RA Dr. Ru¨diger Litten, LL.M. / RA und Dipl.-Betriebswirt (BA) Alexander Schwenk, Frankfurt/M.
EMIR – Auswirkungen der OTC-Derivateregulie-
rung auf Unternehmen der Realwirtschaft (Teil 1)
u
DB0585528
I. Einleitung
Mit der seit 16. 8. 2012 geltenden Verordnung (EU)
Nr. 648/2012 des Europa¨ischen Parlaments und des Rates vom
4. 7. 2012 u¨ber OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und
Transaktionsregister (auch: European Market Infrastructure Re-
gulation, EMIR)
1
adressiert ein Gesetz aus dem Bereich der Fi-
nanzaufsicht nicht nur branchenangeho¨rige Unternehmen, son-
dern – erstmals direkt – auch Unternehmen der Realwirtschaft,
soweit sich diese im OTC-Derivategescha¨ft engagieren. Der fol-
gende Beitrag beleuchtet die von betroffenen Unternehmen zu
beachtenden wesentlichen Handlungsfelder und gibt Hinweise
zur praktischen Umsetzung der unter EMIR eingefu¨hrten Com-
pliance-Pflichten.
II. U¨ berblick u¨ber die OTC-Derivateregulierung
1. Auslo¨ser fu¨r eine Derivateaufsicht
Mit der Insolvenz des Bankhauses Lehman Brothers und unter
dem Eindruck der Schieflage des amerikanischen Versicherers
AIG ist der Risikogehalt von Derivategescha¨ften in das Be-
wusstsein der breiten O¨ ffentlichkeit geru¨ckt
2
. Sog. Credit
Default Swaps (CDS) sollten Risiken aus Asset-Backed-Securi-
ty-(ABS)-Transaktionen absichern. Nachdem die ABS fielen,
gerieten die absichernden Institute in enorme Schwierigkeiten.
Staatliche Rettungsmaßnahmen („Bail-Outs“) waren die Folge
3
.
2. Ordnungspolitischer Regulierungsrahmen und wirtschaft-
liche Bedeutung
Nach diesen Erfahrungen aus der Finanzmarktkrise 2008 be-
schlossen die Staats- und Regierungschefs der fu¨hrenden Indus-
trienationen im Rahmen des G20-Gipfels in Pittsburgh im Jahr
2009, den außerbo¨rslichen (over the counter) Derivatehandel
transparenter und sicherer zu machen. Die G20-Beschlu¨sse
4
sa-
hen insbesondere vor, dass standardisierte OTC-Derivate bis
spa¨testens Ende 2012 an Bo¨rsen oder elektronischen Handels-
plattformen gehandelt und u¨ber zentrale Gegenparteien (Central
Counterparty, CCP) abgewickelt werden sollen. Daneben soll-
ten sa¨mtliche OTC-Derivate an Transaktionsregister gemeldet
werden und als letzter wichtiger Punkt wollten die G20 alle
nicht u¨ber CCPs abgewickelte Gescha¨fte ho¨heren Mindestkapi-
talerfordernissen unterwerfen.
Die Kernelemente der G20-Entscheidungen zur verscha¨rften
Regulierung des OTC-Derivatemarktes werden in Europa
u¨berwiegend durch die EMIR umgesetzt. Nur die Handels-
pflicht fu¨r standardisierte OTC-Derivate u¨ber Bo¨rsen und elek-
tronische Handelsplattformen ist – insoweit systemgerecht –
„ausgelagert“ auf die im Rahmen der MiFID-Reform zu erwar-
tende MiFIR
5
. Als bedeutendste Parallelregelung zu EMIR ist
der Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection
Act („Dodd-Frank Act“) in den USA zu nennen
6
. Gerade im
grenzu¨berschreitenden Derivategescha¨ft werden die Wechsel-
wirkungen zwischen den jeweils national geltenden Aufsichts-
normen eng abzustimmen und grenzu¨berschreitend zu beraten
sein
7
.
EMIR fu¨hrt insbesondere Vorschriften ein, die auf eine Ver-
besserung der Transparenz und eine Reduzierung von Risiken
hinwirken sollen, die mit dem OTC-Derivatemarkt zusammen-
ha¨ngen. Zugleich entha¨lt sie Vorgaben zur Beaufsichtigung der
zentralen Gegenparteien (Central Counterparties, CCP) und
der Melderegister (Trade Repositories, TR). U¨ bergreifendes An-
liegen war es, gemeinsame Regeln einzufu¨hren, die zentrale Ge-
genparteien einer aufsichtsbeho¨rdlichen Regulierung unterwer-
fen. Damit soll sichergestellt werden, dass das Risikomanage-
ment von einem bilateralen Abschluss von OTC-Derivatevertra¨-
gen in einen zentralisierten Clearingprozess u¨berfu¨hrt wird.
