

durchbohren müssen. Wegen der fehlenden Übungsstabili-
tät der Osteosynthese muss anschließend eine Gipsruhig-
stellung für die Dauer von drei bis vier Wochen eingeplant
werden. Diese Grundsätze wurden hier fehlerhaft außer
Acht gelassen.
Führung der Patientin
Nachdem bei der Patientin der einzelne Kirschner-Draht
keine ausreichende Stabilität bot, ferner der Gipsverband
von ihr nicht toleriert wurde und bereits zwei Wochen nach
der Operation wieder entfernt werden musste, bestand ein
erhöhtes Risiko, dass die noch nicht knöchern konsolidier-
te Fraktur erneut dislozieren könnte.
Ein nachvollziehbarer Grund für die mangelnde Akzeptanz
des Gipsverbandes war möglicherweise das sich unter der
Haut vorwölbende Kirschner-Draht-Ende, auf das der Gips-
verband drückte und so die Schmerzen auslöste. Möglicher-
weise hätte man das Drahtende jetzt kürzen oder den Gips-
verband an der empfindlichen Stelle stärker polstern können.
Revisionsoperation
Nachdem die am 21. Juli durchgeführte Röntgenkontrollauf-
nahme des Handgelenkes eine geringfügige Sinterung der
Fraktur und eine mäßige Subluxationsstellung des Handge-
lenkes bei gleichbleibender dorsaler Abkippung des distalen
Radiusfragmentes zeigte, war der Entschluss für die Re-
visionsoperation aufgrund der Subluxationsstellung des
Handgelenkes verständlich.Gleichwohl hätte man sich auch
jetzt vorstellen können nicht zu operieren, die Stellung der
Fraktur zu belassen, den Kirschner-Draht nach vier bis fünf
Wochen zu entfernen und das Handgelenk anschließend
intensiv zu beüben.
Die Entscheidung für eine Re-Osteosynthese durch die An-
lage einer Osteosyntheseplatte von dorsal, mit der die Frak-
tur weitgehend übungsstabil fixiert wurde, war dennoch
richtig. Die Operation machte einen Gipsverband überflüs-
sig und ermöglichte eine frühfunktionelle Nachbehandlung.
Die Röntgenaufnahmen des Handgelenkes nach dem Ein-
griff zeigen aber, dass diese Platte zu weit distal liegt,was ein
Hindernis für die Streckbewegungen des Handgelenkes ge-
wesen sein konnte. Zudem ist die Radiusgelenkfläche nicht
stufenlos wiederhergestellt worden. Man sieht im seitlichen
Röntgenbild eine Defektzone und eine Gelenkstufe – alles
in allem kein überzeugendes Operationsergebnis.
Dennoch bestand auch nach dieser Operation die Möglich-
keit, die Radiusfraktur mit einem akzeptablen funktionellen
Ergebnis zurAusheilung zu bringen.Dazu hätteman das Hand-
gelenk bald nach der Operation möglichst intensiv bewegen
und das Osteosynthesematerial frühzeitig entfernen sollen.
Zweitbeschuldigte Klinik
Die am 19. August erfolgte sehr aufwändige Revisionsope-
ration wäre in dieser Form nicht notwendig gewesen: Zwar
war es richtig, die Lage der Osteosyntheseplatte als Streck-
hindernis für das Handgelenk zu bezeichnen, doch hätte in
Anbetracht des hohen Alters der Patientin und der bereits
vorausgegangenen Operationen auf einen weiteren Eingriff
verzichtet werden sollen. So schlecht stand die Radiusfrak-
tur auch nach der Plattenosteosynthese nicht, als dass man
das Handgelenk nicht hätte weiter mobilisieren können.
Das Argument des Operateurs, die Patientin sei aufgrund
der Hemiparese der Gegenseite auf die verletzte Hand ange-
wiesen gewesen, weshalb die Fraktur habe operiert werden
müssen, überzeugt nicht. Sofern nach Abheilung der Frak-
tur störende Bewegungseinschränkungen im Handgelenk
verblieben wären, hätte das Osteosynthesematerial entwe-
der vorzeitig entfernt oder nach der Materialentfernung
eine Korrekturoperation durchgeführt werden können.
Unübliches Osteosyntheseverfahren
Die Ärzte wählten mit der volaren Platte bei der in situ be-
lassenen dorsalen Platte zudem ein Verfahren, dessen Sinn
nicht nachzuvollziehen ist. Hatte man sich schon dazu ent-
schlossen, das vermeintlich inakzeptable Operationsergeb-
nis zu korrigieren, dann wäre es richtig gewesen, zunächst
die dorsale Platte zu entfernen, die Fraktur neu einzurich-
ten, in den Frakturspalt eventuell Knochen zu übertragen
und den Radius erneut mit einer dorsal angelegten Platte zu
stabilisieren.
Demnach waren sowohl die Indikation zu der Revisions-
operation als auch die Wahl des Osteosyntheseverfahrens
der Situation nicht angemessen. Auf den postoperativen –
nur in Papierform vorliegenden – Röntgenaufnahmen ist
das Operationsergebnis nicht beurteilbar.
Zusammenfassung
Der Ersteingriff am 30. Juni war nicht erforderlich. Die
kaum verschobene distale Radiusfraktur hätte konservativ
behandelt werden sollen. Dies wäre die sinnvollere und
komplikationsärmere Behandlungsalternative gewesen.
Zudem war die Kirschner-Draht-Osteosynthese technisch
unzureichend.
Durch die vorzeitige Entfernung des ruhigstellenden Gips-
verbandes am 14. Juli kam es zu einer Verschiebung der
Fraktur mit mäßiger Subluxationsstellung des Handgelen-
kes, die einen weiteren Eingriff rechtfertigte.
Bei der dorsalen Plattenosteosynthese wurde die Radiusge-
lenkfläche jedoch nicht vollständig wiederhergestellt. Der
Operateur brachte die Platte zudem zu weit distal ein, was
zur Störung der Streckbewegung im Handgelenk führte.
Dennoch hätte man das Operationsergebnis belassen kön-
nen, da es sehr wahrscheinlich zu einer akzeptablen funk-
tionellen Ausheilung der Radiusfraktur gekommen wäre.
Der Revisionseingriff in der zweitbeschuldigten Klinik am
19. August war nicht zwingend erforderlich und in der Art
und Weise, wie er durchgeführt wurde, der Situation nicht
angemessen.Das bei dieser Operation angewandteVerfahren–
das Einbringen einer zusätzlichen volaren Platte bei liegen-
der dorsaler Platte –war fehlerhaft. Die Fraktur hätte erneut
mit einer dorsalen Platte versorgt werden müssen.Das funk-
tionell schlechte Ergebnis mit anhaltenden Beschwerden im
Handgelenk war die Folge der festgestellten Sorgfaltsmängel.
Othmar Paar, Ulrich Smentkowski und Beate Weber
Gutachtliche Entscheidungen
203
Behandlungsfehler bei distaler Radiusfraktur