

In den zwischen 2008 bis einschließlich 2012 abgeschlosse-
nen Verfahren zu Patientenbeschwerden wegen Diagnostik
und Behandlung einer distalen Radiusfraktur stellte die Gut-
achterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der
Ärztekammer Nordrhein in 33 der 69 einschlägigen Fälle
diagnostische und behandlungsbedingte Einzelfehler fest.
Das entspricht einer Behandlungsfehler-Quote von
47,8 Prozent (2003–2007: BF-Quote 49,4 Prozent). Nach-
folgend ein Beispielfall:
Sachverhalt
Die nach einem apoplektischen Insult links halbseitig ge-
lähmte 89-jährige Patientin zog sich am 23. Juni bei einem
Sturz eine distale Radiusfraktur rechts sowie eine Schulter-
prellung zu. Die Röntgenaufnahmen vom Unfalltag zeigten
im seitlichen Strahlengang eine Abkippung des distalen
Radiusfragmentes um etwa 10° nach dorsal und im a. p.
Strahlengang eine weitgehend achsengerechte Fraktur-
steIlung.
Die Patientin wurde daraufhin in der erstbelasteten Klinik
stationär aufgenommen.Man vereinbarte, die Radiusfraktur
operativ zu versorgen. In Anwesenheit ihrer Tochter wurde
die Patientin über den Eingriff und die Risiken aufgeklärt
und die Tochter unterschrieb für die Mutter die Einwilli-
gungserklärung. Nach entsprechender Vorbereitung erfolg-
te am 30. Juni der operative Eingriff.
Laut Operationsbericht wurde die Radiusfraktur zunächst
geschlossen reponiert, dann wurde seitlich, durch den Pro-
cessus styloideus radii hindurch, ein Kirschner-Draht einge-
bracht. Der Operateur äußerte sich im OP-Bericht dahinge-
hend, ein weiterer Kirschner-Draht sei wegen der ausgepräg-
ten Osteoporose nicht sinnvoll gewesen,weil er im Knochen
keinen Halt gefunden hätte. Er empfahl, das Handgelenk
für die Dauer von vier Wochen in einer Gipsschiene ruhigzu-
stellen.
Den Aufzeichnungen in den Krankenblättern und der Pfle-
gedokumentation zufolge verlief der stationäre Aufenthalt
weitgehend störungsfrei. Es wurden Schmerzmittel verab-
reicht und die Patientin wurde krankengymnastisch be-
treut. Am 2. Juli wechselte man den Gipsverband. Für den
5. Juli ist festgehalten, dass der Gipsverband auf die Finger
drücke, diese aber an diesemTag weniger geschwollen seien
als zuvor. Am 14. Juli wurde die Patientin bei reizlosen
Wundverhältnissen entlassen. Im Entlassungsbericht
an den Hausarzt wurde eine chirurgische Kontrolle empfoh-
len.
Der weitere Verlauf ist der Stellungnahme des Geschäftsfüh-
rers der Klinik zu entnehmen, der als niedergelassener Arzt
die Nachbehandlung vornahm. Demnach musste zwei
Wochen später die Gipsschiene wieder entfernt werden,weil
die Patientin mit dem Verband nicht zurechtkam.
Frakturdislokation mit Re-Osteosynthese
Am 21. Juli wurde eine Röntgenkontrollaufnahme des Hand-
gelenks angefertigt und eine neuerliche Dislokation der Ra-
diusfraktur festgestellt. Auf den Aufnahmen waren eine ge-
ringfügige Sinterung der Fraktur und eine mäßige Subluxa-
tionsstellung des Handgelenkes bei gleichbleibender dorsa-
ler Abkippung des distalen Radiusfragmentes festzustellen.
Es erfolgte in derselben Klinik eine Re-Osteosynthese. Der
genaue Zeitpunkt der Operation war wegen fehlender Unter-
lagen nicht festzustellen. Bei dieser Operation wurde eine
dorsale Plattenosteosynthese
durchgeführt.Eskam offenbar
zu einer reizlosen Wundheilung.
Tabelle 1: Festgestellte Einzelfehler* in den bei Vorwürfen
zur Diagnostik und Behandlung einer distalen Radiusfraktur ab-
geschlossenen Verfahren der Jahre 2008 bis 2012
2008–2012
BF
bejaht
Begründete Vorwürfe zur distalen Radiusfraktur
33
(n=69 in 7.109 Verfahren)
davon Einzelfehler*
1. Erkennung:
Unzureichende Untersuchung (3),
13
Rö verkannt (4)/versäumt (1), keine Rö-Kontrolle (2),
Sudeck verkannt (1), Verband als Nichtbehandler
gegen Patientenwillen gepru
̈
ft (1), MRT-Befund nicht
zur Kenntnis genommen (1)
2. Erstbehandlung:
Ruhigstellung versäumt (1),
2
unzureichender Gips (1)
3. OP-Indikation:
nicht (4)/fehlerhaft gestellt (2)
6
4. Fehlende Sicherungsaufklärung uber:
Rö-Kontrolle (3),
5
engmaschige Befundkontrolle (1), ausgetretenes
resorbierbares Biomaterial (1)
5. Fehlerhafte OP:
Ungenu
̈
gende Reposition (9),
23
Schraubenu
̈
berlänge (3), keine Stabilität (2), Platten-
fehllage (2), falsche Plattenwahl (1), K.-Drähte statt
Platte (1), Fragment nicht fixiert (1), gelenkbildendes
Knochenstu
̈
ck nicht angehoben (1), Radioulnargelenk-
sprengung belassen (1), Rev.-OP mit Gelenkstufe (2)
6. Postoperativ:
Gelenkstufe (2)/Schraubenfehlpositio-
17
nie-rung verkannt (1), bei Achsfehlstellung keine WV
beim Operateur veranlasst (1), Infektion (1)/Sudeck ver-
kannt (2), Behandlung vorzeitig beendet (1), Gipsruhig-
stellung unnötig (1)/zu kurz (1), Rev.-OP verzögert (1)/
versäumt (1), ME verspätet (2)/verfru
̈
ht (1)/ohne ge-
eignetes Instrumentarium (1), Magnetisierbarkeit des
Fixateurs am Patienten gepru
̈
ft (1)
7. Risikoaufklärung:
keine Info u
̈
ber Biomaterial
1
versus Spongiosa (1)
* Mehrfachnennung; BF=Behandlungsfehler
Behandlungsfehler bei distaler Radiusfraktur
Etwa ein Prozent der Patientenbeschwerden in nordrheinischen Begutachtungen entfällt
auf die Diagnostik und Behandlung einer distalen Radiusfraktur
Gutachtliche Entscheidungen
201