Dr. Philip Schwarz, Marburg/Mu¨nchen
Die Vertretung der Restgesellschaft
u
DB0585231
I. Einleitung
Die Rechtsform einer englischen
private company limited by shares
(Ltd., nachfolgend: Limited) erfreut sich bei deutschen Unterneh-
mern bereits seit einigen Jahren großer Beliebtheit, wenngleich sie
inzwischen Konkurrenz durch die Unternehmergesellschaft (haf-
tungsbeschra¨nkt) bekommen hat
1
. Attraktiv wurde die Limited
vor allem, nachdem der EuGH in der beru¨hmten Urteilstrias
Cen-
tros
2
,
U¨ berseering
3
und
Inspire Art
4
entschieden hat, dass es gegen
die Niederlassungsfreiheit versto¨ßt, wenn eine Gesellschaft bei der
Verlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat
der Europa¨ischen Union ihre bisherige Rechtsform verliert
5
. Im
Ergebnis gilt damit innerhalb der Europa¨ischen Union die Gru¨n-
dungstheorie. Fu¨r einen deutschen Unternehmer ist es demnach
mo¨glich, eine Gesellschaft nach englischem Recht zu gru¨nden
und deren Verwaltungssitz dann ins europa¨ische Ausland – etwa
nach Deutschland – zu verlegen. Fu¨r die Rechtspraxis bringt die
zunehmende Verbreitung ausla¨ndischer Rechtsformen im Inland
Schwierigkeiten mit sich. Eine dieser Schwierigkeiten besteht da-
rin, dass die deutschen Limited-Gru¨nder sich nicht selten im eng-
lischen Gesellschaftsrecht nur unzureichend auskennen und sie
deswegen den Pflichten, die ihnen diese Rechtsordnung aufbu¨r-
det, nicht immer nachkommen
6
. Das kann zur Folge haben, dass
die Limited aus demGesellschaftsregister gelo¨scht wird und damit
nicht mehr existent ist. InDeutschland stehen die Gesellschaft, ih-
re Vertragspartner und Gerichte dann vor der Frage, wie das hier
faktisch fortbestehende Unternehmen handlungsfa¨hig bleibt.
Man kann diese Frage beantworten (unter VII.), wenn man sich
zuna¨chst verdeutlicht, wem das in Deutschland belegene Ver-
mo¨gen einer gelo¨schten Limited zusteht (unter III.), welches
Recht auf den Rechtstra¨ger anzuwenden ist (unter IV.), ob inso-
weit zwischen einer Liquidationsgesellschaft und einer werbenden
Gesellschaft zu differenzieren ist (unter V.) und ob die Rechtslage
sich beiWiedereintragung der Limited imVereinigten Ko¨nigreich
a¨ndert (unter VI.).
II. Der Beschluss des OLG Celle vom 29. 5. 2012
Vor kurzem hatte das OLG Celle
7
im Prozesskostenhilfeverfah-
ren u¨ber einen Antrag zu entscheiden, dem die hier interessie-
rende Konstellation zugrunde lag: An der A Solar G technik-
Ltd., einem Unternehmen, das Photovoltaikanlagen verkauft
und montiert hat, waren die spa¨tere Beklagte sowie deren Ehe-
mann je zur Ha¨lfte beteiligt. Im Jahr 2010 war die Gesellschaft
von einem Registerbeamten des Companies House in Cardiff
aus dem englischen Register gelo¨scht worden. Gleichwohl be-
trieb der Ehemann der Beklagten die Gesellschaft in Deutsch-
land weiter. Insbesondere beauftragte er im Namen der Gesell-
schaft den spa¨teren Kla¨ger als Subunternehmer mit der Montage
von Photovoltaikanlagen bei verschiedenen Kunden. Weil der
Ehemann zwischenzeitlich verstorben war, verlangte der Kla¨ger
den Werklohn von der Beklagten als Mitgesellschafterin (ent-
sprechend § 128 Satz 1 HGB). Das LG Verden hatte der Klage
stattgegeben. Das OLG als Berufungsinstanz wies den Prozess-
kostenhilfeantrag der Beklagten zuru¨ck, weil er keine hinrei-
chende Aussicht auf Erfolg biete. Seine Entscheidung begru¨ndet
das OLG mit folgenden Erwa¨gungen: (1) An die Stelle einer ge-
lo¨schten Limited trete in Bezug auf das in Deutschland belegene
Gesellschaftsvermo¨gen eine GbR oder, wenn ein Handelsgewer-
be betrieben wird, eine OHG. (2) Die Gesellschafter der GbR
bzw. OHG wu¨rden perso¨nlich fu¨r die Verbindlichkeiten der Ge-
sellschaft haften. (3) Die Theorie der sog. Rest- oder Spaltgesell-
schaft spiele in der vorliegenden Konstellation keine Rolle, denn
diese Theorie wolle nur verhindern, dass das in Deutschland be-
legene Restvermo¨gen (hier: sechs Photovoltaik-Module) herren-
los wird. So werde eine Liquidation ermo¨glicht. (4) Die Vertre-
tungsmacht des verstorbenen Ehemanns der Beklagten fu¨r die
GbR ergebe sich aus einem Fortwirken der Vertretungsmacht,
die dem Ehemann als Organ (
director
) der gelo¨schten Limited
zugestanden habe. Nicht ausdru¨cklich erkla¨rt das OLG Celle
sich zu der Frage, welches Recht Anwendung finden soll, wenn
die Gesellschaft nicht mehr werbend ta¨tig ist, sondern liquidiert
werden soll. Seine Argumentation la¨sst aber darauf schließen,
dass entsprechend einer im Schrifttum vertretenen Auffassung
8
im Liquidationsfall das englische Gesellschaftsstatut gilt
9
.
