

Die Gutachterkommission hat immer wieder Sachverhalte
zu beurteilen, in denen vermeidbare Behandlungsfehler die
frühzeitige Diagnose eines Mammakarzinoms verhinderten
und damit zu teils erheblichen Gesundheitsschäden führten.
Bereits in der April-Ausgabe 1998 des
Rheinischen Ärzteblat-
tes (Seite 6)
hatte die Gutachterkommission einen entspre-
chenden Hinweis veröffentlicht
(siehe auch Seite 37, „Hin-
weis der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler“)
.
Auch nach dieser Veröffentlichung musste die Kommission
weitere Fälle einer mangelhaften Diagnostik beanstanden.
Beispielhaft werden die beiden nachfolgenden Sachverhalte
geschildert.
Behandlungsfehler eines Gynäkologen
Bei einer Vorsorgeuntersuchung am 15. Juli tastete der be-
schuldigte Gynäkologe bei der 35-jährigen Patientin eine
knotige fibrozystische Formation imoberen äußeren Bereich
der rechten Brust. Aufgrund der familiären Anamnese galt
die Frau als Risikopatientin, was der Arzt wusste. Er veranlass-
te eine Mammographie, die der Radiologe wie folgt beurteilte:
„Altersentsprechender mammographischer Befund; kein
Anhalt für Malignität. Die klinisch rechts tastbaren kleinen
Verdichtungsareale heben sich im Röntgenbild nicht ab. So-
nographisch erkennt man zwei kleine 9 x 2 und 5 x 2 mm
große, fast echofreie Areale; es könnte sich hierbei um kleins-
te zystische Prozesse handeln. Der Befund sollte jedoch in
kurzfristigen Abständen klinisch überwacht werden.“
Ob der Überwachungshinweis des Radiologen der Patientin
mitgeteilt worden ist, ergibt sich aus der Dokumentation
nicht. Am 21. September des folgenden Jahres stellte sich die
Patientin dem Gynäkologen wieder vor, der eine Größenzu-
nahme des Knotens feststellte. Die von ihm veranlasste
Mammographie, ergänzt durch eine Sonographie vom sel-
ben Tage, wurde wie folgt beurteilt:
„Unauffälliger mammographischer Befund. Sonographisch
lassen sich die beiden rechtsseitig tastbaren Knoten gut dar-
stellen; es handelt sich am ehesten um Zysten. Im Vergleich
zur Voruntersuchung allerdings deutliche Wachstumsten-
denz des etwas größeren Knotens. Es sollte eventuell doch
eine histologische Klärung überlegt werden.“
In der Dokumentation des Gynäkologen finden sich in der
Folgezeit keine weiteren Eintragungen, auch nicht darüber,
ob die vom Radiologen aufgeworfene Frage einer histologi-
schen Klärung mit der Patientin erörtert worden ist und ob
ihr weitere Kontrolluntersuchungen nahegelegt wurden.
Der Arzt hat erst im Verfahren vor der Gutachterkommissi-
on die – von der Patientin bestrittene – Behauptung aufge-
stellt, die Patientin habe eine histologische Untersuchung
abgelehnt.
Die Patientin erschien erst imApril des übernächsten Jahres
wieder in der Praxis des Gynäkologen. Er stellte eine weitere
Vergrößerung des Knotens fest. Der Befund des Radiologen
über das Ergebnis der am 26. April durchgeführten Mam-
mographie und Sonographie lautete: „Im Mammogramm
Nachweis eines unscharf begrenzten Verdichtungsherdes
rechts oben außen, der gegenüber derVoruntersuchung wei-
ter an Größe zugenommen hat. Der Herd hat sonographisch
jetzt einen Durchmesser von 13 x 11 mm. Histologische Klä-
rung dringend erforderlich.“
Die feingewebliche Untersuchung des zunächst entnomme-
nen tastbaren Knotens ergab, dass es sich um ein 3 cm großes,
invasives Karzinom vom duktalen Typ mit tubulärer Diffe-
renzierung handelte (Tumorstadium pT2, N1, Mx, G2).
Die aufgrund dieses Ergebnisses in einer zweiten Operation
vorgenommene Entfernung des äußeren Quadranten deck-
te ein weiteres, etwa 1 cm großes intraduktales Karzinom
auf.Von den entfernten axillären Lymphknoten waren zwei
von multifokalen Mikrometastasen durchsetzt; ein Kapsel-
durchbruch war nicht vorhanden.
Die nachfolgende (sachgerechte) Therapie war nicht Gegen-
stand des Verfahrens.
Gutachtliche Beurteilung
Die Gutachterkommission bewertete das Verhalten des Gy-
näkologen in Übereinstimmung mit einem fachsachverstän-
digen Gutachten wie folgt:
Bei der Vorsorgeuntersuchung am 15. Juli fehlten im Mam-
mogramm noch eindeutige Hinweise für ein pathologisches
Geschehen im rechten oberen äußeren Brustabschnitt,
wenngleich an umschriebener Stelle in einer Ebene bereits
eine beginnende Strukturänderung auffiel, so dass die Not-
wendigkeit zu kurzfristigen Befundüberprüfungen bestand,
auf die auch der Radiologe ausdrücklich hingewiesen hatte.
Die Gutachterkommission konnte nicht mehr ermitteln, aus
welchen Gründen diese Überprüfung erst nach 19 Monaten
stattfand. Zu diesem Zeitpunkt war mammographisch im
Vergleich zu den Voraufnahmen vom 15. Juli eine Größen-
zunahme des Herdes im rechten oberen Quadranten eindeu-
tig zu sehen. Im Hinblick auf die Wachstumstendenz hatte
der Radiologe zu Recht die Frage einer histologischen Klä-
rung aufgeworfen.
Die Gutachterkommission war der Auffassung, dass der Gy-
näkologe, nachdem er von dem Befund Kenntnis erhielt,
diese Frage unverzüglich mit der Patientin zu erörtern hat-
te. Schon zu diesem Zeitpunkt war die Entfernung des tast-
baren und sonographisch wie mammographisch dargestell-
ten Knotens dringend angezeigt. Aus den Unterlagen des
Arztes ergibt sich nichts dafür, dass er die hier notwendigen
Maßnahmen in die Wege geleitet hat. Seine spätere Erklä-
rung, die Patientin habe die empfohlene Probeexzision ab-
gelehnt, konnte den Arzt mangels Dokumentation nicht ent-
lasten.
Mammakarzinom
Diagnostische Versäumnisse verhindern rechtzeitige Behandlung
Gutachtliche Entscheidungen
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