a) Sperrwirkung von Pru¨fbescheiden
Gem. § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Rentenversiche-
rungstra¨ger im Rahmen von Betriebspru¨fungen Bescheide, in
denen u. a. die Ho¨he der abzufu¨hrenden Sozialversicherungsbei-
tra¨ge fu¨r die in den Pru¨fzeitraum fallenden Sachverhalte fest-
gesetzt wird. Ein Ausweg aus der Haftung fu¨r Beitragsnachfor-
derungen kann sich u¨berhaupt nur ergeben, wenn man eine Bin-
dung der DRVB an solche fru¨heren bestandskra¨ftigen Pru¨f-
bescheide bejaht. Denn dann mu¨sste zuna¨chst ein vorheriger
Pru¨fbescheid nach Maßgabe von § 45 SGB X aufgehoben wer-
den
8
. Ohne Bindungswirkung hingegen stu¨nde einem Nachfor-
derungsbescheid kein Hindernis entgegen. In einstweiligen
Rechtsschutzverfahren zu CGZP-Fa¨llen haben Instanzgerichte
die Frage, ob die DRVB an fru¨here bestandskra¨ftige Bescheide
gebunden ist, bislang uneinheitlich beantwortet.
Nach einer Ansicht ist eine Bindungswirkung fru¨herer Pru¨f-
bescheide abzulehnen, weil ihnen nur begrenzte Kontrollfunk-
tion zukomme
9
. Nach anderer Auffassung ko¨nnen Beitra¨ge fu¨r
einen Zeitraum, der zuvor Gegenstand einer fru¨heren Betriebs-
pru¨fung gewesen war, nur nachgefordert werden, wenn der fru¨-
here Bescheid gem. § 45 SGB X aufgehoben werden kann und
auch wird. Andernfalls bestu¨nde die Gefahr, dass zwei den iden-
tischen Gegenstand regelnde Bescheide mit sich widersprechen-
dem Inhalt ergehen
10
.
Der Trend in der Instanzrechtsprechung geht wohl dahin, die
Bindungs- und damit Sperrwirkung von Pru¨fbescheiden abzu-
lehnen. Auf die Voraussetzungen und Folgen der Aufhebung
solcher Bescheide ka¨me es damit nicht an. Da zu dieser Frage
eine ho¨chstrichterliche Entscheidung jedoch noch nicht vorliegt,
und der Ausgang der Hauptsacheverfahren noch aussteht,
braucht die Sperrwirkung von Pru¨fbescheiden als mo¨gliche Ein-
wendung aus der Spha¨re des Verleihers zum jetzigen Zeitpunkt
nicht vollsta¨ndig aufgegeben zu werden.
b) Vertrauensschutz
Erst ku¨rzlich hat das BAG im Rahmen von „equal-pay“-Klagen
einzelner Leiharbeitnehmer postuliert, dass ein Vertrauen der
Verleiher in die Tariffa¨higkeit der CGZP, d. h. die Fa¨higkeit,
wirksame Tarifvertra¨ge abschließen zu ko¨nnen, nicht schutzwu¨r-
dig sei
11
. In diesem Sinn treten auch einige Sozialgerichte dem
Einwand entgegen, es la¨ge eine A¨ nderung der in die Vergangen-
heit wirkenden Rechtsprechung vor, die Vertrauensschutz ver-
mitteln ko¨nne
12
. Das BAG habe zuvor nie u¨ber die spezielle Fra-
ge der Tariffa¨higkeit einer Spitzenorganisation auf Arbeitneh-
merseite zu entscheiden gehabt, sodass es an einer A¨ nderung der
Rechtsprechung fehle
13
. Dagegen ist mit guten Gru¨nden einge-
wendet worden, dass die erstmalige Einfu¨hrung eines Merkmals
fu¨r die Tariffa¨higkeit einer Spitzenorganisation einer A¨ nderung
der Rechtsprechung gleichkomme
14
, und dass auch eine bisheri-
ge richterliche Nichtregelung Vertrauen vermitteln ko¨nne
15
.
Verleihern ko¨nnte auch vor anderem Hintergrund im Hin-
blick auf Nachforderungsanspru¨che im Einzelfall Vertrauens-
schutz zu gewa¨hren sein. Wenn ein konkretes Verwaltungshan-
deln u¨ber einen bestimmten Zeitraum hinweg die Erwartung
rechtfertigt, dass Sozialversicherungsbeitra¨ge nicht mehr nach-
gefordert werden
16
, oder wenn dem Beitragsschuldner durch die
verspa¨tete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil
entstehen wu¨rde
17
, kann man von schu¨tzenswertem Vertrauen
sprechen. Soweit die DRVB die Tarifvertra¨ge der CGZP in der
Vergangenheit u¨ber Jahre hinweg im Rahmen von Betriebspru¨-
fungen nicht beanstandet oder Beitragsbescheide im Hinblick
auf das seinerzeit laufende gerichtliche Verfahren zur Feststel-
lung der Tariffa¨higkeit ohne Vorbehalt erlassen hat, schafft diese
Verwaltungspraxis ein schutzwu¨rdiges Vertrauen
18
. Die Auf-
sichtsbeho¨rde fu¨r Arbeitnehmeru¨berlassung, die Bundesagentur
fu¨r Arbeit, hat die Tarifvertra¨ge der CGZP regelma¨ßig im Rah-
men der U¨ berwachung gem. §§ 1, 7 AU¨ G u¨berpru¨ft und ebenso
vorbehaltlos hingenommen, was ebenfalls Vertrauensschutz be-
gru¨nden kann
19
. Nachforderungen der Sozialversicherungstra¨ger
waren angesichts dessen nicht vorhersehbar, weswegen Verleiher
keine ho¨heren Beitragskosten in ihren Planungen veranschlagt
haben du¨rften. Die Einziehung der gesammelten Nachforderun-
gen ab 2007 stellt daher eine erhebliche wirtschaftliche Belas-
tung und damit einen unzumutbaren Nachteil i. S. des § 242
BGB dar.
