Die Bu¨rgenhaftung von Entleihern ist 1972 mit § 393 Abs. 3
RVO, der inhaltsgleichen Vorga¨ngernorm des § 28e Abs. 2
SGB IV, eingefu¨hrt worden
33
. Ausweislich der Gesetzesbegru¨n-
dung sollte damit unzureichenden beho¨rdlichen U¨ berwachungs-
mo¨glichkeiten begegnet werden, die es Verleihern ermo¨glichten,
Sozialversicherungsbeitra¨ge zu hinterziehen
34
. Insbes. waren
Verleiher mit wechselndem Gescha¨ftssitz oder Gescha¨ftssitz im
Ausland ins Visier des Gesetzgebers geraten
35
. Von der Einfu¨h-
rung dieser Haftungsanordnung versprach man sich offenbar au-
ßerdem eine Selbstkontrolle durch die Marktteilnehmer
35
.
Im Hinblick auf diese gesetzgeberischen Zielsetzungen ist
zweifelhaft, ob die Entleiherhaftung in den CGZP-Fa¨llen auf
§ 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV gestu¨tzt werden kann. Die zur Haf-
tung fu¨hrende Beitragspflicht beruht letztlich auf der rechtlichen
Bewertung einer Rechtsfrage, die erstmalig so der Rechtspre-
chung zur Entscheidung vorlag und noch dazu faktisch eine
Ru¨ckwirkung entfaltet. CGZP-Tarife anwendende Verleiher
handelten nicht im Verborgenen oder versuchten auf andere Art,
der U¨ berwachung durch die Erlaubnis- und Aufsichtsbeho¨rde
zu entgehen. Sofern Entleihunternehmen u¨berhaupt wussten,
dass ihr Verleihunternehmen CGZP-Anwender war, waren die
ihnen zur Verfu¨gung stehenden Mittel zur Kontrolle – Zuverla¨s-
sigkeitspru¨fungen und das Einholen von Unbedenklichkeits-
bescheinigungen – allenfalls auf die ordnungsgema¨ße Abwick-
lung der Arbeitnehmeru¨berlassung, d. h. den Austausch der ver-
einbarten Leistungen mit einem Erlaubnisinhaber, begrenzt.
Diese Kontrollmo¨glichkeiten mussten in dieser Situation ver-
sagen
36
. Dem Entleiher aber sollten bei ordnungsgema¨ßer Ab-
wicklung der U¨ berlassung keine zusa¨tzlichen finanziellen Belas-
tungen entstehen
37
. Jede Leistung u¨ber das vereinbarte – und be-
reits vollsta¨ndig gezahlte – U¨ berlassungsentgelt hinaus wa¨re eine
solche zusa¨tzliche finanzielle Belastung.
d) Weitere Optionen
Auch Entleiher ko¨nnen u¨ber § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB ver-
suchen, einen Erlass der gegen sie gerichteten Forderung zu er-
wirken. Es kommt dann selbstversta¨ndlich auf die Verha¨ltnisse
im Entleihunternehmen an. Erbringt der Entleiher als Bu¨rge
Zahlungen, geht die origina¨re Beitragsforderung der DRVB ge-
gen den Verleiher gem. § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB auf ihn u¨ber
38
.
Die Durchsetzbarkeit dieser Forderung gegenu¨ber dem Verlei-
her und damit deren tatsa¨chlicher Wert fu¨r den Entleiher sind
einzelfallabha¨ngig. Sofern der Verleiher gegen den Entleiher
noch einen Anspruch auf Vergu¨tung aus dem U¨ berlassungsver-
trag hat, kann dieser grundsa¨tzlich nach den Regelungen der
§§ 387 ff. BGB mit der auf ihn u¨bergegangenen Beitragsnach-
forderung aufrechnen. Zahlt der Entleiher die Beitra¨ge jedoch
erst nach Ero¨ffnung des Insolvenzverfahrens u¨ber das Vermo¨gen
des Verleihers, scheidet eine Aufrechnung aufgrund von § 95
Abs. 1 Satz 3 InsO aus
39
. Es bestehen dann auch keine Zuru¨ck-
behaltungsrechte des Entleihers
40
.
