Inhalt zustehe. Dies allein kann die Wirksamkeit des im Streit-
fall erkla¨rten Widerrufs nicht infrage stellen. Der BFH hat inso-
weit – wie dargelegt – in dem Urteil vom 19. 5. 1993 – V R
110/88
17
bereits ausgefu¨hrt, dass ein Widerspruch gegen den
Steuerausweis in einer Gutschrift auch dann wirksam ist, „wenn
die Gutschrift sowohl den zivilrechtlichen Vereinbarungen ent-
spricht als auch die USt zutreffend ausweist“. Dass ein derartiger
Widerruf grds. zula¨ssig ist und deshalb mit einem solchen zu
rechnen ist, ergibt sich aus § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG. Auch war
die Vereinbarung vom 9. 1. 2009 ausdru¨cklich nur „bis auf Wi-
derruf“ abgeschlossen worden.
Redaktioneller Hinweis:
Volltext-Urteil online: DB0581782.
17 BFH vom 19. 5. 1993. a.a.O., (Fn. 2), unter II. B. 2. a).
Abgabenordnung/Steuerstrafrecht
Keine Haftung wegen Beihilfe zur Steuerhinter-
ziehung bei Anonymita¨t der mutmaßlichen Haupt-
ta¨ter
Voraussetzung der Haftung
AO § 71; FGO § 96 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1, § 118 Abs. 2
1. Die Haftung nach § 71 AO setzt u. a. voraus, dass der Tat-
bestand einer Steuerhinterziehung erfu¨llt ist.
2. Im Zusammenhang mit anonymisierten Kapitaltransfers ins
Ausland setzt die Feststellung einer Steuerhinterziehung vo-
raus, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland trans-
ferierten Kapitals daraus in der Folge Ertra¨ge erzielt hat, die
der Besteuerung im Inland unterlagen, dass er z. B. unrichti-
ge Angaben in seiner Steuererkla¨rung gemacht, dadurch
Steuern hinterzogen und dabei vorsa¨tzlich gehandelt hat.
3. Kann das FG verbleibende Zweifel, ob und in welchem Um-
fang Steuerhinterziehungen begangen wurden, nicht ausra¨u-
men, muss es wegen der insoweit bestehenden Feststel-
lungslast des FA zu dessen Lasten den Haftungstatbestand
i. S. des § 71 AO verneinen.
BFH-Urteil vom 15. 1. 2013 – VIII R 22/10
u
DB0586758
Streitig ist, ob der Kla¨ger wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehungen
durch anonym gebliebene Bankkunden haftet. Der Kla¨ger war Leiter
der Wertpapieradministration bei einem großen deutschen Kreditinsti-
tut X und als solcher unmittelbar dem Vorstand unterstellt. X war an
zwei gleichnamigen Auslandsgesellschaften in Luxemburg und der
Schweiz beteiligt. Der Kla¨ger veranlasste und genehmigte 1992 – nach
Abstimmung mit der Revision sowie der Rechtsabteilung des Kredit-
instituts – zwei Anweisungen, die darauf gerichtet waren, den anony-
men Transfer von Wertpapieren zu den Auslandsto¨chtern der X zu er-
mo¨glichen. Erga¨nzt wurde diese Regelung im Oktober 1992 fu¨r sog.
auslandsverwahrte Werte in der Weise, dass effektiv eingelieferte Werte
„auch ohne Legitimationspru¨fung entsprechend der Kundenangabe
(z. B. Kennwort oder Kundennummer)“ angenommen werden konnten.
Auf die bis dahin einzuholende Aneignungserma¨chtigung gem. § 13
DepotG sollte verzichtet werden ko¨nnen.
Im Jahr 1996 begann die Finanzverwaltung bei der X mit Ermittlungen
wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch deren
Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder zugunsten von Kunden der X und
ihrer beiden Auslandsto¨chter in Luxemburg und der Schweiz. Das zu-
sta¨ndige FA stellte fest, dass eine Vielzahl von Kunden der X und der
beiden Tochtergesellschaften die Mo¨glichkeit genutzt hatten, Kapital
und Wertpapiere anonym u¨ber die Grenze zu den Tochtergesellschaften
zu transferieren. Anstelle der personenbezogenen Kundendaten waren
lediglich Referenznummern, Kundennummern, Depot-Kontennum-
mern oder mit der Auslandsbank vereinbarte Kennworte auf den Trans-
ferbelegen vermerkt worden.
