AUS DEN GRU¨ NDEN
Die fristlose Ku¨ndigung ist unwirksam
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I.
. . .
1.
Gem. § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverha¨ltnis
aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Ku¨ndigungsfrist geku¨n-
digt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Ku¨ndigen-
den unter Beru¨cksichtigung aller Umsta¨nde des Einzelfalls und unter
Abwa¨gung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Ar-
beitsverha¨ltnisses selbst bis zum Ablauf der Ku¨ndigungsfrist nicht zuge-
mutet werden kann. Dafu¨r ist zuna¨chst zu pru¨fen, ob der Sachverhalt
ohne seine besonderen Umsta¨nde „an sich“, d. h. typischerweise als
wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Pru¨fung, ob dem
Ku¨ndigenden die Fortsetzung des Arbeitsverha¨ltnisses angesichts der
konkreten Umsta¨nde des Falls und bei Abwa¨gung der Interessen beider
Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Ku¨ndigungsfrist – zumut-
bar ist oder nicht
1
.
Gleiche Anforderungen wie bei krankheitsbedingter Ku¨ndigung
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2.
An eine Ku¨ndigung, die auf im Zusammenhang mit einer
Alkoholsucht steht, sind die gleichen Anforderungen wie an
krankheitsbedingte Ku¨ndigungen zu stellen
2
.
Alkoholabha¨ngigkeit ist als Krankheit zu werten, es entfa¨llt da-
her ein Schuldvorwurf
Alkoholabha¨ngigkeit ist eine Krankheit; versto¨ßt ein Arbeitneh-
mer infolge seiner Abha¨ngigkeit gegen arbeitsvertragliche
Pflichten, ist ihm zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung kein
Schuldvorwurf zu machen
3
.
Krankheit ist zwar nicht generell ungeeignet, einen wichtigen Grund
i. S. des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Schon an eine ordentliche
Ku¨ndigung wegen Erkrankung des Arbeitnehmers ist jedoch ein stren-
ger Maßstab anzulegen. Eine außerordentliche Ku¨ndigung kommt da-
her nur in eng begrenzten Fa¨llen in Betracht, etwa bei einem Ausschluss
der ordentlichen Ku¨ndigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelver-
traglicher Vereinbarungen
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Die fristlose Ku¨ndigung ist danach aus Gru¨nden im Verhalten
oder in der Person nicht gerechtfertigt
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3.
. . .
a)
Ein vorwerfbarer Pflichtverstoß liegt nicht vor.
Zwar verletzt der Kla¨ger, wenn er unter Alkoholeinfluss seine Ta¨-
tigkeit ausu¨bt, seine arbeitsvertraglichen Hauptpflichten. Die the-
rapeutische Arbeit in der Entwo¨hnungsbehandlung von Sucht-
erkrankten erlaubt es nicht, dass der Therapeut selbst unter Alko-
holeinfluss steht. Die Vermittlung eines Bewusstseins dafu¨r, die
Sucht beherrschen zu ko¨nnen, wu¨rde erheblich erschwert.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Zustand einer – merklichen – Al-
koholisierung durch den Konsum alkoholhaltiger Getra¨nke oder die Ein-
nahme alkoholhaltiger Medikamente herbeigefu¨hrt wurde. Dem Vorlie-
gen einer Pflichtverletzung steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte
den Kla¨ger in Kenntnis von dessen Alkoholabha¨ngigkeit eingestellt hat.
Die Einstellung erfolgte in der Annahme, dass er „trocken“, also in der La-
ge sei, stabil abstinent zu leben. Aufgrund seiner Alkoholabha¨ngigkeit
kann dem Kla¨ger aber kein Schuldvorwurf gemacht werden.
Ordentliche Ku¨ndigung kam in Betracht
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I
b)
. . .
aa)
Die ordentliche Ku¨ndigung des Arbeitsver-
ha¨ltnisses war fu¨r den Beklagten nicht ausgeschlossen, eine frist-
gerechte Beendigung des Arbeitsverha¨ltnisses also grundsa¨tzlich
mo¨glich.
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bb)
Der Kla¨ger war im Jahr 2007 zuna¨chst fu¨r etwa vier Monate,
zuletzt fu¨r anderthalb Jahre unauffa¨llig. Damit war es dem Beklagten
zuzumuten, den Kla¨ger fu¨r die begrenzte Zeit bis zum Ablauf der Ku¨n-
digungsfrist weiterzubescha¨ftigen.
Keine Bedenken gegen die Wirksamkeit einer ordentlichen
Ku¨ndigung . . .
20 . . . 21
I
II.
. . .
1.
Die ordentliche Ku¨ndigung vom 28. 5. 2009
ist durch Gru¨nde in der Person des Kla¨gers bedingt und deshalb
i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.
