III. Die Zuordnung des in Deutschland belegenen Ver-
mo¨gens einer gelo¨schten Limited
Wenn sich die Gesellschafter bzw. die
directors
einer Limited ge-
genu¨ber dem englischen Register „tot stellen“, wenn sie also ins-
besondere ihren Publizita¨tspflichten nicht nachkommen
10
, hat
das die Lo¨schung der Limited aus dem Gesellschaftsregister und
ihre Auflo¨sung zur Folge
11
. Das Vermo¨gen der Limited fa¨llt als
bona vacantia
der englischen Krone zu
12
.
1. „Heimfall“ des Vermo¨gens?
Damit stellt sich zuna¨chst die Frage, ob diese Rechtsfolge nicht
auch fu¨r das in Deutschland belegene Vermo¨gen gilt. Dieser
Auffassung war im Jahr 2008 das AG Charlottenburg in einem
vom EuGH nicht zur Entscheidung angenommenen
13
Vor-
lagebeschluss zugeneigt
14
. Nach Ansicht des vorlegenden Ge-
richts soll der Grundsatz, dass sich enteignende Maßnahmen
eines Staates nur auf sein eigenes Territorium beziehen ko¨nnen,
keine Anwendung finden, wenn sich eine Gesellschaft bewusst
dem Gesellschaftsrecht eines Mitgliedstaats unterwirft, seine
wirtschaftliche Ta¨tigkeit aber in einem anderen Mitgliedstaat
ausu¨bt
15
. Diese Auffassung ist aber mit dem Territorialita¨tsprin-
zip unvereinbar, denn „Heimfallrechte“ eines Staates ko¨nnen
sich immer nur auf das im eigenen Hoheitsgebiet belegene Ver-
mo¨gen beziehen
16
. Daran a¨ndert auch die Zustimmung der
Bundesrepublik Deutschland zu den im Vertrag u¨ber die Ar-
beitsweise der Europa¨ischen Union (AEUV) enthaltenen Be-
stimmungen u¨ber die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54
AEUV) nichts
17
. Diese Bestimmungen schu¨tzen lediglich die
Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften, sie geben aber den
Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar das Recht,
sich Vermo¨gen außerhalb ihres Hoheitsgebiets anzueignen
18
. Es
gilt daher auch bei der Auflo¨sung in Deutschland ta¨tiger Limi-
teds der Grundsatz, dass sich das „Heimfallrecht“ der englischen
Krone nur auf solches Vermo¨gen beziehen kann, das im Ver-
einigten Ko¨nigreich belegen ist.
2. Herrenlosigkeit?
Wem aber soll das in Deutschland belegene Vermo¨gen zustehen,
wenn es den urspru¨nglichen Rechtstra¨ger nicht mehr gibt
19
?
Man ko¨nnte zuna¨chst erwa¨gen, dieses Vermo¨gen sei nunmehr
herrenlos. Eine Herrenlosigkeit des Gesellschaftsvermo¨gens
wu¨rde sich aus Sicht der Gesellschafter allerdings ebenfalls als
eine Enteignung darstellen. Fu¨r eine solche Maßnahme fehlte es
jedoch zum einen schon an einer Rechtsgrundlage. Zum anderen
la¨ge eine Herrenlosigkeit des Gesellschaftsvermo¨gens weder im
Interesse der Gesellschafter noch im Interesse der Gla¨ubiger der
Gesellschaft, denn beide Gruppen sind an einer irgendwie gear-
teten Verwertung des Gesellschaftsvermo¨gens
fu¨ r die Gesellschaft
interessiert
20
.
