

hier die Gabe von Blut geboten. Abzuwarten, bis der Hämo-
globinwert leitliniengerecht abgesunken ist und erst dann
Blut zu transfundieren, ist keine dem medizinischen Stan-
dard entsprechende Option. Der durchaus übliche postope-
rative Verlauf nach einer sonst problemlos durchgeführten
Operation und die allmähliche Verschlechterung des Allge-
meinzustandes der Patientin hätten den belasteten Ärzten
zu denken geben müssen, zumal sich hinter den allgemei-
nen Symptomen auch eine behandlungsbedürftige Anämie
verbergen konnte, die weitere Blutbildkontrollen und gege-
benenfalls eine Blutübertragung notwendig gemacht hätte.
Dies umso mehr, als Eigenblutkonserven zur Verfügung
standen, die zwar den gleichen Kriterien der Qualitäts-
kontrolle unterliegen wie Fremdblut, bei einer Retrans-
fusion aber im Vergleich zu Fremdblutkonserven weniger
Risiken aufweisen und mit weniger Gefahren für den Pa-
tienten verbunden sind.
Orientiert an den geltenden Leitlinien waren die Kriterien,
ab wann eine Bluttransfusion durchgeführt werden soll,
auch zum Zeitpunkt der Behandlung durch den Hausarzt im
Anschluss an die Entlassung aus der belasteten Klinik nicht
erfüllt, doch zwangen die Auswirkungen der bereits seit
zehn Tagen anhaltenden Anämie die Ärzte dazu, sich über
die Leitlinien hinwegzusetzen, um die Patientin vor einem
möglicherweise noch größeren Schaden zu bewahren.
Fazit
Den Ärzten der beschuldigten Klinik sind Behandlungs-
fehler vorzuwerfen. Während die Prothesenoperation am
8. November nicht zu beanstanden ist, haben die Ärzte den
postoperativen Blutverlust und seine Auswirkungen auf den
Allgemeinzustand der Patientin fehleingeschätzt. Sie rea-
gierten auf die pathologischen Blutwerte vom 9. November
nicht angemessen und veranlassten weder eine Infusions-
therapie noch verabreichten sie die vorbereiteten Eigenblut-
konserven, als sich der Zustand der Patientin weiter ver-
schlechterte. Fehlerhaft war es auch, das Blutbild nach dem
9. November nicht mehr zu kontrollieren und die Patientin
am 19. November mit einer behandlungsbedürftigen post-
operativen Anämie zu entlassen. Die Zustandsverschlechte-
rung geht daher zu ihren Lasten.
Othmar Paar und Peter Lange
Gutachtliche Entscheidungen
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Verzögerte Behandlung einer postoperativen Anämie
Anmerkung
In einer ausführlichen gemeinsamen Leserzuschrift machten die
Chefärzte einer Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und
Schmerztherapie sowie einer Klinik für Allgemein- und Viszeral-
chirurgie Bedenken gegen die gutachtliche Beurteilung geltend
und zogen in Zweifel, dass eine zwingende Indikation zur Eigen-
bluttransfusion vorgelegen habe. In eingehender Auseinanderset-
zung mit der Bewertung von Hämoglobin- und Hämatokritwerten
vertraten sie die Auffassung, die nach strengen Regeln zu stellen-
de Transfusionsindikation ergebe sich aus der klinischen Beurtei-
lung, die nach ihrer Auffassung die Eigenbluttransfusion nicht
gerechtfertigt habe.
Der zuständige Fachmediziner der Kommission pflichtete der Fest-
stellung bei, dass die Entscheidung für oder gegen die Eigenblut-
transfusion sich nicht allein an Laborbefunden orientieren könne,
vielmehr die ärztliche Entscheidung auf einer Vielzahl von Informa-
tionen beruhe, zu der auch die persönliche Einschätzung des klini-
schen Bildes gehöre. Er hob in diesem Zusammenhang aber noch
einmal hervor, dass in dem von der Kommission geprüften Fall nicht
alle für die ärztliche Entscheidung bedeutsamen Befunde erhoben
worden waren. Insbesondere sei auf eine nach hohem intra- und
postoperativem Blutverlust gebotene Blutbildkontrolle verzichtet
worden, was die Kommission als nicht nachvollziehbar und deshalb
fehlerhaft beanstandet hatte.