Trotz der zahlreichen, stichhaltigen Argumente, die fu¨r die
Gewa¨hrung von Vertrauensschutz sprechen, kann dieser nicht
als „sichere Bank“ gegen Beitragsnachforderungen betrachtet
werden. Die Instanzrechtsprechung hierzu ist derzeit uneinheit-
lich, was daran liegt, dass die Gewa¨hrung von Vertrauensschutz
eine Einzelfallentscheidung ist.
c) Verja¨hrung der Beitragsnachforderungen
Die Einrede der Verja¨hrung bietet eine u¨berschaubare Haftungs-
begrenzung. Gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV betra¨gt die regel-
ma¨ßige Verja¨hrungsfrist fu¨r Anspru¨che der Sozialversicherungs-
tra¨ger vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fa¨llig
geworden sind. Im Hinblick auf die erste rechtskra¨ftige Ent-
scheidung des BAG zur mangelnden Tariffa¨higkeit der CGZP
vom 14. 12. 2010
20
, die Anlass fu¨r Nachforderungen bieten
ko¨nnte, sind im Jahr 2005 fa¨llig gewordene Beitragsforderungen
verja¨hrt. Fu¨r ju¨ngere Beitragsanspru¨che, insbes. solche mit Fa¨l-
ligkeit im Jahr 2006, ist noch immer nicht gekla¨rt, ob grundsa¨tz-
lich von einem bedingt vorsa¨tzlichen Vorenthalten ausgegangen
werden darf, wenn Verleiher Sozialversicherungsbeitra¨ge trotz
Verku¨ndung des BAG-Beschlusses am 14. 12. 2010 oder dem
Empfang des Rundschreibens der DRVB, welches im Dezember
2010 an sie geschickt worden war, nicht unverzu¨glich nachent-
richtet haben
21
. Folge wa¨re eine Verja¨hrung erst nach 30 Jahren,
§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Vereinzelt werden nach Ende des
Jahres 2010 liegende Ereignisse als Indizgrenze fu¨r vorsa¨tzliches
Verhalten angesehen
22
, sodass etwaige Nachforderungen von
Beitra¨gen fu¨r das Jahr 2006 ebenfalls verja¨hrt wa¨ren. Richtiger-
weise muss ein vorsa¨tzliches Vorenthalten im Einzelfall fest-
gestellt werden
23
. Es verbietet sich demnach, Vorsatz generell et-
8 Zu den Voraussetzungen dafu¨r: BSG vom 5. 11. 1997 – 9 RV 20/96, juris,
Rdn. 18.
9 LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. 5. 2012 – L 8 R 164/12 B ER, juris, Rdn.
34 ff.; vom 25. 6. 2012 – L 8 R 382/12 B ER, juris, Rdn. 29 ff.; vom 15. 11.
2012 – L 8 R 416/12 B ER, juris, Rdn. 34 ff; Hessisches LSG vom 23. 4. 2012
– L 1 KR 95/12 B ER, juris, Rdn. 22.
10 Bayerisches LSG vom 22. 3. 2012 – L 5 R 138/12 B ER, AuA 2012 S. 491;
vom 18. 1. 2011 – L 5 R 752/08, DB0413533 = juris, LS.
11 BAG, a.a.O. (Fn. 2).
12 So z. B. LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. 5. 2012, a.a.O. (Fn. 9), Rdn. 39;
vom 25. 6. 2012, a.a.O. (Fn. 9), Rdn. 34; LSG Niedersachsen-Bremen vom
21. 2. 2013 – L 1 KR 441/12 B ER, juris, Rdn. 44.
13 SG Wu¨rzburg vom 7. 2. 2012 – S 6 R 74/12 ER, juris, Rdn. 38.
14
Giesen
, ZAAR Schriftenreihe, Band 25, 2011, S. 52.
15
Rieble
, BB 2012 S. 2945 (2947).
16
Zeppenfeld/Faust
, NJW 2011 S. 1643 (1647), m. w. N. aus der Rspr. des BSG.
17
Breidenbach
, BB 2002 S. 1910 (1912).
18
Lunk/Rodenbusch
, RdA 2011 S. 375 (376).
19
Giesen
, a.a.O. (Fn. 14), S. 53.
20 BAG vom 14. 12. 2010 – 1 ABR 19/10, BAGE 136 S. 302 = DB 2011 S. 593.
21 Fu¨r den Zeitpunkt des Beschlusses des BAG: Hessisches LSG vom 23. 4.
2012, a.a.O. (Fn. 9), Rdn. 29; fu¨r den Zugang des DRVB-Schreibens: LSG
Nordrhein-Westfalen vom 15. 11. 2012, a.a.O. (Fn. 9), Rdn. 40.
22 LSG Niedersachsen-Bremen vom 21. 2. 2013, a.a.O. (Fn. 12), Rdn. 54.
23 LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. 5. 2012, a.a.O. (Fn. 9), Rdn. 42;
Zeppen-
feld/Faust
, NJW 2011 S. 1643 (1647).
DER BETRIEB | Nr. 16 | 19. 4. 2013
Arbeitsrecht
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