Trotz der Anonymisierung gelang es der Finanzverwaltung unter Mit-
hilfe der X, etwa 75% der Vorga¨nge einzelnen Kunden zuzuordnen. Die
weiteren Ermittlungen ergaben, dass nahezu kein nachtra¨glich enttarn-
ter Kunde die Ertra¨ge aus den ins Ausland transferierten Wertpapieren
in seiner ESt-Erkla¨rung angegeben hatte. In etwa 6% der Fa¨lle hatte
dies allerdings keine steuerverku¨rzende Wirkung. Die Identita¨t der
u¨brigen Kunden, die Bargeld und Wertpapiere anonym transferiert hat-
ten, konnte nicht ermittelt werden. Insgesamt handelte es sich dabei um
1.149 Kunden, von denen 638 Kunden Wertpapiere transferiert hatten.
Die ermittelte Nominalwertsumme der von diesen 638 Kunden trans-
ferierten Wertpapiere belief sich auf 304.732.400 DM.
Das FA nahm den Kla¨ger wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in
638 Fa¨llen fu¨r hinterzogene ESt i. H. von 2.250.824,46 € und Hinter-
ziehungszinsen zur ESt i. H. von weiteren 1.204.178 € gem. § 71 AO
in Haftung. Er und seine Mitarbeiter ha¨tten ein System entwickelt und
praktiziert, das es den Kunden der X erlaubt habe, Kapital anonym ins
Ausland zu transferieren und so der Zinsabschlagsteuer zu entgehen.
Der Kla¨ger habe dieses Verfahren angeordnet. Ihm sei auch bekannt ge-
wesen, dass die Kunden den anonymen Transfer dazu nutzen wollten,
um die Steuern auf die im Ausland erzielten Kapitalertra¨ge zu hinterzie-
hen.
Die Haftungssumme errechnete das FA auf der Grundlage der Ermitt-
lungsergebnisse in der Vergleichsgruppe der enttarnten Kunden. Die
identifizierten Kunden ha¨tten im Durchschnitt Kapitalertra¨ge von 8%
p. a. erzielt. Der durchschnittliche ESt-Satz dieser Kunden habe bei
35% gelegen. Unter Beru¨cksichtigung eines Sicherheitsabschlags von
25% ergebe sich daraus in der Gruppe der nicht identifizierten Kunden
eine Summe an hinterzogener ESt von nicht unter 2.250.824,46 €. Die
Hinterziehungszinsen seien auf 1.204.178 € festzusetzen. Neben dem
Kla¨ger seien auch die X, sechs damalige Vorstandsmitglieder sowie vier
weitere leitende Angestellte in Haftung genommen worden.
Gegen den Haftungsbescheid legte der Kla¨ger Einspruch ein, den das
FA zuru¨ckwies. Auf Antrag des Kla¨gers hat der Senat im Streitfall die
Vollziehung des Haftungsbescheids fu¨r die Dauer des Klageverfahrens
ausgesetzt
1
. Das FG hat der Klage stattgegeben und den Haftungs-
bescheid aufgehoben
2
. Die dagegen eingelegte Revision des FA wies der
BFH als unbegru¨ndet zuru¨ck.
AUS DEN GRU¨ NDEN
Entscheidung
Die Revision ist unbegru¨ndet und deshalb zuru¨ckzuweisen
(§ 126 Abs. 2 FGO). Ohne Rechtsfehler hat das FG erkannt,
dass der Kla¨ger fu¨r die mo¨gliche und auch wahrscheinliche, aber
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbare Steuerhinterzie-
hung durch anonym gebliebene Bankkunden nicht gem. § 71
AO haftet. An die tatsa¨chliche (negative) Feststellung des FG,
wonach es von der Steuerhinterziehung jedes einzelnen anonym
gebliebenen Kunden in keinem einzigen Fall u¨berzeugt sei, ist
der BFH gebunden.
Voraussetzungen der Haftung gem. § 71 AO
1.
Gem. § 71 AO haftet, wer eine Steuerhinterziehung oder eine
Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Wer
Teilnehmer einer Straftat ist, ergibt sich mangels eigener Be-
griffsbestimmungen fu¨r das Steuerrecht aus den §§ 25-31 StGB
1 Vgl. BFH-Beschluss vom 16. 7. 2009 – VIII B 64/09, BStBl. II 2010 S. 8 = DB
2009 S. 1912.
2 FG Du¨sseldorf, Urteil vom 18. 2. 2010 – 8 K 814/08 H.
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Steuerrecht
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013
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