Nachfolgend wird zu zeigen sein, dass die Entscheidung des
OLG Celle im Ergebnis richtig sein kann, ihre Begru¨ndung aber
nicht zu u¨berzeugen vermag. Erstens entsteht bei Lo¨schung der
Limited im Vereinigten Ko¨nigreich immer eine Restgesellschaft
(unter III.), zweitens spielt der Gesellschaftszweck (Liquidation
oder werbende Ta¨tigkeit) fu¨r das anwendbare Recht keine Rolle
(unter V.) und drittens richtet sich die Vertretungsbefugnis nach
den deutschen Bestimmungen u¨ber die Vertretung in der GbR
bzw. in der OHG (unter VII.).
Dr. Philip Schwarz
ist Rechtsreferendar am Landgericht Marburg
und war bis vor kurzem Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl
fu¨r Bu¨rgerliches Recht und Unternehmensrecht (Prof. Dr. Lars Klo¨hn,
LL.M. (Harvard)) der LMU Mu¨nchen. Der Beitrag beruht auf einem
Vortrag, den der Verfasser am 28. 1. 2013 im Rahmen des Promoti-
onsverfahrens an der LMU Mu¨nchen gehalten hat.
1 Ende des Jahres 2006 gab es ca. 40.000 Limiteds mit Verwaltungssitz in
Deutschland, s. dazu
Westhoff
, GmbHR 2006 S. 525;
ders.
, GmbHR 2007
S. 474. Inzwischen hat die Einfu¨hrung der Unternehmergesellschaft (haf-
tungsbeschra¨nkt) wohl zu einem Ru¨ckgang der Anzahl in Deutschland ta¨ti-
ger Limiteds gefu¨hrt, s. dazu
Kornblum
, GmbHR 2010 S. R53;
ders.
, GmbHR
2010 S. 739 (746);
ders.
, GmbHR 2011 S. 692 (698). Zu den Gru¨nden, die
aus Sicht der Unternehmer fu¨r und gegen die Wahl der Rechtsform einer Li-
mited sprechen, s. auch die Umfrage von
Bayer/Hoffmann
, GmbHR 2007
S. 414.
2 EuGH-Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97, Centros, EuGHE I-1459 = DB
1999 S. 625.
3 EuGH-Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00, U¨ berseering, EuGHE I-9919 =
DB 2002 S. 2425.
4 EuGH-Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01, Inspire Art, EuGHE I-10155 =
DB 2003 S. 2219.
5 Insoweit geht es um die Zuzugsfreiheit. Zur Wegzugsfreiheit s. EuGH-Urteil
vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06, Cartesio, EuGHE I-9641 = DB 2009 S. 52.
6 S. etwa OLG Jena, Beschluss vom 22. 8. 2007 – 6 W 244/07, DB 2007
S. 2030 = ZIP 2007 S. 1709 (1711); s. auch
Borges
, IPRax 2005 S. 134 (136);
Happ/Holler
, DStR 2004 S. 730 (736);
Su¨ß
, DNotZ 2005 S. 180 (188).
7 OLG Celle, Beschluss vom 29. 5. 2012 – 6 U 15/12, NZG 2012 S. 738; dazu
auch
Knappke,
GWR 2012 S. 322;
Schubert,
EWiR 2012 S. 665.
8 S. noch die Nachweise in und den Text zu Fn. 66.
9 Unterstu¨tzt wird diese Interpretation auch durch den Verweis auf OLG Du¨s-
seldorf, Hinweisbeschluss vom 10. 5. 2010 – 24 U 160/09, NZG 2010 S. 1226
(1227). Dort heißt es: „Nach den Grundsa¨tzen der Restgesellschaft ist vom
Fortbestand einer
ausla¨ndischen
Gesellschaft [. . .] so lange auszugehen,
wie die
Liquidation
inla¨ndischen Vermo¨gens noch nicht beendet ist.“ (Her-
vorhebungen durch den Verf.).
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013
Wirtschaftsrecht
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