FG verneint zwar Voraussetzungen des § 129 AO, . . .
b)
Gleichwohl hat das FG eine offenbare Unrichtigkeit verneint
mit der Begru¨ndung, dass die in der Akte befindliche Durch-
schrift des Bescheids keinen Nachpru¨fungsvorbehalt enthielt
und damit der eigentliche Wille des FA nicht hinreichend zum
Ausdruck komme. „Aus Gru¨nden der Rechtssicherheit“ sei zu
verlangen, dass das Versehen des FA zumindest so deutlich zuta-
ge trete wie im Falle der abgehefteten Durchschrift des Steuer-
bescheids mit Nachpru¨fungsvorbehalt in den Steuerakten, da an-
dernfalls die Gefahr bestu¨nde, dass ein angeblich mechanisches
Versehen nachgeschoben werde, ohne dass sicher verifizierbar
sei, ob es tatsa¨chlich vorlag. Dieser Befund gehe nach Beweis-
lastgrundsa¨tzen zulasten des FA.
c)
In der na¨heren Begru¨ndung geht das FG davon aus, dass die
Speicherung der streitbefangenen Feststellung im „Veranla-
gungsspiegel“ – als unter Vorbehalt der Nachpru¨fung stehend –
bei der Pru¨fung einer offenbaren Unrichtigkeit als nur verwal-
tungsinterner, nicht nach außen in Erscheinung tretender Um-
stand unbeachtlich bleiben mu¨sse.
. . . legt indes unzutreffende rechtliche Maßsta¨be zugrunde
Diese Annahme ist keine den BFH bindende Tatsachenfeststel-
lung (§ 118 Abs. 2 FGO), sondern sie beruht auf unzutreffen-
den rechtlichen Maßsta¨ben. Nach der Rspr. des BFH sind alle
bekannten Umsta¨nde – auch außerhalb der eigentlichen Steuer-
akten – zu beru¨cksichtigen, aus denen sich aus der Sicht eines
unvoreingenommenen Dritten ein – ggf. bereits im Vorfeld der
Steuerfestsetzung unterlaufenes oder angebahntes – Versehen
klar und eindeutig ergibt
10
. Die entscheidende Frage, ob ein of-
fenbares mechanisches Versehen vorlag oder ob insoweit eine
bewusste Entscheidung bei der Rechtsanwendung oder der
Sachverhaltsermittlung nicht ausgeschlossen werden kann, ist
anhand des objektiv gegebenen Sachverhalts zu beantworten. Zu
diesem Sachverhalt ko¨nnen auch elektronisch gespeicherte Da-
ten, wie hier die Eintragung im Veranlagungsspiegel, geho¨ren,
sofern sie ohne Weiteres sichtbar gemacht werden ko¨nnen. Mit
Ru¨cksicht auf die zunehmende EDV-technische Abwicklung
von Verwaltungsvorga¨ngen kann die Offenbarkeit eines Um-
stands nicht allein von seiner Erscheinung in Papierform abha¨n-
gen. Insbesondere gibt es keinen Grund, bei der anhand des be-
kannten Sachverhalts vorzunehmenden Beurteilung einen vom
FG festgestellten tatsa¨chlichen und objektiven Umstand aus-
zublenden, nur weil er EDV-technischer Natur ist. Ebenso we-
nig ist ersichtlich, warum der im vorliegenden Zusammenhang
bemu¨hten gedanklichen Hilfsfigur des unvoreingenommenen
Dritten, fu¨r den das mechanische Versehen als solches offenbar
sein muss, die Kenntnis dieses objektiven Umstands versagt blei-
ben soll, wenn gerade dieser Umstand geeignet ist, ein mecha-
nisches Versehen zu offenbaren.
d)
Der Entscheidung steht nicht das BFH-Urteil vom 8. 12.
2011 – VI R 45/10
11
entgegen. Dieses Urteil besta¨tigt im Ergeb-
nis die Vorentscheidung, in der das FG eine offenbare Unrich-
tigkeit verneint hatte. Es stu¨tzt sich aber auf die bisherige, dort
im Einzelnen zitierte Rspr. des BFH und entha¨lt keinen
abstrakten Rechtssatz, der der hier getroffenen Entscheidung
widerspra¨che. Soweit der BFH sich im Urteil
11
an die tatsa¨ch-
lichen Feststellungen in der erstinstanzlichen Entscheidung
12
und die tatsa¨chliche Wu¨rdigung der Umsta¨nde revisionsrechtlich
nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden sah, ist auch daraus keine
Abweichung im Rechtsgrundsa¨tzlichen zu entnehmen. Das FG
hatte geurteilt, dass in seinem Fall weder aus dem Steuer-
bescheid noch aus dem u¨brigen Akteninhalt augenfa¨llig und oh-
ne weitere Informationen erkennbar gewesen sei, dass die gebo-
tene Eingabe von Lohnersatzleistungen versehentlich unterblie-
ben sei. Vielmehr seien weitere – z. T. rechtliche – U¨ berlegun-
gen „bzw.“ ein zusa¨tzlicher (erga¨nze: rechnerischer) Abgleich
mit den in der EDV gespeicherten Daten erforderlich, um auf
eine fehlende Erfassung schließen zu ko¨nnen. Damit unterschei-
det sich der dort entschiedene Fall wesentlich vom Streitfall, in
dem es entscheidend darauf ankommt, ob der Schluss auf ein
nur versehentliches Unterlassen aus den vom FG festgestellten
Tatsachen zu ziehen ist. Ob der Senat i. U¨ . der Rechtsauffassung
des FG des Landes Sachsen-Anhalt
12
folgen ko¨nnte, kann da-
hingestellt bleiben.
