31 . . . 33
I
(2)
. . .
ff) (1)
Der Kla¨ger hat sich in erster Instanz darauf be-
schra¨nkt, das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse – einfach
– zu bestreiten. Im Berufungsrechtszug hat er zur Vermutungswirkung
des Interessenausgleichs ausgefu¨hrt, diese greife deshalb nicht ein, weil
sich die Sachlage nach dessen Abschluss durch die Weiterbescha¨ftigung
mehrerer auf der Namensliste aufgefu¨hrter Arbeitnehmer und durch
Neueinstellungen wesentlich gea¨ndert habe. Im U¨ brigen hat er die Pro-
tokollnotiz vorgelegt und gemeint, daraus ergebe sich die Unrichtigkeit
der Vermutung.
34
I
Das Vorbringen macht deutlich, dass der Kla¨ger einen gewissen Ein-
blick in die betrieblichen Verha¨ltnisse durchaus hat . . . (wird ausgefu¨hrt).
Die Auskunftspflicht des Arbeitgebers aus § 1 Abs. 3 Satz 1
Halbs. 2 KSchG besteht auch bei Vorliegen eines Interessenaus-
gleichs mit Namensliste – Die abgestufte Darlegungslast fu¨r
die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl liegt zuna¨chst beim Ar-
beitnehmer
35 . . . 44
I
(2)
. . .
III. 2.
Je nach Sachlage wird der Frage nachzuge-
hen sein, ob die Ku¨ndigung wegen grob fehlerhafter sozialer Aus-
wahl i. S. des § 1 Abs. 3, Abs. 5 Satz 2 KSchG sozial ungerecht-
fertigt ist und/oder ob ein Unwirksamkeitsgrund i. S. des § 102
Abs. 1 BetrVG vorliegt. Im Zusammenhang mit der Sozialaus-
wahl wird das LAG insbes. festzustellen und zu bewerten haben,
ob die Beklagte ihre Auskunftspflicht nach § 1 Abs. 3 Satz 1
Halbs. 2 KSchG erfu¨llt hat. Diese besteht uneingeschra¨nkt auch
in den Fa¨llen des § 1 Abs. 5 KSchG
4
. . . (wird ausgefu¨hrt).
45 . . . 46
I
a)
. . .
b)
Die Darlegungs- und Beweislast fu¨r die Tat-
sachen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl er-
gibt, liegt grundsa¨tzlich beim Arbeitnehmer. Auch sie ist abge-
stuft. Der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit a¨ndert daran
nichts
15
. Es ist zuna¨chst Sache des Arbeitnehmers, die grobe
Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl darzulegen, sofern er u¨ber die
erforderlichen Informationen verfu¨gt. Soweit er hierzu nicht in
der Lage ist und deswegen den Arbeitgeber zur Mitteilung der
Gru¨nde auffordert, die ihn zu der Auswahl veranlasst haben, hat
dieser als Folge seiner materiellen Auskunftspflicht gem. § 1
Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG auch im Prozess substantiiert
vorzutragen. Seine sich aus der Mitteilungspflicht ergebende
Vortragslast ist grundsa¨tzlich auf die subjektiven, von ihm tat-
sa¨chlich angestellten Auswahlu¨berlegungen beschra¨nkt. Der Ar-
beitnehmer hat keinen Anspruch auf die vollsta¨ndige Auflistung
der Sozialdaten aller objektiv vergleichbaren Arbeitnehmer
16
.
47
I
c)
Gibt der Arbeitgeber keine oder keine vollsta¨ndige Aus-
kunft, so kann der Arbeitnehmer beim Fehlen eigener Kenntnis
seiner aus § 1 Abs. 3 KSchG i. V. mit § 138 Abs. 1 ZPO herzu-
leitenden Substantiierungspflicht, die Namen sozial sta¨rkerer
Arbeitnehmer zu nennen, nicht genu¨gen. In diesen Fa¨llen ist
sein Vortrag, es seien sozial sta¨rkere Arbeitnehmer als er vorhan-
den, schlu¨ssig und ausreichend
17
.
48
I
d)
Entsprechende Erwa¨gungen gelten, wenn der Vortrag des
Arbeitgebers Anhaltspunkte dafu¨r bietet, er habe die Sozialaus-
wahl – bei Beru¨cksichtigung des Vortrags des Arbeitnehmers –
grob fehlerhaft nicht auf vergleichbare Arbeitnehmer erstreckt,
und der Arbeitgeber es unterla¨sst, sein Vorbringen zu vervoll-
sta¨ndigen . . . (wird ausgefu¨hrt).
Redaktioneller Hinweis:
Volltext unter DB0588145.
15 BAG vom 17. 11. 2005 – 6 AZR 107/05, Rdn. 29, BAGE 116 S. 213 = DB 2006
S. 240; vom 21. 2. 2002 – 2 AZR 581/00, DB0044574 = EzA KSchG § 1 Inte-
ressenausgleich Nr. 10, zu § 1 Abs. 5 KSchG a. F.
