DER BETRIEB 25 - page 70

Ein Betriebsrat kann die Unwirksamkeit einer von einer an-
deren Arbeitnehmervertretung abgeschlossenen Betriebs-
vereinbarung nur zur gerichtlichen U¨ berpru¨fung stellen,
wenn diese seine eigene Regelungsbefugnis verletzt. Weder
das BetrVG noch das ArbGG sehen ein inhaltliches Normen-
kontrollrecht der auf den unterschiedlichen Ebenen im Un-
ternehmen und Konzern errichteten Arbeitnehmervertretun-
gen vor.
(Orientierungssa¨tze der Richterinnen und Richter des BAG)
BAG-Beschluss vom 5. 3. 2013 – 1 ABR 75/11
u
DB0596155
Die Beteiligten streiten u¨ber die Wirksamkeit von Altersgrenzen-
regelungen in Betriebsvereinbarungen.
Antragsteller ist der Betriebsrat eines am Standort W bestehenden Ge-
meinschaftsbetriebs. Dessen Inhaber sind seit einem am 1. 7. 2010 voll-
zogenen Betriebsinhaberwechsel die zu 2. (PGM) und zu 3. (PGS) be-
teiligten Arbeitgeberinnen. In dem Gemeinschaftsbetrieb finden kraft
deren Tarifbindung die Tarifvertra¨ge der Chemischen Industrie An-
wendung. Zu diesen geho¨rt auch der im Jahr 2008 abgeschlossene Ta-
rifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demografie“ (TVLD). Dieser entha¨lt
u. a. Regelungen u¨ber die Durchfu¨hrung einer Demografieanalyse in
den Betrieben und die Gestaltung von Arbeitszeitmodellen. Die PGM
schloss mit ihrem zu 4. beteiligten Gesamtbetriebsrat am 24. 11. 2009
eine „Freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung Umsetzung des Demo-
grafietarifvertrags“ (GBV 2009) ab. Deren § 5 entha¨lt eine auf das Er-
reichen des Regelrentenalters bezogene Altersgrenze. Eine inhaltsglei-
che Altersgrenzenregelung vereinbarte auch die PGS mit ihrem zu 5.
beteiligten Gesamtbetriebsrat.
Im Gemeinschaftsbetrieb W bestand seit dem 12. 12. 2008 eine zwi-
schen den vormaligen Betriebsinhaberinnen und dem Betriebsrat ver-
einbarte Betriebsordnung (BO 2008). Nach deren Nr. 11.1 endete das
Arbeitsverha¨ltnis ohne Ku¨ndigung mit Ablauf des Kalendermonats, in
dem das jeweils gu¨ltige gesetzliche Rentenalter vollendet wird. Am
23. 12. 2009 schloss der Betriebsrat W eine „Freiwillige Betriebsverein-
barung Umsetzung des Demografietarifvertrags“ (BV 2009). § 4 BV
2009 entha¨lt eine mit § 5 GBV 2009 u¨bereinstimmende Altersgrenzen-
regelung.
Das ArbG hat den Antrag abgewiesen. Dagegen hat der Betriebsrat W
Beschwerde eingelegt und sein Begehren erweitert. Das LAG (Hessen
vom 7. 7. 2011 - 9 Ta BV 168/10) hat die Beschwerde zuru¨ckgewiesen
und den weiteren Antrag abgewiesen. Die Rechtsbeschwerde des Be-
triebsrats blieb insgesamt erfolglos.
AUS DEN GRU¨ NDEN
1 . . . 16
I
A.
. . .
B. III.
Auch der auf die Feststellung der Unwirk-
samkeit von § 5 GBV 2009 gerichtete Antrag ist unzula¨ssig.
Dem Betriebsrat fehlt bereits die erforderliche Antragsbefugnis
i. S. von § 81 Abs. 1 ArbGG.
Antragsbefugt im Beschlussverfahren ist grundsa¨tzlich nur der-
jenige, der vortra¨gt, Tra¨ger des streitigen Rechts zu sein ...
17
I
1.
Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Betei-
ligter antragsbefugt, wenn er eigene Rechte geltend macht. An-
tragsbefugnis und die Beteiligtenstellung fallen nicht notwendig
zusammen; § 83 Abs. 3 ArbGG besagt nichts daru¨ber, ob ein
Beteiligter im Beschlussverfahren einen Antrag stellen kann.
