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Ärztekammer

Nordrhein

Jahresbericht 2016

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Allgemeine Fragen der Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik

Weniger Medienkonsum, mehr Bewegung

„Auch der Medienkonsum ist stark an den so-

zioökonomischen Status der Familien geknüpft“,

berichtete Professor Dr. Dr. sportwiss. Christine

Graf von der Deutschen Sporthochschule Köln.

Sie stellte Ergebnisse einer Kölner Studie aus

dem Jahr 2015 zur Bildschirmnutzung im frühen

Kindesalter vor: Eine Mediennutzungsdauer von

60 Minuten am Tag überschritten 20,9 Prozent der

ein- bis sechsjährigen Kinder. Entgegen der Emp-

fehlung noch keine Bildschirmmedien zu nutzen,

täten dies bereits 55,6 Prozent der ein- und zwei-

jährigen Kinder. Prädiktoren des Medienkonsums

von mindestens 60 Minuten wären das Alter, der

Schulabschluss der Eltern sowie der Migrations-

status. Kinder von Eltern mit einem hohen Schul-

abschluss nutzten signifikant seltener Medien für

mindestens 60 Minuten am Tag als Kinder, deren

Eltern keinen hohen Schulabschluss hatten. Mit

zunehmender Nutzung der Bildschirmmedien gin-

ge auch die Alltagsbewegung zurück. Die Empfeh-

lung der Sportwissenschaftlerin: Kinder sollten

sich im Alltag täglich mindestens 90 Minuten be-

wegen und unnötige Sitzzeiten vermeiden.

Was Kommunen wissen (sollten)

Volker Kersting, Leiter des Referats V.1. Stadt-

forschung und Statistik der Stadt Mülheim an der

Ruhr, ergänzte die vorgestellten bundesweiten Zah-

len mit Daten aus dem kommunalen Raum. Seine

für Mülheim erstellten Erhebungen aus Schulein-

gangsuntersuchungen und Daten zur Sozialraum-

struktur zeigten eindrücklich: „Nirgendwo ist es

so wie im Durchschnitt.“ Präventionsangebote

müssten die Flexibilität besitzen, sich an Gegeben-

heiten vor Ort anzupassen und bestenfalls mit den

Akteuren vor Ort gemeinsam ausgewählt und um-

gesetzt werden. Sein Plädoyer: Primärpräventive

Maßnahmen zum Beispiel von Krankenkassen mit

der Kommune gemeinsam umsetzen und sozial-

raumbezogen weiterentwickeln. Nur so könnten

die Zielgruppen tatsächlich überprüfbar erreicht

werden. Außerdem plädierte er für eine stärkere

Einbeziehung der medizinischen Versorgungsebe-

ne, beispielsweise der Kinderärztinnen und Kinder-

ärzte, zur besseren Ansprache und Erreichbar-

keit von Familien aus prekären Lebenslagen, um

möglichst frühzeitig Hilfe anbieten und präventiv

wirken zu können.

Qualitätsgeprüfte Präventionsangebote

„Wir brauchen die unterschiedlichen Daten, um

zielgruppenspezifische, qualitätsgesicherte Prä-

ventionsmaßnahmen in den einzelnen Settings an-

bieten zu können“, sagte Dr. Heidrun Thaiss,

Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche

Aufklärung. In den Settings Kita und Schule sieht

sie die besten Chancen, die ungleichen Gesund-

heits- und Bildungschancen zu vermindern. Bislang

sei es aber so, dass viele unterschiedliche, zum Teil

konkurrierende monothematische Präventions-

angebote vor allem von Krankenkassen in den ein-

zelnen Settings angeboten würden, ohne dass für

die Kitas und Schulen Qualitätsvorteile der ein-

zelnen Angebote sichtbar würden. Auch die Nach-

haltigkeit der Angebote werde zu selten geprüft.

Das Präventionsgesetz werde dazu beitragen,

diese unterschiedlichen Präventionsangebote in

den jeweiligen Settings zu einem übergreifenden

Konzept zusammenzuführen und die zugrunde-

liegenden Qualitätskriterien transparent zu ma-

chen.

Fazit

Dr. Anne Bunte, Vorsitzende des

Ausschusses

Öffentliches Gesundheitswesen, Suchtgefahren und

Drogenabhängigkeit

und Leiterin des Kölner Ge-

sundheitsamtes, fasste in ihrem Schlusswort die

Meinung aller Referenten zusammen: „Armut und

Krankheit der Eltern wirken sich erheblich und

langfristig auf den Gesundheitszustand und die

Bildungschancen von Kindern aus.“ Doch wel-

che Hilfe welches Kind an welcher Stelle bedürfe,

könne von Kommune zu Kommune, sogar von

Schule zu Schule, von Familie zu Familie höchst

unterschiedlich sein.

Kommunale Daten wie die Schuleingangsunter-

suchungen in Kombination mit Daten zur Sozial-

raumstruktur machten den Bedarf sichtbar und

böten die Grundlage für ein gutes, vernetztes Han-

deln der Akteure. Ebenso wichtig wie die Berück-

sichtigung repräsentativer Daten als Planungs-

grundlage von Präventionsmaßnahmen seien auch

die Evaluation der Maßnahmen und deren trans-

parente Darstellung. Nur so könne gute Qualität im

Rahmen der Prävention gesichert und Prävention

weiter ausgebaut werden.