16 BAG vom 18. 1. 2007 – 2 AZR 796/05, Rdn. 38, DB 2007 S. 2097.
17 BAG vom 18. 1. 2007, a.a.O. (Fn. 16); vom 21. 7. 1988 – 2 AZR 75/88, DB
1989 S. 485 = AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 17.
Personenbedingte Ku¨ndigung bei Alkoholsucht
Wertung der Sucht als Krankheit wegen fehlenden Schuldvor-
wurfs – Deshalb keine fristlose Ku¨ndigung aus Gru¨nden in der
Person oder im Verhalten – Jedoch Berechtigung einer ordentli-
chen Ku¨ndigung – Maßgeblich ist die Befu¨rchtung erneuter Al-
koholauffa¨lligkeiten – Unzumutbare Beeintra¨chtigung betrieb-
licher Interessen – Interessenabwa¨gung
BGB § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1, §§ 291, 293 ff., § 615
Satz 1, § 626 Abs. 1; EFZG § 3 Abs. 1 Satz 1; KSchG § 1 Abs. 2,
§ 11 Nr. 3; MVG-EKD § 36 Abs. 3; MVG-EKiR §§ 38, 41, 42
Buchst. B
1. An eine Ku¨ndigung, die auf ein Verhalten des Arbeitnehmers
gestu¨tzt wird, das im Zusammenhang mit einer Alkoholsucht
steht, sind grundsa¨tzlich die gleichen Anforderungen wie an
krankheitsbedingte Ku¨ndigungen zu stellen. Eine außer-
ordentliche Ku¨ndigung kommt daher nur in eng begrenzten
Fa¨llen in Betracht, etwa bei einem Ausschluss der ordentli-
chen Ku¨ndigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelver-
traglicher Vereinbarungen.
2. Ist im Zeitpunkt der Ku¨ndigung die Prognose gerechtfertigt,
der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholsucht dauer-
haft nicht die Gewa¨hr, in der Lage zu sein, die vertraglich
geschuldete Ta¨tigkeit ordnungsgema¨ß zu erbringen, kann
eine ordentliche Ku¨ndigung des Arbeitsverha¨ltnisses ge-
rechtfertigt sein. Voraussetzung ist, dass daraus eine erheb-
liche Beeintra¨chtigung der betrieblichen Interessen folgt,
diese durch mildere Mittel – etwa eine Versetzung – nicht
abgewendet werden kann und sie auch bei einer Abwa¨gung
gegen die Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber
billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss.
3. Die Beeintra¨chtigung der betrieblichen Interessen muss sich
nicht aus der Dauer zu erwartender krankheitsbedingter Fehl-
zeiten ergeben. Sie kann bei einem Therapeuten in einer
Suchtklinik auch darin bestehen, dass wegen zu befu¨rchtender
Alkoholauffa¨lligkeiten wa¨hrend der Arbeitszeit eine sachge-
rechte Behandlung der Patienten nicht mehr gewa¨hrleistet ist.
(Orientierungssa¨tze der Richterinnen und Richter des BAG)
BAG-Urteil vom 20. 12. 2012 – 2 AZR 32/11
u
DB0585533
Die Parteien streiten u¨ber die Wirksamkeit einer außerordentlichen,
hilfsweise ordentlichen Ku¨ndigung des Beklagten und Vergu¨tungs-
anspru¨che des Kla¨gers.
Der Beklagte betreibt eine Fachklinik fu¨r Suchterkrankungen In ihr
werden insbes. alkoholabha¨ngige Patienten behandelt. Der 1948 gebo-
rene Kla¨ger war seit 1997 als Ergotherapeut im Bereich der Arbeits-
und Kreativtherapie ta¨tig, in deren Rahmen Patienten von Suchtmitteln
entwo¨hnt werden sollen. Der Kla¨ger ist selbst „Alkoholiker“. Dies war
dem Beklagten bei der Einstellung bekannt. Sie erfolgte in der Annah-
me, dass der Kla¨ger „trocken“ sei. 2006 und 2007 kam es beim Kla¨ger
wiederholt zu Ru¨ckfa¨llen. Am 17. 8. 2007 ku¨ndigte der Beklagte das
Arbeitsverha¨ltnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Am 22. 2.
2008 versta¨ndigten sich die Parteien auf eine Fortsetzung des Arbeits-
verha¨ltnisses. Nach einem weiteren Ru¨ckfall im Mai 2009 ku¨ndigte der
Beklagte mit Zustimmung der Mitarbeitervertretung dem Kla¨ger am
28. 5. 2009 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. 12. 2009.
Das ArbG hat erkannt, dass die außerordentliche Ku¨ndigung unwirksam
ist. Die Klage gegen die ordentliche Ku¨ndigung hat es abgewiesen. Das
LAG (Du¨sseldorf – 175 Sa 540/10) hat die Berufung des Beklagten zu-
ru¨ckgewiesen. Auf dieBerufungdesKla¨gers hat es dieUnwirksamkeit auch
der ordentlichen Ku¨ndigung festgestellt. Mit der Revision verfolgt der Be-
klagte sein Begehren weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
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Arbeitsrecht
DER BETRIEB | Nr. 16 | 19. 4. 2013