Die Antragsbefugnis ist vielmehr nach den Regeln u¨ber die Ein-
leitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen (§ 81
Abs. 1 ArbGG). Regelma¨ßig kann nur derjenige ein gericht-
liches Verfahren einleiten, der vortra¨gt, Tra¨ger des streitbefange-
nen Rechts zu sein. Ausnahmen gelten im Fall einer zula¨ssigen
Prozessstandschaft. Die Prozessfu¨hrungsbefugnis im Urteilsver-
fahren und die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren dienen
dazu, Popularklagen auszuschließen. Im Beschlussverfahren ist
die Antragsbefugnis nur gegeben, wenn der Antragsteller durch
die begehrte Entscheidung in seiner kollektivrechtlichen Rechts-
position betroffen sein kann. Das ist regelma¨ßig nur dann der
Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von
vornherein als aussichtslos erscheint
1
.
... ein Betriebsrat kann die Unwirksamkeit einer von einer an-
deren Arbeitnehmervertretung geschlossenen Vereinbarung nur
unter dieser Voraussetzung geltend machen ...
18
I
2.
Ein Betriebsrat kann die Unwirksamkeit einer von einer
anderen Arbeitnehmervertretung abgeschlossenen Betriebsver-
einbarung nicht unabha¨ngig von einem Eingriff in seine eigene
betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition geltend machen.
Weder das BetrVG noch das ArbGG sehen ein inhaltliches
Normenkontrollrecht der auf den unterschiedlichen Ebenen im
Unternehmen und Konzern errichteten Arbeitnehmervertretun-
gen vor. Die gerichtliche U¨ berpru¨fung einer nicht selbst abge-
schlossenen Betriebsvereinbarung kann von einem antragstellen-
den Betriebsrat nur in Hinblick auf eine Verletzung gerade sei-
ner Regelungsbefugnis erfolgen. Fehlt dem abschließenden Be-
triebsrat insoweit die Zusta¨ndigkeit, erweist sich die Betriebsver-
einbarung als Eingriff in die betriebsverfassungsrechtliche
Rechtsposition des Antragstellers. Eine von einem unzusta¨ndi-
gen Betriebsrat getroffene Vereinbarung ist unwirksam. Nur fu¨r
den Ausspruch der darauf gestu¨tzten Rechtsfolge ist der fu¨r den
Abschluss der Betriebsvereinbarung tatsa¨chlich zusta¨ndige Be-
triebsrat antragsbefugt.
... was bei einer Regelungszusta¨ndigkeit des betreffenden Be-
triebsrats der Fall wa¨re
19
I
3.
Danach fehlt dem Betriebsrat W die Antragsbefugnis. Er
kann die Wirksamkeit von § 5 GBV 2009 nicht zur gericht-
lichen U¨ berpru¨fung stellen.
Ein solcher Antrag wa¨re nur zula¨ssig, wenn der Betriebsrat W gel-
tend machen ko¨nnte, dass nicht der Gesamtbetriebsrat, sondern er fu¨r
den Abschluss einer Altersgrenzenregelung zusta¨ndig sei. Nur dann
wa¨re er von der unternehmensbezogenen Altersgrenzenregelung in ei-
ner eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen.
Dies ist nicht der Fall. Der Senat hat aufgrund der mit der rechts-
kra¨ftigen Abweisung des Antrags zu a) verbundenen Bindungswir-
kung von der fehlenden Zusta¨ndigkeit des Betriebsrats W fu¨r den
Abschluss einer betrieblichen Altersgrenzenregelung auszugehen ...
(wird ausgefu¨hrt).
Das U¨ berwachungsrecht des § 80 Abs. 1 BetrVG begru¨ndet Kein
Recht zur Normenkontrolle
20 . . . 23
I
a)
. . .
d)
Der Betriebsrat W ist auch nicht in Hinblick
auf sein U¨ berwachungsrecht (§ 80 Abs. 1 BetrVG) in seiner be-
triebsverfassungsrechtlichen Position betroffen.
24
I
Nach dieser Bestimmung kann der Betriebsrat den Arbeit-
geber zur Einhaltung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden
Schutzvorschriften auffordern. Das U¨ berwachungsrecht des Be-
triebsrats ist darauf beschra¨nkt, eine Nichtbeachtung oder fehler-
hafte Durchfu¨hrung der Vorschriften beim Arbeitgeber zu bean-
standen und auf Abhilfe zu dra¨ngen
2
. Aus der U¨ berwachungs-
aufgabe des Betriebsrats folgt indes kein Recht zur Normenkon-
trolle der nicht von ihm abgeschlossenen Normen.
Redaktioneller Hinweis:
Volltext online unter DB0595842.
1 BAG vom 17. 6. 2009 - 7 ABR 96/07, Rdn. 9.
2 BAG vom 18. 5. 2010 -1 ABR6/09, Rdn. 21, BAGE 134 S. 249 = DB0364258.
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Arbeitsrecht
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