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a)
Ist im Zeitpunkt der Ku¨ndigung die Prognose gerechtfer-
tigt, der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholsucht dauer-
haft nicht die Gewa¨hr, in der Lage zu sein, die vertraglich ge-
schuldete Ta¨tigkeit ordnungsgema¨ß zu erbringen, kann eine or-
dentliche Ku¨ndigung des Arbeitsverha¨ltnisses gerechtfertigt sein.
Voraussetzung ist, dass daraus eine erhebliche Beeintra¨chtigung
der betrieblichen Interessen folgt, diese durch mildere Mittel –
etwa eine Versetzung – nicht abgewendet werden kann und sie
auch bei einer Abwa¨gung gegen die Interessen des Arbeitneh-
mers vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen
werden muss
5
.
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b)
Im Streitfall war im Zeitpunkt der Ku¨ndigung die Annahme ge-
rechtfertigt, der Kla¨ger biete aufgrund seiner Alkoholsucht nicht mehr
die Gewa¨hr, seine Ta¨tigkeit als Ergotherapeut in der Suchtklinik des
Beklagten auf Dauer ordnungsgema¨ß erbringen zu ko¨nnen.
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aa)
Als Ergotherapeut arbeitet der Kla¨ger eng mit den Patienten
zusammen. Es besteht die Gefahr, dass diese in ihrem eigenen Kampf
gegen die Sucht erheblich beeintra¨chtigt werden, wenn sie bemerken,
dass ihr Therapeut unter Alkoholeinfluss steht.
. . . denn mit weiteren Alkoholauffa¨lligkeiten war zu rechnen
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bb)
Aufgrund der Vorfa¨lle in der Vergangenheit war im
Zeitpunkt der Ku¨ndigung die Prognose gerechtfertigt, beim
Kla¨ger sei auch ku¨nftig mit Alkoholauffa¨lligkeiten wa¨hrend der
Arbeitszeit zu rechnen.
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(1)
Eine Alkoholisierung war beim Kla¨ger erstmals am 20. 12. 2006
und am 5. 2. 2007 festgestellt geworden. Am 22. 5. 2009 versah der
Kla¨ger abermals unter Alkoholeinfluss seinen Dienst.
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(2)
Dies rechtfertigte die Prognose, der Kla¨ger habe seine Alkohol-
krankheit nicht verla¨sslich unter Kontrolle. Daran vermag auch der Um-
stand nichts zu a¨ndern, dass zwischen festgestellten Alkoholisierungen
ein la¨ngerer Zeitraum lag. Er zeigt gerade, dass trotz der la¨ngeren „tro-
ckenen“ Periode eine gu¨nstige Prognose nicht gestellt werden konnte.
Nicht la¨nger hinnehmbare Beeintra¨chtigung der betrieblichen
Interessen
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(3)
. . .
aa)
Der Beklagte musste befu¨rchten, dass bei auch zu-
ku¨nftig zu erwarten den Alkoholauffa¨lligkeiten des Kla¨gers die sachge-
rechte Behandlung der Patienten beeintra¨chtigt und ein Therapieerfolg
gefa¨hrdet wu¨rde. Schon eine solche Gefa¨hrdung ist fu¨r den Beklagten
nicht hinnehmbar. Er hat gegenu¨ber Patienten und Leistungstra¨gern
die Pflicht, scha¨dliche Einflu¨sse auf den Behandlungserfolg mo¨glichst
auszuschließen.
Interessenabwa¨gung fu¨hrt zu keinem anderen Ergebnis
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bb)
. . .
d)
Die Abwa¨gung der beiderseitigen Interessen
ergibt, dass die Belange des Beklagten u¨berwiegen. Die mit der
nicht beherrschten Alkoholabha¨ngigkeit des Kla¨gers einher-
1 BAG vom 19. 4. 2012 – 2 AZR 258/11, Rdn. 13, DB 2012 S. 2404 = NZA-RR
2012 S. 567; vom 9. 6. 2011 – 2 AZR 323/10, Rdn. 14, DB 2011 S. 2609.
2 BAG vom 9. 4. 1987 – 2 AZR 210/86, zu B II., AP KSchG 1969 § 1 Krankheit
Nr. 18 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 18.
3 BAG vom 9. 4. 1987, a.a.O. (Fn. 2), zu B II. 2.
4 BAG vom 16. 9. 1999 – 2 AZR 123/99, zu II. 2. a), DB 2000 S. 93; vom 9. 7.
1998 – 2 AZR 201/98, zu II. 1. c), EzA BGB § 626 Krankheit Nr. 1.
5 Vgl. zu den Anforderungen an krankheitsbedingte Ku¨ndigungen BAG vom
30. 9. 2010 – 2 AZR 88/09, Rdn. 11, BAGE 135 S. 361 = DB 2011 S. 535;
vom 23. 4. 2008 – 2 AZR 1012/06, Rdn. 18, DB 2008 S. 2091.
DER BETRIEB | Nr. 16 | 19. 4. 2013
Arbeitsrecht
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