3. Theorie der Restgesellschaft
Will man ein unbekanntes Problem lo¨sen, liegt es nicht fern,
sich an a¨hnlich gelagerten bekannten Sachverhalten zu orientie-
ren. So stand man in Deutschland kurz nach Ende des Zweiten
Weltkriegs vor der Frage, was mit dem im Westen belegenen
Vermo¨gen solcher Gesellschaften geschehen sollte, die von der
Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) enteignet wurden. In einer
Entscheidung aus dem Jahr 1956 befand der BGH diesbezu¨g-
lich, dass juristische Personen und deren Vermo¨gen durch eine
staatliche Hoheitsmaßnahme „gespalten“ werden ko¨nnten, denn
die Enteignungsmaßnahme der SBZ habe nur eine gebiets-
beschra¨nkte Wirkung
21
. Im Westen lebe die Gesellschaft wei-
ter
22
. Diese Theorie der „Restgesellschaft“ (auch: „Spaltgesell-
schaft“
23
) griff man nun wieder auf, denn sie erschien auch fu¨r
die Zuordnung des in Deutschland belegenen Vermo¨gens ge-
lo¨schter Limiteds passend
24
.
In der Tat stellt die Konstruktion der Restgesellschaft eine
sachgerechte Lo¨sung dar: Sie schu¨tzt das Eigentum der Gesell-
schafter, denn u¨ber ihren Anteil an der Restgesellschaft bleibt
ihnen das Gesellschaftsvermo¨gen erhalten. Die Anspru¨che der
Limited-Gla¨ubiger richten sich nunmehr gegen die Restgesell-
schaft
25
, in die sich ein Teil der Limited verwandelt hat (s. dazu
10 Bedeutsam sind vor allem die
annual returns
(Sec. 854 ff. Companies Act
2006) und die
annual accounts
(Sec. 393 ff. Companies Act 2006), die ja¨hr-
lich zum Companies House eingereicht werden mu¨ssen. Ausfu¨hrlich zu den
Publizita¨tspflichten im englischen Gesellschaftsrecht
Gower/Davies
, Princi-
ples of Modern Company Law, 9. Aufl. 2012, Chapter 21, S. 751; aus dem
deutschen Schrifttum s.
Zimmer/Naendrup
, ZGR 2007 S. 789 (792).
11 Sec. 1000 Companies Act 2006, s. dort insbes. Abs. 6.
12 Sec. 1012 Companies Act 2006.
13 EuGH-Beschluss vom 12. 1. 2010 – Rs. C-497/08, EuGHE I-101. Nach Ansicht
des EuGH ist das AG Charlottenburg hier als Verwaltungsbeho¨rde ta¨tig. Es
fehle daher an einem fu¨r die Vorlage notwendigen Rechtsprechungsakt.
14 Amtsgericht Charlottenburg, Beschluss vom 7. 11. 2008 – 99 AR 3845/08,
GmbHR 2009 S. 321.
15 Amtsgericht Charlottenburg vom 7. 11. 2008, a.a.O. (Fn. 14), GmbHR 2009
S. 321 (322 f.); a¨hnlich
N. M. Schmidt
, ZInsO 2009 S. 1635 (1637).
16 Speziell zum Fall der Lo¨schung einer Limited s.
Behrens
, in: FS Ott, 2002,
S. 313 (323);
Knu¨tel
, RIW 2004 S. 503 (504);
J. Schmidt
, ZIP 2008 S. 2400;
dies.
, EWiR 2009 S. 379 (380);
Werner
, GmbHR 2008 S. 43 f.;
Zimmer/Naen-
drup
, ZGR 2007 S. 789 (803 f.); allgemein auch
Kindler
, in: Mu¨nchKomm-
BGB, 5. Aufl. 2010, IntGesR, Rdn. 1015, m. w. N. Aus der Rechtsprechung
s. OLG Jena vom 22. 8. 2007, a.a.O. (Fn. 6), ZIP 2007 S. 1709 (1710); OLG
Nu¨rnberg, Hinweisbeschluss vom 10. 8. 2007 – 13 U 1097/07, NZG 2008
S. 76 (77).
17 So aber AG Charlottenburg vom 7. 11. 2008, a.a.O. (Fn. 14), GmbHR 2009
S. 321 (322).
18
J. Schmidt
, EWiR 2009 S. 379 (380).
