b) Die Nichtigerkla¨rung oder Nichtigkeitsfeststellung eines
Wahlbeschlusses hat grundsa¨tzlich solche Auswirkungen,
wenn die Beschlussfa¨higkeit oder das Zustandekommen
eines Aufsichtsratsbeschlusses von der Stimme eines Auf-
sichtsratsmitglieds abha¨ngt, dessen Wahl nichtig ist oder
fu¨r nichtig erkla¨rt wird. Das Aufsichtsratsmitglied, dessen
Wahl nichtig ist oder fu¨r nichtig erkla¨rt wird, ist fu¨r die
Stimmabgabe und Beschlussfassung wie ein Nichtmitglied
zu behandeln.
BGH-Urteil vom 19. 2. 2013 – II ZR 56/12
u
DB0585529
Der Kla¨ger ist Aktiona¨r der Beklagten und hat die Beschlu¨sse der
Hauptversammlung der Beklagten vom 28. 8. 2008 u¨ber die Wahl zum
Aufsichtsrat von Dr. B., L., O., Dr. V., die wiedergewa¨hlt wurden, so-
wie M. und Dr. P., die neu gewa¨hlt wurden, angefochten. Zwischen
dem 1. 10. 2008 und 5. 2. 2009 legten diese Mitglieder des Aufsichts-
rats der Beklagten ihre A¨ mter nieder, L. mit Schreiben vom 1. 10. 2008,
eingegangen beim Vorstand der Beklagten am 6. 10. 2008, M. mit
Schreiben vom 14. 11. 2008, Dr. B. mit Schreiben vom 28. 11. 2008
mit Wirkung zum 30. 11. 2008, O. mit Schreiben vom 19. 11. 2008
mit Wirkung zum 30. 11. 2008, Dr. V. mit Schreiben vom 21. 1. 2009
mit Wirkung zum Ablauf der na¨chstfolgenden Hauptversammlung, die
am 25. 3. 2009 stattfand, und Dr. P. mit Schreiben vom 2. 2. 2009 mit
Wirkung zum 1. 2. 2009. Die am 29. 9. 2008 eingereichte Anfech-
tungsklage wurde am 17. 10. 2008 zugestellt.
Die Anfechtungsklage bzw. hilfsweise erhobene Nichtigkeitsfeststel-
lungsklage hat der Kla¨ger u. a. damit begru¨ndet, dass der Aufsichtsrat kei-
nen Wahlvorschlag fu¨r die Nachwahl des ausscheidenden Aufsichtsrats-
mitglieds A. gemacht habe, das auf Vorschlag der Bundesregierung ge-
wa¨hlt werden sollte. Die Wiederwahl von Aufsichtsratsmitgliedern sei
treuwidrig gewesen, weil die von der Hauptversammlung beschlossene
Sonderpru¨fung nicht abgeschlossen gewesen sei und auch der im Auftrag
des Vorstands erstellte Sonderpru¨fungsbericht nicht vorgelegt worden sei,
sodass die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder nicht habe ge-
pru¨ft werden ko¨nnen. L. sei als Aufsichtsrat ungeeignet, wie sich daran
zeige, dass er kurz nach der Hauptversammlung als Vorstand der Kredit-
anstalt fu¨rWiederaufbau abberufen worden sei. Zahlreiche Auskunftsver-
langen seien nicht oder nicht vollsta¨ndig oder wahrheitswidrig beantwor-
tet worden. Hilfsweise hat der Kla¨ger die Feststellung begehrt, dass sich
der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt habe.
Das LG hatte auf diesen Hilfsantrag des Kla¨gers festgestellt, dass der
Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei, soweit er den Beschluss in
der Hauptversammlung betreffend die Wahl des Aufsichtsratsmitglieds
M. betreffe, und die Klage imU¨ brigen abgewiesen. Unter Zuru¨ckweisung
der Berufung des Kla¨gers hatte das Berufungsgericht auf die Anschluss-
berufung der Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen richte-
te sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Kla¨gers. Die
Revision hatte Erfolg. Sie fu¨hrte zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zuru¨ckverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
AUS DEN GRU¨ NDEN
Zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses fu¨r eine Wahlanfech-
tungsklage
1 . . . 10
I
I.
. . .
II. 1.
Zutreffend hat das Berufungsgericht aller-
dings angenommen, dass die Beendigung des Amtes eines Auf-
sichtsratsmitglieds etwa durch Ru¨cktritt zum Wegfall des
Rechtsschutzinteresses fu¨r eine Wahlanfechtungsklage fu¨hren
kann
1
. Voraussetzung dafu¨r ist aber, dass eine Nichtigerkla¨rung
keinen Einfluss auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der
Aktiona¨re sowie der Mitglieder des Vorstands und des Auf-
sichtsrats mehr haben kann.
