Im Rahmen einer Außenpru¨fung bei der Kla¨gerin gelangte die Be-
triebspru¨ferin zu der Auffassung, dass verschiedene Finanzkonten nicht
aus betrieblichen Gru¨nden eingerichtet worden waren und die im Zu-
sammenhang damit verbuchten Schuldzinsen und Rechnungsabschluss-
kosten keine Betriebsausgaben darstellten.
Auf der Grundlage der Pru¨fungsfeststellungen erließ das FA am 9. 5.
2007 einen auf § 164 Abs. 2 AO i. V. mit § 129 AO gestu¨tzten A¨ nde-
rungsbescheid fu¨r das Streitjahr, mit dem die Einku¨nfte aus selbststa¨n-
diger Arbeit entsprechend ho¨her festgestellt wurden, obwohl der ur-
spru¨ngliche Bescheid keinen Nachpru¨fungsvorbehalt enthielt.
Den Einspruch, mit dem die Kla¨gerin die rechtliche Mo¨glichkeit einer
A¨ nderung der Einku¨nftefeststellung bestritt, wies das FA als unbegru¨n-
det zuru¨ck. Die A¨ nderung des urspru¨nglichen Feststellungsbescheids
vom 26. 9. 2003 sei nach § 129 AO zula¨ssig gewesen. Der fehlende
Nachpru¨fungsvorbehalt im urspru¨nglichen Bescheid sei eine offenbare
Unrichtigkeit; aus einer Aktennotiz der Sachbearbeiterin (auf einem der
Feststellungserkla¨rung angehefteten Notizzettel) und der Speicherung
des Steuerfalls als Festsetzung unter Vorbehalt der Nachpru¨fung im
„Veranlagungsspiegel“ werde deutlich, dass die Sachbearbeiterin den
Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachpru¨fung habe erlassen wollen;
die Mo¨glichkeit eines Rechtsirrtums sei ausgeschlossen.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg, da das FG eine A¨ nde-
rungsgrundlage verneinte
1
. Zu Unrecht stu¨tze sich das FA auf § 164
Abs. 2 AO i. V. mit § 129 AO.
Auf die Revision des FA hob der BFH das FG-Urteil auf und verwies
die Sache an die Vorinstanz zuru¨ck.
Wa¨hrend des Revisionsverfahrens ist fu¨r das Streitjahr am 10. 6. 2010
ein gea¨nderter Bescheid zur Feststellung der Einku¨nfte fu¨r 2002 ergan-
gen. Die Beteiligten sind sich darin einig, dass dadurch die Grundlagen
des Streitstoffs nicht beru¨hrt werden.
AUS DEN GRU¨ NDEN
Die Revision ist begru¨ndet. Sie fu¨hrt zur Aufhebung des vor-
instanzlichen Urteils und zur Zuru¨ckverweisung des Rechts-
streits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Aufhebung aus verfahrensrechtlichen Gru¨nden
1.
Das FG-Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gru¨nden
aufzuheben. An die Stelle des zuna¨chst angefochtenen Feststel-
lungsbescheids ist wa¨hrend des Revisionsverfahrens der weitere
A¨ nderungsbescheid vom 10. 6. 2010 getreten, der gem. § 68
Satz 1 i. V. mit § 121 Satz 1 FGO Gegenstand des Revisions-
verfahrens geworden ist. Soweit einem FG-Urteil ein nicht mehr
existierender Bescheid zugrunde liegt, kann es keinen Bestand
haben
2
. Auch wenn die A¨ nderung nicht die Grundlagen des
Streitstoffs beru¨hrt, kann der Senat nicht in der Sache entschei-
den, sondern muss die Sache zuru¨ckverweisen, weil das FG den
entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend auf-
gekla¨rt hat.
2.
Ein Steuerbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachpru¨-
fung ergangen ist (§ 164 Abs. 1 AO), kann aus tatsa¨chlichen
oder rechtlichen Gru¨nden jederzeit gea¨ndert werden, solange der
Vorbehalt wirksam ist (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO). Der Vorbehalt
ist eine Nebenbestimmung i. S. von § 120 AO, die mit dem Be-
scheid ergeht, mithin Teil des Bescheids wird. Entscheidend ist
der bekanntgegebene Inhalt des Bescheids
3
.
Voraussetzungen des § 129 AO sind erfu¨llt
Weist der dem Stpfl. bekanntgegebene Steuerbescheid den Vor-
behalt der Nachpru¨fung versehentlich nicht aus, kann der Be-
scheid nach der st. Rspr. des BFH in diesem Punkt wegen einer
offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 AO korrigiert werden
4
,
wenn die unterbliebene Aufnahme des Vorbehalts in dem Steu-
erbescheid auf einem mechanischen Fehler – a¨hnlich den im Ge-
setz ausdru¨cklich aufgefu¨hrten Schreib- und Rechenfehlern –
beruht. Die Vorschrift des § 129 AO erfasst somit die Fa¨lle, in
denen der bekanntgegebene Inhalt des Verwaltungsakts aus Ver-
sehen vom offensichtlich gewollten materiellen Regelungsinhalt
abweicht
5
und die Mo¨glichkeit eines Tatsachen- oder Rechtsirr-
tums, eines Denkfehlers oder unvollsta¨ndiger Sachverhaltsauf-
kla¨rung in Bezug auf den Fehler ausgeschlossen werden kann
6
.
Offenbar ist eine Unrichtigkeit dann, wenn der Fehler bei
Offenlegung des Sachverhalts fu¨r jeden unvoreingenommenen
Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar
ist
7
.