19 Wenn in Deutschland kein Vermo¨gen mehr vorhanden ist, soll eine Restge-
sellschaft nicht zur Entstehung gelangen, s. LG Duisburg, Beschluss vom
20. 2. 2007 – 7 T 269/06, NZG 2007 S. 637 (639); AG Duisburg, Beschluss
vom 14. 10. 2003 – 63 IN 48/03, IPRax 2005 S. 151. Allerdings ging zumin-
dest das LG Duisburg davon aus, dass auf die wirtschaftliche Ta¨tigkeit nach
der Lo¨schung nicht abgestellt werden ko¨nne, da diese Handlungen nur den
handelnden Personen zuzurechnen seien. Das ist unzutreffend (s. unten
III. 4. sowie V. und VII.). Solange eine Gesellschaft in Deutschland ihren
Verwaltungssitz hat und faktisch noch existent ist, du¨rfte sie i. d. R. auch
u¨ber inla¨ndisches Vermo¨gen – sei es auch gering – verfu¨gen.
20 Vgl.
Kindler
, a.a.O. (Fn. 16), IntGesR, Rdn. 1021, m. w. N.;
J. Schmidt
, ZIP
2007 S. 1712 (1713);
dies.
, ZIP 2008 S. 2400;
dies.
, EWiR 2009 S. 379 (380);
Schulz
, NZG 2005 S. 415;
Werner
, GmbHR 2008 S. 43 (44); OLG Jena vom
22. 8. 2007, a.a.O. (Fn. 6), ZIP 2007 S. 1709 (1710); s. auch
Borges
, IPRax
2005 S. 134 (137).
21 BGH vom 30. 1. 1956 – II ZR 168/54, BGHZ 20 S. 4 (10) = DB 1956 S. 278.
S. zuvor bereits RGZ 107 S. 94 (97) (zum Fortbestand einer deutschen AG
mit Sitz in Elsass-Lothringen, der Frankreich nach der Zession des Gebiets
durch den Versailler Vertrag die Eigenschaft als juristische Person nicht zu-
gestand); BGH-Urteil vom 1. 2. 1952 – I ZR 123/50, DB 1952 S. 267 = NJW
1952 S. 540 (insoweit in BGHZ 5 S. 35 nicht abgedruckt): Es sei anerkannt,
„dass enteignete Ostunternehmungen, gleichgu¨ltig, ob sie im Handelsregis-
ter der Ostzone gelo¨scht sind oder nicht, ihre Rechtsperso¨nlichkeit jeden-
falls nicht dadurch verloren haben, wenn sie in den Westzonen noch Ver-
mo¨gen besitzen“. Aus der Judikatur des BGH s. ferner Beschluss vom 25. 11.
1996 – NotZ 48/95, BGHZ 134 S. 143; vom 6. 10. 1960 – VII ZR 136/59,
BGHZ 33 S. 195 (197); Urteil vom 29. 1. 1959 – II ZR 215/57, NJW 1959
S. 673; vom 30. 9. 1991 – II ZR 47/91, DB 1991 S. 2378 = NJW-RR 1992 S. 168.
Fu¨r einen ausfu¨hrlichen U¨ berblick u¨ber die fru¨he Rechtsprechung s.
Wiede-
mann
, in: FS Beitzke, 1979, S. 811 (823). Aus dem fru¨hen Schrifttum s. ferner
Beitzke
, in: FS Janssen, 1958, S. 29;
Flume
, in: FS Mann, 1977, S. 143.
22 BGH vom 30. 1. 1956, a.a.O. (Fn. 21), BGHZ 20 S. 4 (15).
23 Zwischen den beiden Begriffen wird zum Teil differenziert. Danach handele
es sich bei einem Erlo¨schen der ausla¨ndischen Gesellschaft um eine „Restge-
sellschaft“. Wu¨rden hingegen nur die Mitgliedschaftsrechte enteignet, be-
stehe die Gesellschaft also im Ausland fort, spreche man von einer „Spaltge-
sellschaft“. S. dazu etwa
Kindler
, a.a.O. (Fn. 16), IntGesR, Rdn. 1024;
Bor-
ges
, IPRax 2005 S. 134 (138). Mit Blick auf diese Differenzierung ist in die-
sem Beitrag von einer „Restgesellschaft“ die Rede.
24 Zu den historischen Wurzeln der Theorie der Restgesellschaft s. auch
Knu¨tel
,
RIW 2004 S. 503 (505);
Kro¨mker/Otte
, BB 2008 S. 964.
(Fn. 25 auf S. 801)
800
Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013