Die wirtschaftliche Bedeutung des Derivategescha¨fts ist
enorm: Nach Angaben der Bank fu¨r Internationalen Zahlungs-
ausgleich (Bank for International Settlement – BIS) lag der No-
minalwert des ausstehenden OTC Derivatevolumens Mitte
2012 weltweit bei 639 Bill. Dollar, wobei allein auf Zinsderivate-
kontrakte 494 Bill. Dollar entfielen
8
. Auch die zahlenma¨ßig
niedrigere, o¨konomisch indessen aussagekra¨ftigere Kennziffer
des Gross Credit Exposure, d. h. des Marktwerts der Gescha¨fte,
der auf den Ausgleichsanspruch nach Saldierung der gegenla¨ufi-
gen Derivatepositionen und nach Abzug von Sicherheiten bei
Gescha¨ftsbeendigung abstellt, veranschaulicht die wirtschaftliche
Bedeutung immer noch in beeindruckender Weise
9
. Einer
Scha¨tzung zufolge soll sie bei 3,7 Bill.
10
Dollar liegen.
3. Umsetzungsstand
a) Europa¨ische Union: EMIR und Technische Standards der ESMA
Als europa¨ische Verordnung gilt die EMIR in Deutschland un-
mittelbar (Art. 288 Abs. 2 AEUV) und gem. Art. 91 bereits seit
Dr. Ru¨diger Litten
ist Partner,
Alexander Schwenk
Of Counsel im
Frankfurter Bu¨ro der internationalen Sozieta¨t Norton Rose LLP.
1 ABlEU vom 27. 7. 2012 L 201/1.
2
Lehmann
, RdF 2011 S. 300.
3
Lehmann
, RdF 2011 S. 300.
4 G20, Leader’s Statement, The Pittsburgh Summit, 24./25. 9. 2009 S. 9.
5 Markets in Financial Instruments Regulation, vgl. dazu Kompromissvorschlag
des Rates vom 4. 2. 2013 (2011/0296[COD]), dort Art. 24 bis 27; zu MiFIR
vgl. auch
Gsta¨dtner
, RdF 2012 S. 145 (147).
6
Heppe/Tilemann
, WM 2011 S. 1883 (1888);
Lehmann
, RdF 2011 S. 300
(302). Zur Umsetzung der G20-Beschlu¨sse in anderen Rechtsordnungen vgl.
Financial Stability Board (FSB), Jurisdictions’ declared approaches to central
clearing of OTC derivatives, vom 5. 12. 2012.
7 Die internationale Harmonisierung insbesondere zwischen EMIR und Dodd-
Frank erscheint noch wenig vorangeschritten, vgl. dazu nur Statement des
ESMA-Vorsitzenden Steven Maijoor vom 13. 12. 2012 (ESMA/2012/824) so-
wie Formal Request der EU-Kommission an ESMA betreffend die Gleichwer-
tigkeit zwischen gesetzlichen und aufsichtlichen Rahmenbedingungen be-
stimmter Drittstaaten mit EMIR, abrufbar unter
-
tem/files/formal_request_for_technical_advice_on_equivalence.pdf [letzter
Abruf: 12. 4. 2013]; bzgl. der Abstimmung mit den einschla¨gigen US-Rege-
lungen hat ESMA bis zum 15. 6. 2013 Zeit fu¨r ihren „Technical Advice“.
8 Bank for International Settlement, Pressemitteilung vom 13. 11. 2012.
9 Vgl. dazu
Gsta¨dtner
, RdF 2012 S. 145 (146);
Ko¨hling/Adler
, WM 2012
S. 2125.
10 BIS, OTC derivatives market activity in the first half of 2012 vom 13. 11. 2012,
abrufbar unter
[letzter Abruf: 12. 4.
2013]; vgl. auch die niedrigere aber durchaus substanzielle Scha¨tzung der
ISDA mit 900 Mrd. US-Dollar; dazu
Gsta¨dtner
, RdF 2012 S. 145 (146).
DER BETRIEB | Nr. 16 | 19. 4. 2013
Wirtschaftsrecht
857
1...,39,40,41,42,43,44,45,46,47,48 50,51,52,53,54,55,56,57,58,59,...104