Ob ein mechanisches Versehen vorlag, ist folglich anhand der
objektiv gegebenen und erkennbaren Umsta¨nde zu beurteilen,
d. h. insbesondere – aber nicht nur – unter Einbeziehung des ge-
samten Inhalts der Steuerakten. Darauf, ob der Stpfl. die Un-
richtigkeit anhand des Bescheids und der ihm vorliegenden Un-
terlagen erkennen konnte, kommt es nicht an
8
.
Ist hinsichtlich der versehentlich unterbliebenen Anordnung des
Nachpru¨fungsvorbehalts eine offenbare Unrichtigkeit zu beja-
hen, muss das FA den betroffenen Bescheid nicht zuna¨chst nach
§ 129 AO berichtigen, um ihn anschließend nach § 164 Abs. 2
AO a¨ndern zu ko¨nnen; vielmehr kann in einem derartigen Fall
eine unmittelbare A¨ nderung nach § 164 Abs. 2 AO erfolgen
9
.
3.
Die angefochtene Entscheidung des FG entspricht nicht die-
sen Maßsta¨ben und ha¨lt damit revisionsrechtlicher U¨ berpru¨fung
nicht stand.
Aufnahme des Nachpru¨fungsvorbehalts war beabsichtigt
a)
Das FG hat in seinen Urteilsgru¨nden eine Reihe von Umsta¨n-
den aufgefu¨hrt, die auch aus seiner Sicht fu¨r eine gewollte Auf-
nahme des Nachpru¨fungsvorbehalts in den urspru¨nglichen Fest-
stellungsbescheid sprachen, na¨mlich dass der Steuerfall in der
Vergangenheit durch die Bp gepru¨ft worden war und in Zukunft
wieder gepru¨ft werden sollte, dass der Feststellungsbescheid im
„Veranlagungsspiegel“ mit einem Nachpru¨fungsvorbehalt ge-
speichert wurde und dass auf der Feststellungserkla¨rung 2002
ein Notizzettel mit einem entsprechenden Hinweis („VdN +
vorl. wegen hoher Zinsen“) klebte. Das FG hat zudem fest-
gestellt, dass keinerlei Anhaltspunkte dafu¨r bestehen, dass die
Nichtaufnahme des Vorbehalts der Nachpru¨fung auf einer be-
wussten Entscheidung des Sachbearbeiters beruhen ko¨nnte.
1 FG Du¨sseldorf, Urteil vom 1. 2. 2010 – 11 K 5113/08 F, EFG 2010 S. 838.
2 St. Rspr., vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 11. 4. 2012 – VIII R 28/09, BStBl. II
2012 S. 496 = DB 2012 S. 1304; vom 28. 9. 2011 – VIII R 10/08, BStBl. II
2012 S. 315 = DB 2012 S. 26, m. w. N.
3
Klein/Ru¨sken
, AO, 11. Aufl., § 164 Rdn. 8b, m. w. N.
4 BFH-Urteil vom 22. 8. 1989 – VIII R 110/86, BFH/NV 1990 S. 205; vom
27. 3. 1996 – I R 83/94, BStBl. II 1996 S. 509 = DB 1996 S. 1959; vom
17. 11. 1998 – III R 2/97, BStBl. II 1999 S. 62; vom 1. 7. 2010 – IV R 56/07,
BFH/NV 2010 S. 2004.
5
Klein/Brockmeyer/Ratschow
, AO, 11. Aufl., § 129 Rdn. 4.
6 BFH-Urteil vom 18. 8. 1999 – I R 93/98, BFH/NV 2000 S. 539, m. w. N.; vgl.
Klein/Brockmeyer/Ratschow,
a.a.O. (Fn. 5), Rdn. 12.
7 St. Rspr., vgl. etwa BFH-Urteil vom 25. 2. 1992 – VII R 8/91, BStBl. II 1992
S. 713; vom 22. 2. 2006 – I R 125/04, BStBl. II 2006 S. 400 = DB 2006
S. 763; vom 4. 6. 2008 – X R 47/07, BFH/NV 2008 S. 1801; vom 1. 7. 2010,
a.a.O. (Fn. 4);
Klein/Brockmeyer/Ratschow
, a.a.O. (Fn. 5), Rdn. 13, m. w. N.;
Pahlke/Koenig/
Pahlke
, AO, 2. Aufl., § 129 Rdn. 18 f.;
von Wedelsta¨dt
, in:
Beermann/Gosch, AO, § 129 Rdn. 38; a. A.
Seer
, in: Tipke/Kruse, AO, FGO,
§ 129 AO Rdn. 6.
8 Vgl. etwa BFH vom 25. 2. 1992, a.a.O. (Fn. 7); vom 22. 2. 2006, a.a.O.
(Fn. 7); vom 1. 7. 2010, a.a.O. (Fn. 4);
Klein/Brockmeyer/Ratschow
, a.a.O.
(Fn. 5), Rdn. 13, m. w. N.; Pahlke/Koenig/
Pahlke
, a.a.O. (Fn. 7);
von Wedel-
sta¨dt
, a.a.O. (Fn. 7); eher unentschlossen
Wernsmann
, in: Hu¨bschmann/
Hepp/Spitaler, § 129 AO Rdn. 70; kritisch
Seer
, a.a.O. (Fn. 7).
9 BFH vom 22. 2. 2006, a.a.O. (Fn. 7), m. w. N.; vom 1. 7. 2010, a.a.O.
(Fn. 4).
DER BETRIEB | Nr. 16 | 19. 4. 2013
Steuerrecht
855
1...,37,38,39,40,41,42,43,44,45,46 48,49,50,51,52,53,54,55,56,57,...104