

Akute kreislaufwirksame Blutungen nach Unfällen oder als
Komplikation chirurgischer Eingriffe machen, außer einer
Infusionsbehandlung, häufig auch eine Bluttransfusion not-
wendig. Dagegen verlaufen postoperative Nachblutungen
zumeist protrahiert und machen sich ohne Behandlung erst
allmählich durch eine Anämie und Flüssigkeitsmangel be-
merkbar. Um dem entgegenzuwirken, sind nach einer Ope-
ration nicht nur Blutbildkontrollen und die Überprüfung
der Blutmenge in den Redonflaschen erforderlich, sondern
auch die Beurteilung des Allgemeinzustandes des Patienten.
Ohne Therapie führt der anhaltende Blutverlust zu einer
Verringerung der zirkulierenden Blutmenge – sie ist wichtig
um die Kreislaufzirkulation aufrechtzuerhalten – und zu ei-
ner Abnahme der Erythrozyten – diese dienen dem Sauer-
stofftransport im Blut – was zu ernsthaften Komplikationen
führen kann. Während jüngere Patienten ohne nennens-
werte Vorerkrankungen eine Abnahme des Blutvolumens –
Richtwert ist der Hämatokrit – bis zu 50 Prozent der zirku-
lierenden Blutmenge ohne eine Bluttransfusion regelmäßig
schadlos überstehen, sofern gleichzeitig Infusionen verab-
reicht werden, muss bei älteren Patienten häufig bereits bei
einem Hämatokritwert von 30 Prozent eine Bluttransfusion
erwogen werden.Ähnlich verhält es sich mit den Erythrozy-
ten und den Hämoglobinwerten im Blut. Entsprechend der
allgemeinen Lehrmeinung sollen Bluttransfusionen erst bei
Hämoglobinwerten zwischen 6 und 8 g/dl durchgeführt
werden.Das bedeutet, dass bei jüngeren und sonst gesunden
Patienten erst bei einem Hämoglobinwert von 6 g/dl und
darunter eine Bluttransfusion zu erwägen ist, während bei
älteren Patienten diese Grenze bereits bei einem Hämoglo-
binwert von 8 g/dl erreicht sein kann.Vor elektiven Eingrif-
fen, die einen größeren Blutverlust erwarten lassen,wird zu-
dem Eigenblut entnommen und bei Bedarf retransfundiert.
Sachverhalt
Die bereits zweimal an der Hüfte voroperierte 50-jährige
Patientin wurde wegen unverändert starker Schmerzen am
7. November in der beschuldigten Klinik stationär aufge-
nommen. Zuvor hatte sie Blut gespendet, damit für die ge-
plante Hüftoperation Eigenblutkonserven bereitgestellt
werden konnten. Das Blutbild bei der Aufnahme ergab ei-
nen Hämatokritwert von 35 Prozent (Richtwert 36 bis 46
Prozent), einen Hämoglobinwert von 11,3 (Richtwert 12 bis
16 g/dl) und Erythrozyten von 3,91 (Richtwert 4,1 bis 5,4).
Bei der Operation am 8. November wurde statt der vorgese-
henen Kurzschaftprothese ein normaler Prothesenschaft
implantiert. Der Eingriff verlief komplikationslos.
Nach der Operation kam es zweimal zu einem Blutdruckab-
fall bis 80/40 mmHg, das letzte Mal während der dem Ein-
griff folgenden Nacht, wobei aus den Unterlagen nicht er-
sichtlich ist, ob der von den Krankenschwestern verständig-
te diensthabende Arzt die Patientin auch tatsächlich unter-
sucht hat. Noch am Operationstag mussten die mit Blut voll-
gelaufenen Redonflaschen gewechselt werden, sodass bis
zur Entfernung der Wunddrainagen am 10. November die
Patientin etwa 1,1 Liter Blut verloren hatte. Nach der Opera-
tion erhielt sie insgesamt 1.500 ml einer Infusionslösung.
Danach wurden die Infusionen eingestellt. Die Blutbildkon-
trolle am 9. November ergab einen Hämoglobinwert von 7,4
g/dl und einen Hämatokritwert von 24 Prozent, während
die Erythrozyten auf 2,5 abgesunken waren. In der Folge
klagte die Patientin über Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwin-
delanfälle und über ein zunehmendes Schwächegefühl.
Weder eine neurologische Untersuchung noch das CCT
waren auffällig. Bei reizlosenWundverhältnissen und mobi-
lisiert an Unterarmgehstützen wurde die Patientin am
19.November in die hausärztlicheWeiterbehandlung entlas-
sen. Eine Blutbildkontrolle war seit dem 9. November nicht
mehr erfolgt.
Nach der Entlassung stellte der Hausarzt eine behandlungs-
bedürftige Anämie (Hämoglobinwert 7,8 g/dl) fest und ver-
anlasste die Verabreichung der beiden bereitgestellten Ei-
genblutkonserven. Daraufhin besserte sich umgehend der
Allgemeinzustand der Patientin, sodass sie an der geplanten
Rehabehandlung teilnehmen konnte. Das Blutbild am 1. De-
zember ergab einen Hämoglobinwert von 10,8 g/dl. Nach
der Rehabehandlung konnte das operierte Bein ohne Unter-
armgehstützen voll belastet und das Hüftgelenk bis 90 Grad
gebeugt werden.
Gutachterliche Beurteilung
Hinsichtlich der Operation des Hüftgelenkes am 8. Novem-
ber konnte die Gutachterkommission keinen vorwerfbaren
Behandlungsfehler feststellen. Der Eingriff war (zumindest
vertretbar) indiziert und die Hüftprothese wurde korrekt
implantiert. Auch die Entscheidung, statt der ursprünglich
geplanten Kurzschaftprothese einen normalen Prothesen-
schaft einzusetzen, war nicht zu bemängeln.
Anders liegen die Umstände nach der Operation. Nach An-
sicht der Gutachterkommission sind den Ärzten insoweit
mehrere Behandlungsfehler vorzuwerfen, und zwar eine in-
adäquate Infusionstherapie, das Unterlassen weiterer Blut-
bildkontrollen, nachdem am 9. November eine deutliche
postoperative Anämie festgestellt worden war, und schließ-
lich der Entschluss der Ärzte, trotz klinischer Hinweise auf
eine möglicherweise persistierende Anämie und/oder einen
Flüssigkeitsmangel, auf eine Blutübertragung zu ver-
zichten.
Postoperative Infusionsbehandlung
Am Operationstag wurden insgesamt 1.500 ml einer Infu-
sionslösung verabreicht und die Infusionstherapie danach
beendet. Obwohl den Unterlagen der belasteten Klinik zu
entnehmen ist, dass die Patientin durchgehend an Schwin-
delanfällen, Übelkeit, Kopfschmerzen und einem zuneh-
menden Schwächegefühl litt und damit in Erwägung zu
ziehen war, dass die Beschwerden durch ein klinisch wirk-
sames Flüssigkeitsdefizit verursacht wurden, ist nicht
dokumentiert, dass die belasteten Ärzte entsprechende dif-
ferenzialdiagnostische Überlegungen anstellten und unter
anderem an einen chronischen Flüssigkeitsmangel dachten,
Verzögerte Behandlung einer postoperativen Anämie
Beachtung der Leitlinien bei einer Bluttransfusion immer erforderlich?
Gutachtliche Entscheidungen
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