Die Beteiligten streiten u¨ber die Auslegung eines Einigungsstellen-
spruchs. Im Jahr 2006 beschloss eine Einigungsstelle fu¨r die am Stand-
ort B bescha¨ftigten Arbeitnehmer eine Vergu¨tungsordnung.
Darin heißt es u. a.: „Die Bezugsvergu¨tung, auf die sich alle Geha¨lter
beziehen, sowie deren A¨ nderung wird vom Arbeitgeber festgesetzt und
mitgeteilt. Entsprechend der jeweiligen Vergu¨tungsgruppe erhalten die
Bescha¨ftigten einen prozentualen Anteil der Bezugsvergu¨tung. . .“ Fu¨r
die einzelnen Vergu¨tungsgruppen (A, B, C) wurden „Faktoren von der
Bezugsvergu¨tung“ von 0,95 bis 2,0 vereinbart.
Die Arbeitgeberin setzte die Bezugsvergu¨tung auf 2.900 € fest. In der
Folgezeit vereinbarte sie mit mehreren Arbeitnehmern eine Vergu¨tung
oberhalb der in der BVO 2006 festgelegten Spannbreiten.
Der Betriebsrat hat gemeint, die BVO 2006 enthalte eine abschließende
und zwingende Regelung der Vergu¨tungsho¨he. Das U¨ berschreiten der
dort festgelegten Gehaltsba¨nder sei unzula¨ssig. Er verlangte u. a. die Er-
ho¨hung der Bezgusvergu¨tung und stelle weitere Antra¨ge und Hilfs-
antra¨ge. Die Vorinstanzen (zuletzt LAG Niedersachsen – 5 Ta BV
26/09) hatten einem (Hilfs-)Antrag stattgegeben, den Hauptantrag ab-
gewiesen. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte Erfolg.
AUS DEN GRU¨ NDEN
1 . . . 20
I
I.
. . .
II.
Die Arbeitgeberin ist durch die BVO 2006
nicht gehindert, eine vereinbarte Vergu¨tung auszuzahlen, selbst
wenn diese die in § 5 BVO 2006 bestimmten Gehaltsba¨nder
u¨bersteigt.
21 . . . 22
I
1.
. . .
2.
Die Vereinbarung der Vergu¨tungsho¨he durch
die Arbeitsvertragsparteien unterliegt nicht dem Mitbestim-
mungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.
Der Aufbau von Vergu¨tungsgruppen und die Festlegung der Ver-
gu¨tungsgruppenmerkmale sind mitbestimmungspflichtig
23 . . . 24
I
a)
. . .
b)
Die Betriebsparteien ko¨nnen abstrakte
Grundsa¨tze u¨ber die Art und Weise aufstellen, nach denen sich
die Bemessung des Arbeitsentgelts richtet. Zu ihnen za¨hlen ne-
ben der Grundentscheidung fu¨r eine Vergu¨tung nach Zeit oder
nach Leistung die daraus folgenden Entscheidungen u¨ber die
Ausgestaltung des jeweiligen Systems
1
. Zu den mitbestim-
mungspflichtigen Entgeltfindungsregeln geho¨ren der Aufbau
von Vergu¨tungsgruppen und die Festlegung der Vergu¨tungs-
gruppenmerkmale
2
. Eine betriebliche Vergu¨tungsordnung ist
Ausdruck einer Entscheidung u¨ber die Wertigkeit der jeweiligen
Arbeitnehmerta¨tigkeiten im Verha¨ltnis zueinander, die sich im
relativen Abstand der mit den jeweiligen Vergu¨tungsgruppen
verbundenen konkreten Entgeltsa¨tzen niederschla¨gt
3
. Das Betei-
ligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG umfasst daher die
inhaltliche Ausgestaltung der Entgeltgruppen nach abstrakten
Kriterien einschließlich der abstrakten Festsetzung der Wert-
unterschiede nach Prozentsa¨tzen oder anderen Bezugsgro¨ßen
4
.
Erbringt der Arbeitgeber fu¨r bestimmte Formen der Arbeit
Leistungen, ko¨nnen diese bei Vorliegen eines kollektiven Tat-
bestands unter Beachtung des vom Betriebsinhaber zur Ver-
fu¨gung gestellten Dotierungsrahmens von den Betriebsparteien
ausgestaltet werden.
