3. Das Problem der perso¨nlichen Haftung
Der Einordnung der Restgesellschaft als deutsche Personengesell-
schaft wird entgegengehalten, dass die fru¨heren Limited-Gesell-
schafter nun plo¨tzlich einer perso¨nlichen Haftung direkt oder ent-
sprechend § 128 Abs. 1 HGB unterworfen wu¨rden, deren U¨ ber-
nahme nie beabsichtigt gewesen sei
49
. O¨ konomisch betrachtet er-
halten außerdem die Gla¨ubiger ein Zufallsgeschenk (
windfall pro-
fit
), denn bei einem Fortbestand der Limited wa¨re das Privatver-
mo¨gen der Gesellschafter ihrem Zugriff entzogen geblieben. Be-
achtlich ist das Problem der perso¨nlichenHaftung nur dann, wenn
man das Entstehen der Restgesellschaft nicht autonom betrachtet,
sondern mit Blick auf ihre Vorgeschichte als englische Kapitalge-
sellschaft. Unter diesem Blickwinkel liegt es nahe, die Entstehung
der Restgesellschaft a¨hnlich einem grenzu¨berschreitenden Form-
wechsel zu behandeln (s. o. IV. 1. c)).
Geht man von einem grenzu¨berschreitenden Formwechsel
aus, verscha¨rft sich der Einwand der perso¨nlichen Haftung noch,
denn diese Haftung betrifft dann nicht nur die Neuverbindlich-
keiten, die die Restgesellschaft nach Lo¨schung der Limited ein-
geht, sondern auch die Altverbindlichkeiten der Limited selbst
50
:
Wie bereits erla¨utert, ist es europarechtlich nicht verwehrt, den
fingierten Fortbestand der Limited als Restgesellschaft nach
deutschem Umwandlungsrecht zu beurteilen. Dort versteht man
den Formwechsel mit Blick auf § 190 Abs. 1 UmwG als einen
„Wechsel des rechtlichen Gewands“ unter Beibehaltung der
rechtlichen und wirtschaftlichen Identita¨t
51
. Die Restgesellschaft
ist also Tra¨gerin der Rechte und Pflichten der Limited
52
.
Allerdings ist dem deutschen Umwandlungsrecht auch zu ent-
nehmen, dass – gerade wegen der Gefahr der perso¨nlichen Haf-
tung – dem Formwechsel von einer Kapitalgesellschaft zu einer
GbR oder OHG alle Gesellschafter zustimmen mu¨ssen, § 233
Abs. 1 UmwG. Verbietet es diese Bestimmung, die Restgesell-
schaft als deutsche Personengesellschaft anzusehen? Fu¨r die Be-
antwortung dieser Frage kommt es darauf an, ob die in der Vor-
schrift enthaltene Wertung auch im Fall eines
fingierten
und
fahr-
la¨ssig verursachten
Formwechsels (s. dazu unter IV. 1. c)) beachtet
werdenmuss. Dafu¨r spricht, dass es fu¨r denWechsel in die Rechts-
form einer GbR oder OHG gerade auf die ausdru¨ckliche Zustim-
mung der Gesellschafter anzukommen scheint und deswegen die
Annahme einer fahrla¨ssig verursachten Umwandlung in diese
Rechtsformen von vornherein ausgeschlossen sein ko¨nnte. Aller-
dings steht dieser Erwa¨gung entgegen, dass es bei der Anknu¨pfung
an den
Sitz der Gesellschaft
auch zu einem Formwechsel kommen
kann, ohne dass die Gesellschafter sich hiermit einverstanden er-
kla¨rt haben. So geht der BGH in seiner Trabrennbahn-Entschei-
dung davon aus, dass eine schweizerische Aktiengesellschaft mit
Verwaltungssitz in Deutschland hier als Personengesellschaft be-
steht und bemerkt in einem
obiter dictum
wie selbstversta¨ndlich,
dass die Gesellschafter perso¨nlich haften
53
.
Fu¨r den hier interessierenden Sachverhalt kommt es somit al-
leine darauf an, ob es auch im Anwendungsbereich der Nieder-
lassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) zu einem Wechsel in eine
Rechtsform mit perso¨nlicher Haftung kommen kann, obwohl
die Gesellschafter diesem Wechsel nicht zugestimmt haben.
Man ko¨nnte insoweit argumentieren, dass es bei innerstaatlichen
Vorga¨ngen immer der Zustimmung der Gesellschafter bedu¨rfe
und es deswegen einen Verstoß gegen das A¨ quivalenzgebot dar-
stelle, wenn man bei bestimmten grenzu¨berschreitenden Vor-
ga¨ngen auf das Zustimmungserfordernis verzichtet. Das A¨ quiva-
lenzgebot gebietet schließlich, dass der grenzu¨berschreitende
Vorgang grundsa¨tzlich nicht ungu¨nstiger behandelt werden darf
als der innerstaatliche
54
.
