

Der am dritten Behandlungstag festgestellte deutliche CRP-
Anstieg auf 31,0 mg/l konnte nachvollziehbar aufgrund der
Urinuntersuchungen mit einer Harnwegsinfektion in Ver-
bindung gebracht werden. Als aber am sechsten Tag unter
antibiotischer Therapie mit Cotrim forte
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eine massive Er-
höhung des CRP-Wertes auf 170,4 mg/l bei mäßiger Kalium-
erniedrigung festgestellt wurde, hätte spätestens zu diesem
Zeitpunkt zwingend eine ausführliche, klinische Ganz-
körperuntersuchung sowie eine weiterführende Diagnostik
erfolgen müssen. So wäre zum einen eine Urinkontrolle er-
forderlich gewesen, um ein Fortbestehen der Harnwegs-
infektion zu bestätigen oder auszuschließen. Weiterhin lag
eine Röntgenuntersuchung der Lunge nahe, da eine Pneu-
monie in dieser Altersgruppe häufig ist; diese wurde aber
erst behandlungsfehlerhaft verspätet am neunten Tag
durchgeführt, als sich ein weiterer Anstieg des CRP auf
192,1 mg/l und eine Leukozytose von 20.000/µl zeigten.
Hätte die für den sechsten Tag geforderte Röntgenuntersu-
chung noch nicht die Überraschungsdiagnose einer Diver-
tikulitisperforation durch Nachweis freier Luft gezeigt,
dann hätte die Patientin,wie bereits darauf hingewiesen, de-
zidiert körperlich und apparativ untersucht und andere Dif-
ferenzialdiagnosen ausgeschlossen werden müssen: In
Frage gekommen wäre beispielsweise eine mögliche para-
vertebrale Infektion nach stattgehabter Infiltration bei
Rückenschmerzen oder eine Spondylodiszitis, die eine
Röntgenuntersuchung und ein CTderWirbelsäule erfordert
hätten. Zum Ausschluss eines intraabdominalen Focuses –
insbesondere wenn bei der Bauchuntersuchung eine Ab-
wehrspannung als Hinweis auf eine peritonitische Reizung
erkennbar geworden wäre – hätten eine Abdomen-Sono-
graphie und gegebenenfalls ein CT des Abdomens durchge-
führt werden müssen. Spätestens bei dieser Untersuchung
wären der intraabdominelle Abszess und die Divertikulitis
erkennbar geworden.
Die Unterlassung der weiterführenden Diagnostik ab dem
sechsten Tag für drei Tage muss als Befunderhebungsfehler
bewertet werden
(siehe hierzu auch RhÄ 9/2014 „Versäumte
Befunderhebung – Folgen für die Beweislast“)
. Mit ausreichend
hoherWahrscheinlichkeit hätte sich ein reaktionspflichtiges
Ergebnis gezeigt. Die dadurch verzögerte fachchirurgische
Behandlung war den beschuldigten Ärzten zu 1) anzulasten.
Im Allgemeinen macht sich die Divertikelerkrankung des
Dickdarmes durch spezifische oder unspezifische, chroni-
sche oder akute Beschwerden bemerkbar und seltener infol-
ge einer Perforation mit Peritonitis als erstes Symptom der
Krankheit bei bis dahin stummem Verlauf. Erkrankungen
aus dem orthopädischen oder neurologischen Fachgebiet
sind kaum mit Bauchschmerzen assoziiert.
Ihre Abgrenzung zu akuten entzündlichen Prozessen im
Abdomen kann auch durch das Fehlen von Fieber und labor-
chemischen Veränderungen im Sinne einer Entzündungs-
reaktion vorgenommen werden. Ein symptomatisches oder
kompliziertes, infrarenales Bauchaortenaneurysma könnte
eine ähnliche Symptomatik aufweisen, dies gilt insbesonde-
re für das häufig mit Flanken- und Rückenschmerzen ein-
hergehende inflammatorische Bauchaortenaneurysma.
Sachgerecht wurde bei absoluter, dringlicher Laparotomie-
indikation durch die beschuldigte Abteilung zu 2) umge-
hend operativ vorgegangen. Erforderlich wurde eine Hemi-
colektomie mit endständigem Transversostoma und dista-
lem Blindverschluss.
Angenommen die Laparotomie wäre bei zeitgerechter Dia-
gnose 72 Stunden früher erfolgt, dann ist – nicht zuletzt auf-
grund des pathologisch-anatomischen Befundes –mitWahr-
scheinlichkeit anzunehmen, dass sich zumindest eine fri-
sche oder lokal begrenzte Entzündung neben der oralwärts
davon gelegenen Divertikulitis mit der Möglichkeit einer
sauberen Resektion mit primärer colocolischer Anastomose
gezeigt hätte. Aber auch in einer solchen Situation, zumal
unter Würdigung des Alters der Patientin, hätte die Anasto-
mose durch ein Deviationsstoma (Transversostoma, Ileosto-
ma) abgesichert werden müssen.Das heißt eine Zweitopera-
tion zurWiederherstellung der physiologischen Darmpassa-
ge wäre auch ohne den Behandlungsfehler der Orthopäden
unbedingt indiziert gewesen.
Im Zusammenhang mit der Abklärung einer rezidivieren-
den Dyspnoe sowie einer akut aufgetretenen Schwellung
des rechten Armes wurden eine tiefe Beinvenenthrombose
und eine beidseitige Lungenembolie diagnostiziert, die zu
einer gewichtsadaptierten Therapie mit niedermolekularem
Heparin und Einleiten einer Antikoagulation mit Marcu-
mar
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führten.
Unter Berücksichtigung des Alters, des BMI (30,3), der Vari-
zen beider Beine sowie der nachweislichen entzündlichen
akuten Erkrankung und der therapiebedingten Immobilisa-
tion bestand ein mittleres und nach dem großen Bauchein-
griff vom 23. Februar ein hohes Thromboembolierisiko.
Während im gesamten Verlauf die medikamentöse tägliche
Thrombose-Prophylaxe sachgerecht erfolgte,wurden in bei-
den Kliniken aber Basis- und physikalische Maßnahmen zur
Unterstützung der Thrombose-Prophylaxe behandlungs-
fehlerhaft unterlassen. Vor allem durch die Ärzte zu 2) wur-
de damit bei nunmehr hohem Thromboembolierisiko die
Chance vertan, den Verlauf mit einer tiefen Beinvenen-
thrombose und konsekutiver beidseitiger Lungenembolie
abzuwenden.
Antonio Larena-Avellaneda, Hans-Walter Staudte,
Hans-Willi Laumen und Beate Weber
Gutachtliche Entscheidungen
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Rückenschmerzen als Hinweis auf ein akutes Abdomen