25
I
Gegenstand des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1
Nr. 10 BetrVG bei der Aufstellung einer betrieblichen Ver-
gu¨tungsordnung ist die Bemessung der Vergu¨tung, die der Ar-
beitnehmer aufgrund seiner auszuu¨benden Ta¨tigkeit beanspru-
chen kann. Dies sind die Arbeitsaufgaben, die ihm vom Arbeit-
geber im Arbeitsvertrag oder aufgrund seines Direktionsrechts
(§ 106 GewO) u¨bertragen worden sind. Entsprechend dem
Normzweck des Beteiligungsrechts haben die Betriebsparteien
die Verpflichtung, eine Entgeltstruktur fu¨r die im Betrieb aus-
geu¨bten Ta¨tigkeiten zu schaffen. Diese bildet die Grundlage fu¨r
die Eingruppierungsentscheidung des Arbeitgebers nach § 99
Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Dazu muss er die dem Arbeitnehmer u¨b-
ertragene Ta¨tigkeit einer der ausgebrachten Vergu¨tungsgruppen
zuordnen und zu dieser Entscheidung die Zustimmung des Be-
triebsrats einholen.
Das Mitbestimmungsrecht (aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) er-
streckt sich nicht auf die vereinbarten Entgelte
26
I
c)
Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG erstreckt sich nicht auf die arbeitsvertraglich vereinbar-
ten Entgelte der Arbeitnehmer. Solche Abreden betreffen die
Entgeltho¨he und sind daher der Regelungsmacht der Betriebs-
parteien entzogen. Eine betriebliche Regelung, nach der die Ver-
einbarung oder die Auszahlung eines einzelvertraglich vereinbar-
ten Gehaltsbestandteils von der Zustimmung des Betriebsrats
abha¨ngig ist, ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht zula¨ssig.
Der mit dem Beteiligungsrecht bezweckte Schutz wird nach der
Senatsrechtsprechung dadurch gewa¨hrleistet, dass der Arbeit-
geber aufgrund des Arbeitsvertrags verpflichtet ist, die Arbeit-
nehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsa¨tzen
zu vergu¨ten
3
. Hieraus folgt ein Anspruch auf das sich aus der be-
trieblichen Vergu¨tungsordnung ergebende Entgelt.
27
I
3.
Danach ist unerheblich, ob die Einigungsstelle mit der Regelung
in §§ 3, 5 BVO 2006 eine verbindliche Festlegung von Gehaltsba¨ndern
schaffen wollte. Dies kann zugunsten des Betriebsrats unterstellt wer-
den. Zwischen den Beteiligten ist jedoch unstreitig, dass es sich bei den
u¨ber den Gehaltsba¨ndern liegenden Vergu¨tungsbestandteilen nur um
solche Entgeltbestandteile handelt, die von der Arbeitgeberin aufgrund
einer mit den begu¨nstigten Arbeitnehmern getroffenen Vereinbarung
erbracht werden. Da diese dem Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1
Nr. 10 BetrVG entzogen ist, wird das arbeitsvertraglich geschuldete
Entgelt von der BVO 2006 nicht erfasst. Dieses kann die Arbeitgeberin
ohne Verstoß gegen ihre betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten an die
Arbeitnehmer auszahlen. Ob die Arbeitgeberin fu¨r die von ihr indivi-
dualrechtlich versprochene Vergu¨tung einen besonderen Dotierungsrah-
men zur Verfu¨gung stellt, dessen Verteilung sich nicht nach den in der
BVO 2006 enthaltenen Entlohnungsgrundsa¨tzen richtet und daher bei
Vorliegen eines kollektiven Tatbestands dem Mitbestimmungsrecht aus
§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegen wu¨rde, bedarf keiner Entschei-
dung. Ein solches Regelungsverlangen des Betriebsrats ist nicht Verfah-
rensgegenstand.
Redaktioneller Hinweis:
Volltext unter DB0577193.
1
Kreft
, FS Kreutz, S. 263 (265).
2 BAG vom 31. 1. 1984 – 1 AZR 174/81, zu II. 2., BAGE 45 S. 91 = DB 1984
S. 1353.
3 BAG vom 18. 10. 2011 – 1 ABR 25/10, Rdn. 14, DB0467556 = AP BetrVG
1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 141 = EzA BetrVG 2001 § 87 Betriebliche
Lohngestaltung Nr. 26.
4 BAG vom 14. 8. 2001 – 1 AZR 619/00, zu II. 2. a), BAGE 98 S. 323 = DB 2002
S. 380.
Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung: Kein
U¨ berpru¨fungsrecht des o¨rtlichen Betriebsrats be-
treffend Betriebsvereinbarung anderer Arbeitneh-
mervertretung (hier: Gesamtbetriebsverein-
barung)
ArbGG § 81 Abs. 1; ZPO § 322 Abs. 1; BetrVG § 80 Abs. 1, § 50
Abs. 1
DER BETRIEB | Nr. 25 | 21. 6. 2013
Arbeitsrecht
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