

Haftung bei fehlender Indikation
Ein diagnostischer oder therapeutischer Eingriff, der medizinisch
nicht indiziert oder kontraindiziert ist, ist fehlerhaft, auch wenn er
sorgfältig durchgeführt wird. Die Indikation muss durch die Doku-
mentation der Anamnese, der Beschwerden oder die Befunderhe-
bung – zumindest vertretbar – belegt sein. Der Arzt haftet ansons-
ten für alle Komplikationen, die aus dem Eingriff resultierten,
selbst wenn sie auch bei ordnungsgemäßem Vorgehen nicht stets
sicher vermeidbar sind.
Beinverlust durch nicht indizierte, fehlerhaft implantierte Hüftprothese
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Gutachtliche Entscheidungen
rung des Femurs auf langer Strecke, ohne dass es gelang, ei-
nes der beiden Nagelfragmente herauszuschlagen. Um die
Operation provisorisch zu Ende zu führen, wurde ein drei-
ßig Zentimeter langer Prevot-Stift in den Oberschenkel ein-
gebracht. Die Knochenfragmente wurden mit Cerclagen um
den Prevot-Stift und die Femurreste zur vorläufigen Stabili-
sierung fixiert.
Postoperativ wurde der Patient am 4. August zur weiteren
Behandlung in eine Orthopädische Universitätsklinik ver-
legt. Dort wurde am 9. März des Folgejahres ein inzwischen
implantierter MRP-Titanschaft entfernt und durch einen
Femurganzersatz (custom made) ersetzt.
Ab dem 2. April fand eine weitere stationäre Behandlung in
der belasteten Klinik statt. Bei der Aufnahme waren alle
Operationswunden reizlos trocken und gut verheilt. Moto-
rik und Sensibilität waren intakt. Die Kraft im rechten Bein
war vermindert. Radiologisch zeigte sich ein guter Sitz der
Femurganzprothese.
Eine andernorts begonnene antibiotische Behandlung wur-
de fortgeführt. Dennoch zeigte sich eine mäßige Erhöhung
der Entzündungsparameter (CRP-Anstieg von 0,5 auf
40 mg/l in zwei Tagen). Obwohl aus medizinischer Sicht ei-
ne strenge stationäre Kontrolle für erforderlich gehalten
wurde, lehnte der Patient trotz ausdrücklicher Aufklärung
einen über den 19. April hinausgehenden Aufenthalt ab.
Vom 22.April bis 13.Mai erfolgte eine Anschlussheilbehand-
lung. Hier wurden Geh- und Belastungsübungen durchge-
führt und die antibiotische Behandlung fortgesetzt. Die Ent-
zündungsparameterwaren aber auch bei der Entlassung aus
dieser Klinik noch erhöht.
Es folgten drei weitere stationäre Aufenthalte in der Ortho-
pädischen Universitätsklinik wegen einer Fistelung am
rechten Oberschenkel,die zu einer chronischen Osteomyeli-
tis mit Fistel – auch am Becken und am Oberschenkel – führ-
te und nur durch eine hohe Oberschenkelexartikulation im
Juni des nachfolgenden Jahres saniert werden konnte.
Beurteilung des Sachverhalts
Das stellvertretende Geschäftsführende Kommissionsmit-
glied stellte im gutachtlichen Bescheid mehrere – in der
Summe schwerwiegende – Behandlungsfehler fest, die zum
Verlust des Oberschenkels im Hüftgelenk führten. In Er-
mangelung einer ausreichenden Befunderhebung und bei
fehlendem Nachweis einer Coxarthrose war der Eingriff
nicht indiziert. Zudem wurden weder die Erst- noch die
Revisionsoperation fehlerfrei durchgeführt.
1. Fehlerhafte Indikation
Es war fehlerhaft, ohne Erhebung der Anamnese und eines
klinischen Untersuchungsbefundes sowie ohne radiologische
Darstellung des rechten Hüftgelenkes in der zweiten Ebene
(Lauenstein-Aufnahme) die Diagnose einer Coxarthrose zu
stellen. Die in der a. p. Ansicht dargestellten Veränderungen
am rechten Hüftgelenk rechtfertigten keine Endoprothese.
2. Unzureichender Ersteingriff
Die Oberflächenersatzoperation wurde auch unsachgemäß
durchgeführt und endete mit einem Fehlschlag. Der Kopf-
Hals-Komplex erschien auf der postoperativen Aufnahme
13 mm länger als auf der präoperativen Aufnahme. Das ließ
darauf schließen, dass die Kopffräsung behandlungsfehler-
haft ungenügend tief erfolgte oder der Metallkopf ungenü-
gend tief aufgeschlagen wurde. Damit konnte es zu keiner
formschlüssigen Verbindung zwischen dem Kopf-Hals-
Stumpf und dem Implantat kommen. Diese insuffiziente
Verbindung war die Ursache des Kopf-/Schenkelhals-
bruches beziehungsweise Kopfausbruches aus der Ver-
bindung mit dem Knochen bereits sieben Tage nach der
Implantation. Dieser Umstand wurde behandlungsfehler-
haft weder intra- noch postoperativ bei der Röntgenkontrol-
le bemerkt und beseitigt. Der metallene Oberflächenersatz
brach unter Zerstörung des Schenkelhalsknochens aus dem
Schenkelhals aus und verlagerte sich in die Weichteile.
3. Fehlerhafte Revisionsoperation
In dieser Situation wäre es angezeigt gewesen, den Patien-
ten einem erfahreneren Operateur zu überlassen. Behand-
lungsfehlerhaft versuchte der Operateur gleichwohl mit un-
zureichenden Mitteln die Situation selbst zu beherrschen.
Er wollte nun den Cormed-Prothesenschaft durch einen in
der Markhöhle zu verankernden Endoprothesenschaft er-
setzen. Dazu musste er erst den dort einliegenden Künt-
scher-Nagel entfernen. Dieser Nagel saß jedoch zu fest und
war mit den verfügbaren Instrumenten nicht auszuschla-
gen. Richtig wäre jetzt gewesen, die Operation an diesemTa-
ge abzubrechen und am Folgetag – nach Beschaffung eines
geeigneten Ausschlag-Hakens für den Küntscher-Nagel und
eines schwereren Hammers – den Nagel auszuschlagen und
danach die femorale Komponente einer Hüftendoprothese
zu implantieren.
Stattdessen versuchte der Operateur, den Küntscher-Nagel
in der Mitte durch transfemorale Bohrung zu zerteilen und
von der Durchtrennungsstelle her aus dem Femur zu entfer-
nen. Bei diesem– frustranen –Versuch kam es zu der Femur-
fraktur und zu weiteren Zertrümmerungen des Oberschen-
kelknochens in der Umgebung der Fraktur. Erst nach die-
sem Fehlschlag entschloss sich der Operateur zur Verlegung
des Patienten in eine andere Klinik.
Das Fehlschlagen der nicht notfallmäßig auszuführenden
Operation beruhte auf ungenügenderVorbereitung der Ope-
ration und dem Fehlen geeigneter Instrumente und war
deshalb dem Operateur als Übernahmeverschulden zur Last
zu legen. Die aufgezeigten Behandlungsfehler waren Anlass
für die operative Weiterbehandlung in der Orthopädischen
Universitätsklinik. Unter dem Einfluss der schwersten
Knochenzerstörungen trat nachfolgend eine nicht be-
herrschbare Infektion des Oberschenkelknochens ein, die
eine Ausheilung ohne Amputation unmöglich machten und
das Leben des Patienten gefährdete.
Dietrich Schöllner, Ulrich Smentkowski, Beate Weber