Sache ist nicht spruchreif, weitere Sachverhaltsaufkla¨rung er-
forderlich
4.
Die Sache ist nicht entscheidungsreif und deshalb zuru¨ck-
zuverweisen.
a)
Auch wenn die festgestellte Eintragung im Veranlagungsspie-
gel geeignet erscheint, eine offenbare Unrichtigkeit bei Erlass
des fraglichen Bescheids zu indizieren, ist eine abschließende
Beurteilung im Streitfall noch nicht mo¨glich, weil der maßgeb-
liche Sachverhalt noch nicht vollsta¨ndig aufgekla¨rt ist. Aus-
gehend von seiner Rechtsauffassung hat das FG nicht fest-
gestellt, wer die Eintragungen im Veranlagungsspiegel vor-
genommen hat und ob dies „beim Erlass“ des betreffenden Be-
scheids geschehen ist. Es hat in diesem Zusammenhang auch
keine Feststellungen dazu getroffen, ob diese Eintragungen au-
tomatisch (programmgesteuert) erfolgen bei Eingabe der Daten
fu¨r den Feststellungsbescheid, was prima facie gegen die Mo¨g-
lichkeit einer Abweichung des bekanntgegebenen Bescheids
vom Inhalt des Veranlagungsspiegels sprechen wu¨rde, oder ob
die Eintragungen im Veranlagungsspiegel im Streitfall (noch)
perso¨nlich vorgenommen worden sind.
b)
Bei verbleibenden Ungewissheiten wird das FG bei seiner er-
neuten Entscheidung ggf. zu kla¨ren haben, ob der Vermerk auf
dem der Feststellungserkla¨rung angehefteten Notizzettel bei Er-
lass des urspru¨nglichen Bescheids oder aber erst danach gefertigt
wurde. Diese Frage betrifft nicht unmittelbar den Gesetzestat-
bestand des § 129 AO; Ausgangspunkt der gebotenen Sachver-
haltsaufkla¨rung ist in diesem Fall vielmehr ein bereits festgestell-
ter, offenkundiger tatsa¨chlicher Umstand, na¨mlich ein inhaltlich
auf den zu erlassenden Feststellungsbescheid bezogener Akten-
vermerk, der als solcher fu¨r ein nur versehentliches Abweichen
vom tatsa¨chlich Gewollten und damit eine Unrichtigkeit i. S.
von § 129 AO spricht, dessen Vorliegen bei Erlass des Bescheids
aber – ohne im erstinstanzlichen Urteil benannte konkrete
Gru¨nde – in Zweifel gezogen wird. Wird die Frage nach dem
Zeitpunkt der Fertigung des Vermerks entscheidungserheblich,
muss das FG versuchen, den Sachverhalt auch insoweit auf-
zukla¨ren (§ 76 Abs. 1 FGO)
13
, bevor es eine Beweislastentschei-
dung trifft, wie es dies im angefochtenen Urteil getan hat.
Redaktioneller Hinweis:
Volltext-Urteil online: DB0581142.
10 Vgl. BFH vom 27. 3. 1996, a.a.O. (Fn. 4), zu einem Fehler im EDV-Programm;
vom 18. 8. 1999, a.a.O. (Fn. 6), zur Handakte des Pru¨fers; vom 1. 7. 2010,
a.a.O. (Fn. 4), zum unterlassenen Vorbehaltsvermerk bei Stempelung der
Feststellungserkla¨rung mit einer den Vorbehalt bedeutenden Ziffer und trotz
einer den Vorbehalt nahe legenden allgemeinen Dienstanweisung.
11 BFH-Urteil vom 8. 12. 2011 – VI R 45/10, BFH/NV 2012 S. 694.
12 FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. 5. 2010 – 5 K 98/08, EFG 2010 S. 1757.
13 Vgl. zur Sachverhaltsaufkla¨rung in Fa¨llen des § 129 AO BFH-Urteil vom
29. 1. 2003 – I R 20/02, BFH/NV 2003 S. 1139; vom 30. 11. 1989 – IV R
76/88, BFH/NV 1991 S. 457.
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Steuerrecht
DER BETRIEB | Nr. 16 | 19. 4. 2013
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