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Ärztekammer

Nordrhein

Jahresbericht 2016

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Allgemeine Fragen der Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik

punkten Onkologie und Hämatologie, Immuno-

logie, HIV/Aids und Intensivmedizin. Den neuen

Kammermitgliedern präsentierte Diehl seine Refle-

xionen zu der Frage: „Kann der Arzt Hoffnungs-

träger sein?“ Kann er, wie Diehl es formulierte,

„Vermittler dieses wichtigsten Prinzips des Lebens“

sein, des Prinzips Hoffnung? Diehl beantwortete

diese Frage für sich mit einem klaren Ja: „Ich habe

dieses beglückende Gefühl erlebt, aus einer fun-

damentalen Hoffnung zu leben und durch mein

Handeln, mein Wissen und meine Kompetenz als

Mensch und Arzt anderen hilfesuchenden oder so-

gar hoffnungslosen Menschen Hoffnung weiterzu-

geben und Vertrauen zumWeiterleben zu schaffen.“

Dies sei aber weniger als „spontane eigene Leis-

tung“ zu begreifen, sondern vielmehr als „Gnade“,

„Fügung“ und „Konsequenz einer Serie von Ereig-

nissen und persönlichen Entwicklungen.“ Wenn

ein Arzt – trotz aller medizinischen Fortschritte

der vergangenen 30 Jahre – umgeben ist von Leid

und Tod, kann das nach Diehls Worten zu „Ausge-

branntsein“, „Menschenfurcht“ und Verzweiflung

führen: „Das ist eine extreme Aufgabe, die nicht

jeder meistern kann.“ Dennoch gebe es Wege, „trotz

aller Anfechtungen und Mutlosigkeiten für unsere

Patienten Hoffnungsträger zu sein“.

Der Arzt könne Vertrauen schaffen und Trost

geben durch sein Verhalten, seine medizinische

Kompetenz und seine persönliche Glaubhaftigkeit.

Er könne sich als empathisch mitfühlender – nicht

sentimental mitleidender – Mensch solidarisch mit

dem Patienten zeigen. Der Patient erwarte Geduld,

Ehrlichkeit und die Fähigkeit, zuhören zu können.

Dagegen könne der Arzt dem Patienten seine Ängste

nicht nehmen und durch Hoffnung ersetzen, indem

er Probleme relativiere oder kleinzureden versuche.

„Hoffnung muss in einen Plan eingebettet sein, in

eine für den Patienten ersichtliche und erfahrbare

klare Strategie“, sagte Diehl, „nebulöse, diffuse, für

den Patienten unverständliche und schwer fassbare

Konzepte sind für den verzweifelten und entwur-

zelten Patienten keine Hilfe und Orientierung.“

Wichtig sei es auch, den Patienten im Sinne der

„Salutogenese“ aktiv in den „Plan der Hoffnung“

mit einzubeziehen und eine praktikable und ehr-

liche Antwort auf die Frage zu geben: „Was kann

ich selbst dazu tun, dass ich wieder ganz gesund

werde?“ Hoffnung sei kein Blitzereignis, so Diehl,

sondern ein „dynamischer Prozess, der sich lang-

sam in dem Patienten entwickelt.“

Für die jungen Kolleginnen und Kollegen hatte

der Emeritus auch einige praktische Hinweise mit-

gebracht, zum Beispiel: „Ein junger unerfahrener

als Individuum wahrgenommen werden, nicht als

„Prototyp einer jeweiligen Kultur“.

Als „Störfaktor“ in der Krankenversorgung wer-

den kulturelle Unterschiede allgemein überschätzt,

meint Bruchhausen: „Offenbar braucht man Kultur

als vermeintliche Restkategorie für alles, was man

nicht genauer auf den Punkt bringen kann.“ Groß-

familien in Mehrbettzimmern, Verständigungspro-

bleme und Missverständnisse – solche Probleme

lassen sich nach seiner Beobachtung „durch guten

Willen lösen“. Bruchausen: „Haben Sie keine Angst

vor kultureller Differenz.“

Eine Experten-Arbeitsgruppe habe festgestellt,

„dass die wirklich unlösbaren Konflikte aufgrund

unvereinbarer Wertvorstellungen extrem selten

und deshalb so spektakulär sind“. Die Gruppe hat

drei grundlegende Konfliktfelder identifiziert:

Erstens das Verhältnis des einzelnen Patienten zu

seiner Familie, „die über ihn bestimmen oder zu-

mindest mitentscheiden will“. Das hält Bruchhau-

sen für verständlich, denn zum Beispiel seien viele

Chinesen, Muslime oder Afrikaner mangels Kran-

kenversicherung daran gewöhnt, für die Kranken-

behandlung eines Familienangehörigen mitverant-

wortlich zu sein – auch ökonomisch.

Ein zweites essentielles Problem sieht der Medizin-

ethiker in einer „gelegentlich hartnäckigen Weige-

rung, bei erwiesener Nutzlosigkeit weiterer Inten-

sivtherapie der ärztlich indizierten Behandlungs-

begrenzung zuzustimmen“. Hintergrund sei das

Gefühl, den Familienangehörigen damit im Stich

zu lassen. Das dritte und vielleicht schwierigste Pro-

blem ist laut Bruchhausen die Stellung der Frau in

stark patriarchalischen Gesellschaften. Etwa stelle

das Verbot, vomanderen Geschlecht berührt zuwer-

den, das Gesundheitswesen auch vor organisatori-

sche Probleme. Bruchhausen tendiert hier dazu, im

Einzelfall keine Grundsatzdebatte zu führen und

solche Wünsche zu erfüllen – „aber unmissver-

ständlich klar zu machen, dass das Gesundheits-

wesen unter der deutschen Rechtsordnung mit

ihrer Gleichstellung von Mann und Frau arbeitet

und somit kein Recht auf exklusive Behandlung

durch das eigene Geschlecht bestehen kann“.

Beglückendes Gefühl

Den Festvortrag auf der elften Begrüßungsveran-

staltung im Herbst 2015 hielt Professor Dr. Volker

Diehl. Der Arzt und Wissenschaftler von internati-

onalem Rang war bis zu seiner Emeritierung 2003

mehr als 20 Jahre lang Direktor der Medizinischen

Klinik I der Universität zu Köln mit den Schwer-