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Jahresbericht 2016

Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein

Ärztekammer

Nordrhein

therapeutischen Möglichkeiten werden diese ‚Risi-

kobereiche‘ nicht kleiner“, sagte Gaidzik. Auch die

Kombination aus zunehmender Arbeitsteilung in

den Kliniken, dem Zwang zur Wirtschaftlichkeit

und unzureichender Personalausstattung verstärkt

nach seinem Eindruck „die Tendenz, ärztliches

und pflegerisches Handeln als ‚gefahrgeneigte Tä-

tigkeiten‘ betrachten zu müssen".

Dabei sei es problematisch, dass der Bereich

der Organisationshaftung keiner systematischen

gerichtlichen Kontrolle zugänglich sei: Organisa-

tionsdefizite im Klinikbetrieb spiegeln sich laut

Gaidzik nur selten in der individuellen Behand-

lungsdokumentation nieder, in die allein der Pa-

tient nach geltender Rechtslage ein Einsichtsrecht

besitze. Also werde der Patient kaum erfahren, „ob

und inwieweit ein schadensstiftender Fehler in der

Behandlung das Resultat eines Konzentrations-

mangels des übermüdeten Assistenzarztes oder sei-

ner unguten Erfahrungen mit der Reaktion seines

mehrfach aus dem Schlaf gerissenen fachärztlichen

Hintergrunds darstellt“.

Neue Wege im Prozessrecht

Deswegen plädiert Gaidzik für neue Wege im

Prozessrecht – etwa nach dem anglo-amerikani-

schen Vorbild des „Pre-Trial Discovery“. Dies sei

eine richterlich geleitete Untersuchung vor dem

eigentlichen Rechtsstreit, die die Vernehmung von

Zeugen oder die Vorlage von Dokumenten erzwin-

gen kann, um potenziell relevante Fakten zu iden-

tifizieren und als Beweismittel für den nachfolgen-

den Prozess zu sichern.

Gefahrenneigung nimmt zu

Gerade in der Anfangszeit ihrer Tätigkeit sei

die Arbeit der Gutachterkommission immer wie-

der Kritik ausgesetzt gewesen, sagte Professor Dr.

med. Peter W. Gaidzik, Rechtsanwalt und Lei-

ter des Instituts für Medizinrecht an der Fakultät

für Gesundheit (Department für Humanmedizin)

der Universität Witten/Herdecke, in seinem Fest-

vortrag. Immer wieder seien die Nähe zur Ärzte-

kammer und die teilweise Finanzierung durch die

Haftpflichtversicherer als Hinweise auf eine Be-

fangenheit der Kommission angeführt worden.

Nach nunmehr 40 Jahren lasse sich eindeutig

feststellen, „dass es für eine solche Voreingenom-

menheit der letztlich ehrenamtlich tätigen Gut-

achter keinerlei tragfähigen Beleg gibt“, stellte

Gaidzik fest. Zahlreiche Untersuchungen auch

kritischer Autoren hätten gezeigt, dass sich die An-

erkennungsquoten nicht nennenswert von den –

allerdings lückenhaften – Zahlen aus der Gerichts-

praxis unterscheiden. Der Anteil festgestellter

Behandlungsfehler sei auch beim Medizinischen

Dienst der Krankenkassen nicht höher als bei den

Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen,

was als Beweis für deren Objektivität gewertet wer-

den könne.

Auch für die methodische Qualität der Begut-

achtung habe sich die Kommission eingesetzt. Die

hohe Bestätigungsquote in Gerichtsverfahren, die

sich mitunter an das Schlichtungsverfahren an-

schließen, ist auch auf die regelmäßigen Fortbil-

dungen für die Gutachter zurückzuführen, glaubt

Gaidzik.

Nach seinen Worten ist die Begutachtung über

viele Jahre hinweg ein „Stiefkind“ der ärztlichen

Ausbildung, der Weiterbildung und der Fortbil-

dung gewesen. Dabei handele es sich hierbei nicht

bloß um einen „Appendix der kurativen Berufs-

ausübung“, sondern um einen „anspruchsvollen

Teilbereich mit erheblicher gesellschaftlicher Re-

levanz“. Inzwischen gebe es viele Aktivitäten der

Bundesärztekammer und zahlreicher Fachgesell-

schaften, um ein wissenschaftliches Fundament

für die Begutachtung zu legen.

Die Arbeit der Gutachterkommission wirke über

die Streitschlichtung im Einzelfall hinaus, sagte

der Festredner. So habe die Kommission bereits

früh begonnen, ihren wertvollen Fundus medizini-

scher Fallbeispiele zu Fortbildungszwecken in „Ri-

sikobereichen ärztlichen Handelns“ aufzubereiten.

„Mit den immer besser werdenden diagnostischen

und – leider nicht immer in demselben Ausmaß –

Den Tätigkeitsbericht sowie

das neue Statut der Gutachter-

kommission für ärztliche Be-

handlungsfehler bei der Ärzte-

kammer Nordrhein finden Sie

zusammenmit der statistischen

Übersicht unter

www.aekno.de/

Gutachterkommission

.

Festredner Professor Dr. Peter W. Gaidzik:

Die ärztliche Begutachtung ist mehr als ein

Appendix der kurativen Berufsausübung,

sie ist ein anspruchsvoller

T

eilbereich mit

erheblicher gesellschaftlicher Relevanz.