersten postoperativen Tag, dann
100 ml/150 ml/200 ml an den Folgetagen und am fünften
postoperativen Tag 400 ml, jeweils als serös bezeichnete
Flüssigkeit. Die Drainage wurde an diesem Tag gezogen.
Verzeichnet wurden „spärlicher Stuhlabgang“ am 4. p.o.Tag
und dann ausbleibende Stuhlentleerungen bis zum siebten
postoperativen Tag.
Bei der Labordiagnostik zeigten sich folgende Entzün-
dungsparameter:Am ersten postoperativen Tag Leukozyten
14,6 bzw. 19,0 g/l, CRP 68 mg/l, anderntags Leukozyten
14,8 g/l, CRP 88 mg/l, am siebten postoperativen Tag Leu-
kozyten 19,4 g/l, CRP 169 mg/l.
Am sechsten postoperativen Tag wurden Schmerzen und
Erbrechen der Patientin notiert. Bei einer gynäkologischen
Untersuchung am siebten postoperativen Tag durch die mit-
operierende Assistenzärztin fand sich folgender Befund:
„SP unauff. SBS,ØDehiszenz, palp.Naht ØDehiszenz,Ø In-
duration. Sono Nieren bds. Ø gestaut E BV FA“.
Am siebten postoperativen Tag bestand ein diskreter Klopf-
schmerz des rechten Nierenlagers, sonographisch ohne er-
kennbaren Harnstau. Bei der Computertomographie zeigte
sich der hochgradige Verdacht auf eine rechtsseitige Ureter-
läsion mit Leckage in die Bauchhöhle und reichlich freie
Flüssigkeit. Daraufhin erfolgte am gleichen Tag eine pelvi-
skopische Revision durch den Chefarzt als Operateur. Nach
sorgfältiger kompletter Adhäsiolyse des Dick- und des
Dünndarms im kleinen Becken fand sich nach Gabe von
Methylenblau i.v. eine komplette Durchtrennung des Ure-
ters an der Kreuzungsstelle derArteria uterina mit dem rech-
ten Ureter. Der ebenfalls imVerfahren beschuldigte urologi-
sche Oberarzt wurde hinzugezogen und führte eine Psoas-
Hitch-Zipfelung der Harnblase mit Harnleiter-Neueinpflan-
zung und Einlage eines Doppel-J-Katheters durch.
Ohne Erwähnung einer Adnexexstirpation in den Opera-
tionsberichten, wurde im histologisch-zytologischen Be-
fund ein 6,2 x 4,0 x 2,5 messendes Adnektomiepräparat, be-
stehend aus demOvar,mit der 3,3 xv 1,7 x 1,2 cm angrenzen-
den Tube, welche bis 6,3 cm lang und bis zu 1,3 cm durch-
messend ist, beschrieben. Die Patientin wurde anschließend
in der Urologischen Klinik wegen der durch die Harnleiter-
verletzung ausgelösten Peritonitis erfolgreich behandelt
und zwei Wochen nach dem Ersteingriff entlassen.
Gutachterliche Beurteilung
Bei der Antragstellerin lag ein mehrknotiger Uterus myo-
matosus als Ursache von uterinen Blutungsstörungen vor,
woraus sich nachvollziehbar eine Indikation für eine Hyster-
ektomie ergab. Hierfür sprach auch, dass bei der Antragstel-
lerin eine arterielle Hypertonie behandelt wurde, wodurch
die Gabe von Hormonpräparaten abträglich bis kontraindi-
ziert war.
Bei der Operation wurde ein schwieriger Ausgangsbefund
vorgefunden, der einen mehrstufigen Operationsplan erfor-
derte. Notwendig war zunächst eine Adhäsiolyse zwischen
Uterushinterwand und Rektumvorderwand und dann die
Adhäsiolyse des linken Fimbrientrichters von der Zervix-
hinterwand. Dabei wurde festgestellt, dass die gesamte Hin-
terwand des Uterus von Endometriose infiltriert und beide
Sacrouterinligamente mit einbezogen waren. Darüber hin-
aus wurde eine Adhäsiolyse des adhärenten rechten Ovars
vorgenommen. Insgesamt ergab sich aber ein unübersicht-
liches Gesamtbild des inneren Genitale bei fehlender Be-
schreibung der Lateralausdehnung der Zervixkontur. Unter
den zitierten Gegebenheiten wäre es geboten gewesen, sich
über denVerlauf beider Ureter zu informieren und dies auch