11
I
a)
Bisher ist in der Rechtsprechung ein Entfallen eines
Rechtsschutzbedu¨rfnisses bei der Klage gegen einen aufgeho-
benen Beschluss
2
, gegen den Ausgangsbeschluss nach einer
Neuvornahme
3
sowie beim Ausscheiden des Anfechtungskla¨gers
aus dem Kreis der Aktiona¨re
4
angenommen worden. Der Besta¨-
tigungsbeschluss (§ 244 Satz 2 AktG) fu¨hrt dagegen nicht zum
Wegfall des Rechtsschutzbedu¨rfnisses, sondern hat materielle
Wirkung auf den Ausgangsbeschluss
5
.
Zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses im Falle des Ru¨cktritts
von Aufsichtsratsmitgliedern vom Aufsichtsratsamt
12
I
b)
Der Ru¨cktritt von Aufsichtsratsmitgliedern vom Auf-
sichtsratsamt fu¨hrt nicht in jedem Fall zum Wegfall des Rechts-
schutzinteresses an der gegen einen Wahlbeschluss gerichteten
Anfechtungsklage.
Mo¨glichkeit des Eintritts der Gestaltungswirkung eines Urteils
bei Wahlanfechtungsklage trotz der Beendigung des Amtes als
Aufsichtsrat
13
I
aa)
Das Rechtsschutzinteresse folgt bei statthaften Gestal-
tungsklagen aus der Gestaltungswirkung, weil die Gestaltung
nur durch Urteil erfolgen kann
6
. Dementsprechend verlangt der
Senat fu¨r die Anfechtungsklage kein besonderes eigenes Rechts-
schutzinteresse des Aktiona¨rs
7
. Wenn die Gestaltungswirkung
wie nach der Aufhebung eines Beschlusses nicht mehr eintreten
kann, ist das Rechtsschutzinteresse an der Vernichtung des Be-
schlusses entfallen. Trotz der Beendigung des Amtes als Auf-
sichtsrat kann bei der Wahlanfechtungsklage die Gestaltungswir-
kung eines Urteils aber noch eintreten. Die Nichtigerkla¨rung des
Wahlbeschlusses wirkt, wie sich aus § 250 Abs. 1 AktG i. V.
mit § 241 Nr. 5 AktG ergibt, auf den Beschlusszeitpunkt zuru¨ck
8
.
Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei Wirkungslosigkeit des
Beschlusses
14
I
bb)
Das Rechtsschutzinteresse an der Nichtigerkla¨rung eines
Beschlusses kann daru¨ber hinaus entfallen, wenn sie keinerlei
Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der
Aktiona¨re, der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats
mehr haben kann. Wenn ein Beschluss keinerlei Wirkungen fu¨r
Vergangenheit und Zukunft mehr hat, besteht auch an seiner
Vernichtung oder der Kla¨rung seiner Rechtma¨ßigkeit kein aner-
kennenswertes Rechtsschutzinteresse mehr. Das ist etwa bei der
Neuvornahme der Fall
9
. Danach kann auch der Ru¨cktritt eines
Aufsichtsrats das Rechtsschutzinteresse an der Wahlanfechtung
entfallen lassen, wenn die Nichtigerkla¨rung keinerlei Auswir-
kungen auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktio-
na¨re, der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats mehr
haben kann.
Keine Darlegungslast des Kla¨gers fu¨r weitere Einzelheiten zu
den Aufsichtsratssitzungen
15
I
2.
Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht aber vom Kla¨-
ger na¨heren Vortrag zu den Aufsichtsratssitzungen verlangt.
1
Marsch-Barner
, in: FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1109 (1119);
Hu¨ffer
, AktG,
10. Aufl., § 246 Rdn. 11.
2 BGH-Beschluss vom 27. 9. 2011 – II ZR 225/08, DB 2011 S. 2537 = ZIP 2011
S. 2195.
3 BGH-Urteil vom 15. 12. 2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157 S. 206 (210) = DB
2004 S. 426.
4 BGH-Urteil vom 9. 10. 2006 – II ZR 46/05, BGHZ 169 S. 221 = DB 2006
S. 2566, Rdn. 14.
5 BGH vom 15. 12. 2003, a.a.O. (Fn. 3).
6
Becker-Eberhard
, in: Mu¨nchKomm-ZPO, 4. Aufl., Vor §§ 253 ff. Rdn. 31.
7 BGH-Urteil vom 27. 4. 2009 – II ZR 167/07, DB 2009 S. 1227 = ZIP 2009
S. 1158, Rdn. 13, m. w. N.
8
Stilz
, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 252 Rdn. 6.
9 Vgl. BGH vom 15. 12. 2003, a.a.O. (Fn. 3).
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013
Wirtschaftsrecht
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