Wenn man sich vor Augen fu¨hrt, worin der Grund fu¨r die
Auflo¨sung der Limited im Vereinigten Ko¨nigreich besteht, kann
dieser Einwand aber nicht u¨berzeugen. Bekanntlich liegt dem
englischen Recht ein vo¨llig anderes Konzept des Gla¨ubiger-
schutzes zugrunde als dem deutschen Recht. Wa¨hrend die Gla¨u-
biger deutscher Kapitalgesellschaften dadurch geschu¨tzt werden,
dass die Gesellschaftsgru¨ndung ein gewisses Mindestkapital vo-
raussetzt (bei der GmbH 25.000 €, s. § 5 Abs. 1 GmbHG), ver-
zichtet das englische Recht auf dieses Erfordernis. Gla¨ubiger-
schutz wird auf andere Weise verwirklicht, na¨mlich durch um-
fassende Publizita¨tsvorschriften (
disclosure
)
55
. Genau hiergegen
verstoßen die deutschen Limited-Gesellschafter, wenn sie die er-
forderlichen
annual returns
und
annual accounts
nicht zum Com-
panies House einreichen
56
. Das englische Recht sieht fu¨r diesen
Fall eine drastische Sanktion vor – es erkennt nicht nur das Pri-
vileg der beschra¨nkten Haftung ab, sondern es nimmt der Ge-
sellschaft ihre gesamte Existenz. Die Niederlassungsfreiheit
kann nicht gebieten, dass den fru¨heren Limited-Gesellschafter
auch nach Lo¨schung der Gesellschaft die Berufung auf das Haf-
tungsprivileg mo¨glich sein muss, wenn schon das Heimatrecht
diesen Schutz nun nicht mehr vorsieht
57
. Sa¨he man das anders,
wu¨rde man eine gefa¨hrliche Rechtsarbitrage ermo¨glichen, in der
Gesellschaften das Privileg der beschra¨nkten Haftung geno¨ssen,
obwohl sie weder im Vereinigten Ko¨nigreich noch in Deutsch-
land die Voraussetzungen erfu¨llen, die die jeweilige Rechtsord-
nung an die Erlangung des Privilegs knu¨pft
58
. Die Umwandlung
einer Limited in eine Restgesellschaft ist deswegen mit regula¨ren
Umwandlungsvorga¨ngen – sowohl innerstaatlichen als auch
grenzu¨berschreitenden
59
– von einer Kapitalgesellschaft in eine
GbR oder OHG nicht vergleichbar, soweit es um den Verlust
des Privilegs der beschra¨nkten Haftung geht. Es fehlt damit
nicht nur an einem Verstoß gegen das A¨ quivalenzgebot, sondern
die Annahme einer perso¨nlichen Haftung der Gesellschafter ist
unter Gla¨ubigerschutzaspekten sogar geboten
60
. Dass die Gla¨u-
biger der Altverbindlichkeiten einen
windfall profit
erhalten,
49 So
Leible/Lehmann
, GmbHR 2007 S. 1095 (1098);
J. Schmidt
, ZIP 2008
S. 2400 (2401).
50 In diesem Sinne – ohne Verweis auf das Umwandlungsrecht – auch OLG Du¨s-
seldorf vom 10. 5. 2010, a.a.O. (Fn. 9); OLG Nu¨rnberg vom 10. 8. 2007,
a.a.O. (Fn. 16); a. A.
Schmittmann/Bischoff
, ZInsO 2009 S. 1561 (1565): Fu¨r
die Altverbindlichkeiten bleibe es bei den Haftungsgrundsa¨tzen des eng-
lischen Gesellschaftsrechts.
51 S. etwa
Stengel
, in: Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl. 2012, § 190 Rdn. 4;
Meister/Klo¨cker
, in: Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, § 190 Rdn. 6.
52 In diesem Sinne auch schon
Flume
, in: FS Mann, 1977, S. 143 (165): „Selbst-
versta¨ndlich ist die Haftung des als juristische Person in Liquidation for-
mierten Inlandsvermo¨gens fu¨r die Schulden der vernichteten ausla¨ndischen
juristischen Person.“
53 BGH vom 27. 10. 2008, BGHZ 178 S. 192 (199); s. dazu auch
Hellgardt/Ill-
mer
, NZG 2009 S. 94 f.
54 S. dazu EuGH vom 12. 7. 2012, a.a.O. (Fn. 41), Rdn. 48, m. w. N.; s. auch
Bayer/J. Schmidt
, ZIP 2012 S. 1481 (1487 f.).
55 S.
Gower/Davies
, a.a.O. (Fn. 10), Rdn. 21-1, S. 751 f.; aus dem deutschen
Schrifttum s. dazu etwa
Schall
, ZIP 2005 S. 965;
Steffek
, Gla¨ubigerschutz in
der Kapitalgesellschaft, 2011, S. 18;
Teichmann
, ZGR 2011 S. 639 (682);
Zim-
mer/Naendrup
, ZGR 2007 S. 789 (792 f.).
56 S. dazu oben Fn. 11.
57 In diese Richtung bereits
Ro¨der
, RIW 2008 S. 866 (868).
58 Zur Rechtsarbitrage und der Gefahr des „Rosinenpickens“ im Zusammenhang
mit der grenzu¨berschreitenden Kombination von Gesellschaftsformen
s. ku¨rzlich auch
Klo¨hn/Schaper
, ZIP 2013 S. 49.
59 Nach dem Gesagten spricht nichts dagegen, die Einhaltung des § 233 Abs. 1
UmwG als Voraussetzung fu¨r den regula¨ren, d. h. gewollten, grenzu¨ber-
schreitenden Formwechsel von der Rechtsform einer Limited in die Rechts-
form einer GbR oder OHG anzusehen.
60 S. in diesem Zusammenhang auch
Teichmann
, ZGR 2011 S. 639 (675);
ders.
,
DB 2012 S. 2085 (2086), der allgemein eine „U¨ berlagerung des Gru¨ndungs-
statuts durch einzelne Schutzvorschriften des inla¨ndischen Rechts“ fu¨r mo¨g-
lich ha¨lt. Diese U¨ berlegung muss man hier aber gar nicht bemu¨hen, da nach
dem Gesagten schon das Gru¨ndungsstatut keine Haftungsprivilegierung
mehr vorsieht.
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013
Wirtschaftsrecht
803
1...,45,46,47,48,49,50,51,52,53,54 56,57,58,59,60,61,62,63,64,65,...94