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Die Gutachterkommission hat sich wiederholt mit ärztlichen

Sorgfaltsmängeln im Zusammenhang mit der Anlage von

Venenkathetern beschäftigen müssen. Die Punktionsstelle

eines zentralen oder peripheren Venenverweilkatheters ist

die häufigste Eintrittspforte für das Eindringen von patho-

genen Infektionserregern.Daher sind bei dessenAnlage und

Überwachung besondere Hygieneregeln zu beachten.

Auch sollten Verweilkatheter so früh wie möglich entfernt

werden, spätestens bei nachgewiesenen Entzündungszei-

chen. In der Literatur gelten als Standard für die zulässige

Verweildauer von peripheren Venenverweilkanülen bei Er-

wachsenen 48 bis 72 Stunden; sie ist zu dokumentieren. Die

Einstichstelle soll zwecks Kontrolle der lokalen Situation

täglich palpiert werden.

Da bei einer Entzündung mit akut aufkommendem und an-

haltendem hohen Fieber und bei einem steilen Anstieg des

Entzündungsparameters C-reaktives Protein (CRP) als Hin-

weis auf eine bakterielle Infektion immer auch an eine Sep-

sis zu denken ist, stellt die Abnahme von Blutkulturen die

wichtigste diagnostische Maßnahme dar. Hierbei sollten

wenigstens zwei Proben von jeweils 10 ml Blut aus verschie-

denen Venen entnommen und bei negativem Ergebnis 3- bis

5-mal wiederholt werden. Als weitere diagnostische Maß-

nahmen werden in der Literatur eine Abdomensonographie,

auch zum eventuellen Nachweis einer septischen Milzver-

größerung, und vor allem eine Echokardiographie mit der

Frage nach einer bakteriellen Endokarditis empfohlen.

Der Sachverhalt

Die Gutachterkommission hatte kürzlich einen zum Tode

führenden Krankheitsverlauf zu beurteilen, der sich aus den

Krankenunterlagen der beschuldigten Klinikwie folgt ergab:

Die 30-jährige Patientin war bis zum 17. August nicht ernst-

lich krank gewesen. An diesem Tage stellten sich nach der

Mittagsmahlzeit Übelkeit, Schwindel, Schweißausbruch und

eine Stunde später krampfartige Leibschmerzen sowie wäss-

rige Durchfälle ein. Dabei kam es zu kollapsähnlichen Kreis-

lauferscheinungen. Die Patientin stellte sich in der Ambulanz

der beschuldigten Klinik vor.

Die zur stationären Aufnahme führende Untersuchung er-

gab bei „gesunder Gesamterscheinung“ eine feuchte Haut,

einen niedrigen Blutdruck (95/55 mmHg) bei einer Herzfre-

quenz von 103/min, regelrechte physikalische Verhältnisse

über Herz und Lungen, einen normalen Bauchbefund und

insgesamt keinen auffälligen, diagnostisch wegweisenden

intern-neurologischen Status. Das Blutbild zeigte lediglich

eine leichte Erhöhung der weißen Blutkörperchen auf

10.8/nl (normal 4.0 bis 10.0/nl).

Serologische Untersuchungen des Blutes waren unauffällig.

Die Blutsenkungsgeschwindigkeit betrug 20/30 mm n. W.

(normal bei Frauen bis 11/20 mm). Ein HCG-Wert von un-

ter 1,0 U/l schloss eine Schwangerschaft aus. Eine Stuhl-

probe und Sonographie der Bauchorgane ergaben Normal-

befunde.

Die bei der Eingangsuntersuchung am 17. August festgestellte

Sinustachykardie mit einer vor allem in den Brustwandab-

leitungen des EKG ausgeprägten Störung des Erregungs-

rückgangs wurde am 24. August durch ein zweites EKG kon-

trolliert, das wiederum eine Sinustachykadie (109/min) und

formal gleichartige, quantitativ etwas geringer ausgeprägte

Kammerendteilveränderungen zeigte. Bei der Kontrolle am

26. August kamen diese Veränderungen wieder stärker zur

Geltung und entsprachen etwa demEKG-Befund vom 17. Au-

gust.

Anlegen einer Braunüle

Im Laufe des 17. August stieg der Blutdruck auf 105/95 mm

Hg. Die noch dreimal auftretenden Durchfälle enthielten

keine Blut- oder Schleimbeimengungen. Im Bereich der la-

teralen rechten Ellenbeuge wurde eine Braunüle intravenös

angelegt. Hierüber wurden 1000 ml Jonosteril

®

(Kochsalz-

Elektrolytlösung) infundiert. Am 18. und 19. August erhielt

die Patientin weitere Infusionen von jeweils 1000 ml Jono-

steril

®

und 1000 ml 5-prozentiger Glukoselösung. Sonstige

Medikamente wurden bis zum Abend des 20. August nicht

verordnet. Am 18. August hatte die Patientin nur noch ein-

mal Durchfall und war imÜbrigen „unauffällig“; am 20. Au-

gust „fühlte sie sich (tagsüber) besser“.An diesemTage wur-

de die Infusionsbehandlung beendet. Die Braunüle wurde

am 21. August „wegen einer beginnenden lokalen Entzün-

dung“ gezogen und die Region „vorsorglich mit Rivanol

®

-

Salbe behandelt“.

Am Abend des 20. August trat gegen 20.15 Uhr Fieber auf

(38,6°C, nach der späteren Stellungnahme des Arztes

39,6°C). Am 21. August abends wurde eine Temperatur von

39,4°C dokumentiert. Zur symptomatischen Behandlung

des Fiebers wurden am 20. August abends Novalgin

®

Trop-

fen (Metamizol), am 21.August Paracetamol

®

Zäpfchen und

ab 22. August zusätzlich morgens und abends ein Zäpfchen

Voltaren

®

50 mg (Diclofenac) verordnet, nachdem die Patien-

tin Beschwerden im Bereich der linken Schulter geäußert

hatte. Bis zum 26. August waren die Temperaturen remittie-

rend bis intermittierend.

Die Laboruntersuchungen hatten – im Wesentlichen – fol-

gende Ergebnisse:

Am 20.08. (8.00 Uhr): Unauffälliges weißes (4,9/nl Leu-

kozyten) und rotes Blutbild, normale Thrombozytenzahl,

leichte Erhöhung des CRP auf 2,10 mg/dl

(normal 0,0 bis 1.0), im Stuhl keine pathogenen Erreger.

Am 23. August: Anstieg der Leukozyten auf 10,3/nl und

des CRP auf 22,6 mg/dl.

Am 26. August: Leukozyten 6,7/nl, Abfall der roten Blut-

körperchen von vorher 4,23 auf 3,97/pl (normal 4,2 bis

6,3/pl), des Hämoglobins von bisher 13 auf 11,9 g/dl

(normal 12 bis 18 g/dl), und des Hämatokrit von bisher

Überwachung einer Venenkatheteranlage

Ärztliche Sorgfaltsmängel vermeiden

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Gutachtliche Entscheidungen