e) Verfassungsma¨ßigkeit der Haftungsgrundlage
Soweit ersichtlich ist die Entleiherhaftung nach § 28e Abs. 2
Satz 1 SGB IV in Literatur und Rechtsprechung bislang fu¨r ver-
fassungsgema¨ß gehalten worden
41
. Angesichts der geringen Haf-
tungsvoraussetzungen und den auch abseits der CGZP-Proble-
matik sehr begrenzten, eher rein formalen Verteidigungsmo¨g-
lichkeiten ergeben sich gleichwohl Bedenken im Hinblick auf
die Verha¨ltnisma¨ßigkeit dieser Haftung. Denn Entleiher haften
dadurch auch fu¨r die Nichtentrichtung von Sozialversicherungs-
beitra¨gen aufgrund von Vorga¨ngen, die sich vollsta¨ndig in der
Spha¨re des Verleihers abspielen und damit ihrer Einflussmo¨g-
lichkeit entzogen sind. Zu denken ist etwa an Vermo¨gensentzug
durch den „Griff in die Kasse“ oder die unzutreffende Eingrup-
pierung eines Leiharbeitnehmers in einen (wirksamen) Tarifver-
trag. Das sind praktische Beispiele, bei denen sich nicht ein typi-
sches Risiko der Arbeitnehmeru¨berlassung verwirklicht. Den-
noch wu¨rden Entleiher hier fu¨r nicht oder zu wenig entrichtete
Sozialversicherungsbeitra¨ge haften, und zwar auch dann, wenn
sie das jeweils vereinbarte U¨ berlassungsentgelt – welches nach
der Kalkulation des Verleihers auch den anfallenden Gesamt-
sozialversicherungsbeitrag umfassen sollte – an den Verleiher
entrichtet und damit das ihnen Mo¨gliche zur Abfu¨hrung dieser
Beitra¨ge geleistet haben. Ein Zuru¨ckbehalt eines Teils des U¨ ber-
lassungsentgelts als Sicherungsmaßnahme ist dabei nur bedingt
hilfreich, denn es wu¨rde die Liquidita¨t von Verleihunternehmen
verknappen und ist gerade von kleinen Entleihern nicht immer
aushandelbar. In dieser Hinsicht hat das BVerfG fu¨r a¨hnliche
verschuldensunabha¨ngige Haftungsnormen im Rahmen der
Verha¨ltnisma¨ßigkeitspru¨fung eine „
hinreichende Verantwortungs-
beziehung zu dem die Haftung auslo¨senden Sachverhalt
“ als Zu-
mutbarkeitskriterium herausgearbeitet
42
. Außerdem hat es gea¨u-
ßert, dass der Gesetzgeber bei der im Jahr 2002 eingefu¨hrten
(inhaltsgleichen) Entleiherhaftung im Baugewerbe
43
nach § 28e
Abs. 3a Satz 1 SGB IV mit § 28e Abs. 3b SGB IV eine Ent-
schuldigungsmo¨glichkeit im Hinblick auf die Verha¨ltnisma¨ßig-
keit dieser Haftungsregelung vorgesehen hat
44
. An einer solchen
fehlt es gerade bei der hier maßgeblichen Norm des § 28e
Abs. 2 Satz 1 SGB IV.
IV. Rechtsbehelfe und Gang des Verfahrens
Wird der Entleiher mit einem Haftungsbescheid konfrontiert,
hat er zuna¨chst die Mo¨glichkeit, binnen eines Monats ab Zustel-
lung des Bescheids Widerspruch gegen diesen zu erheben. Dies
hat eine erneute Pru¨fung des Bescheids durch den Sozialver-
sicherungstra¨ger zur Folge. Zu beachten ist, dass der Wider-
spruch gem. § 86a Abs. 1 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wir-
kung hat. Um die Einziehung der Beitra¨ge bis zu einer endgu¨lti-
gen rechtlichen Kla¨rung zu verhindern, muss bei dem Sozialver-
sicherungstra¨ger Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt
werden, § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG. Wird dieser abgelehnt, kann
bei dem Sozialgericht die Anordnung der aufschiebenden Wir-
kung des Widerspruchs beantragt werden, § 86b Abs. 1 Nr. 2
SGG. Ergeht ein ablehnender Widerspruchsbescheid, bleibt
dem Entleiher der Weg der Anfechtungsklage zum zusta¨ndigen
Sozialgericht. Die Klage muss binnen eines Monats ab Zustel-
lung des Widerspruchsbescheids erhoben werden und hat wie
der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung. Es wu¨rde wie-
derum ein Antrag nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG erforderlich,
um die Einziehung der Beitra¨ge bis zur Gerichtsentscheidung
33 Als Art. 3 des Gesetzes vom 7. 8. 1972, BGBl. I S. 1393.
34 BT-Drucks. VI/2303 S. 9.
35 BT-Drucks. VI/2303 S. 16.
36 So auch
Scho¨ttler/Mu¨llerleile
, BB 2011 S. 3061 (3064).
37 BT-Drucks. VI/2303 S. 10.
38 OLG Zweibru¨cken vom 10. 12. 2002 – 8 U 70/02, juris, Rdn. 67.
39 Vgl. auch BGH vom 14. 7. 2005 – IX ZR 142/02, DB0118641 = NJW 2005
S. 3285 f.
40 OLG Zweibru¨cken vom 10. 12. 2002, a.a.O. (Fn. 39), Rdn. 65 f.
41 LSG Baden-Wu¨rttemberg vom 25. 2. 2000 – L 4 KR 3688/99, juris und vom
14. 9. 2004, a.a.O. (Fn. 4);
Seewald
, in: KassKommSozVersR, 71. Lfg. 2011,
§ 28e SGB IV Rdn. 21,
Oxenknecht-Witzsch
, in: Winkler, LPK-SGB IV, 2007,
§ 28e Rdn. 6.
42 BVerfG vom 20. 3. 2007 – 1 BvR 1047/05, DB 2007 S. 978; vom 10. 11. 1998
– 1 BvR 2296/96, 1 BvR 1081/97, BVerfGE 99 S. 202 = DB 1999 S. 335.
43 Als Art. 3 des Gesetzes vom 23. 7. 2002, BGBl. I S. 2787 ff.
44 BVerfG vom 20. 3. 2007, a.a.O. (Fn. 42).
DER BETRIEB | Nr. 16 | 19. 4. 2013
Arbeitsrecht
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