Entscheidungen
Aktienrecht
Wirksamkeit von Kauf- und Abtretungsvertrag bei
Verstoß gegen Kapitalerhaltungsvorschriften
U¨ bertragung von GmbH-Gescha¨ftsanteilen durch Aktiengesell-
schaft an Aktiona¨r als verbotene Einlagenru¨ckgewa¨hr gem. § 57
Abs. 1 Satz 1 AktG – Wirksamkeit von Verpflichtungs- und Ver-
fu¨gungsgescha¨ft
AktG §§ 57, 62; BGB § 134
Bei einem Verstoß gegen § 57 AktG sind weder das Verpflich-
tungs- noch das Erfu¨llungsgescha¨ft nichtig.
BGH-Urteil vom 12. 3. 2013 – II ZR 179/12
u
DB0588243
Der Kla¨ger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren u¨ber das
Vermo¨gen der W. B. AG (im Folgenden: Schuldnerin), deren Aktio-
na¨rin die W. H. GmbH, die Rechtsvorga¨ngerin der Beklagten, war.
Mit notariellem Kauf- und Abtretungsvertrag vom 27. 9. 1995 u¨ber-
trug die Schuldnerin alle Gescha¨ftsanteile an der A. GmbH im Nenn-
wert von 1 Mio. DM an die Rechtsvorga¨ngerin der Beklagten zum
Kaufpreis von 1.257.000 DM. Zum Zeitpunkt des Verkaufs und der
Abtretung der Gescha¨ftsanteile war Prof. Dr. I. W. Vorstandsmitglied
der Schuldnerin. Beim Kauf und Abtretungsvertrag vom 27. 9. 1995
wurde die Schuldnerin von zwei anderen Vorstandsmitgliedern vertre-
ten. Auf Seiten der Erwerberin handelte der Sohn von Prof. Dr. I.
W., der einzelvertretungsberechtigter Gescha¨ftsfu¨hrer der Rechtsvor-
ga¨ngerin der Beklagten war. Am Stammkapital der Ka¨uferin waren
zum Zeitpunkt des Erwerbs Prof. Dr. I. W. mit 24,99%, seine Ehefrau
mit 9,07% und drei Kinder mit jeweils 17,06% beteiligt, darunter der
gescha¨ftsfu¨hrende Sohn. 7,84% hielten die T. AG und 6,92% die
M. AG.
Der Kla¨ger ist der Auffassung, dass der Kauf- und Abtretungsvertrag
vom 27. 9. 1995 nichtig sei. Der Verkauf der Gescha¨ftsanteile sei eine
verbotene Einlagenru¨ckgewa¨hr nach § 57 Abs. 1 AktG, weil die Ge-
scha¨ftsanteile im September 1995 mehr als 3,7 Mio. € wert gewesen sei-
en und der Kaufpreis dazu in einem objektiven Missverha¨ltnis stehe.
Die Schuldnerin sei durch den Vorstand nicht wirksam vertreten wor-
den. Zwischen der Ka¨uferin und dem damaligen Vorstandsmitglied
Prof. Dr. I. W. bestehe wirtschaftliche Identita¨t, sodass die Schuldnerin
nach § 112 AktG durch ihren Aufsichtsrat ha¨tte vertreten werden mu¨s-
sen.
Der Kla¨ger hatte beantragt festzustellen, dass der Kauf- und Abtre-
tungs-vertrag vom 27. 9. 1995 nichtig und die Schuldnerin weiterhin
Gesellschafterin der A. GmbH sei, hilfsweise, die Beklagte zur Abtre-
tung der Gescha¨ftsanteile an den Kla¨ger zu verurteilen. Das LG Augs-
burg hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kla¨gers hatte keinen
Erfolg. Die Revision des Kla¨gers blieb erfolglos.
AUS DEN GRU¨ NDEN
1 . . . 8
I
I.
. . .
II. 1.
Die Schuldnerin ist nicht Gesellschafterin
der A. GmbH geblieben. Der Kauf- und Abtretungsvertrag ist
wirksam.
Wirksame Vertretung der Aktiengesellschaft
9
I
a)
Die Schuldnerin wurde bei dem Kauf- und Abtretungsver-
trag vom Vorstand wirksam vertreten (§ 78 Abs. 1 Satz 1
AktG). Gegenu¨ber Vorstandsmitgliedern vertritt die Gesell-
schaft zwar der Aufsichtsrat (§ 112 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die
Ka¨uferin ist aber nicht mit dem Vorstandsmitglied der Schuld-
nerin Prof. Dr. I. W. gleichzusetzen. Ob § 112 Abs. 1 Satz 1
AktG erweiternd dahin auszulegen ist, dass der Aufsichtsrat die
Gesellschaft auch gegenu¨ber Gesellschaften vertritt, in denen ein
Vorstandsmitglied maßgeblichen Einfluss hat
1
, kann hier dahin-
stehen. Das Vorstandsmitglied der Schuldnerin Prof. Dr. I. W.
hatte keinen maßgeblichen Einfluss. Er war mit 24,99% an der
Beklagten beteiligt und damit nur Minderheitsgesellschafter.
Dass ihm daru¨ber hinaus Rechte bei der Ka¨uferin zustanden, die
einen maßgeblichen Einfluss begru¨nden, hat das Berufungs-
gericht nicht festgestellt.
10
I
Die Gescha¨ftsanteile seiner Familienangeho¨rigen sind
Prof. Dr. I. W. nicht zuzurechnen. Solange mit Familienange-
ho¨rigen keine rechtlich bindenden Vereinbarungen wie Treu-
handvereinbarungen oder Stimmbindungsvertra¨ge getroffen
sind, besteht keine rechtlich vermittelte Mo¨glichkeit einer
maßgeblichen Einflussnahme. Eine mo¨gliche soziale Beherr-
schung durch ein Familienoberhaupt kann dagegen nicht ge-
nu¨gen. § 112 AktG tra¨gt der Besorgnis Rechnung, dass der
Vorstand bei einem Gescha¨ft gegenu¨ber Vorstandsmitgliedern
nicht die erforderliche Unbefangenheit aufbringt. Ein solcher
Interessenkonflikt kann bei Gescha¨ften mit Gesellschaften, an
denen neben einem Vorstandsmitglied Mitglieder seiner Fami-
lie beteiligt sind, nicht von vorneherein unterstellt werden, weil
die Interessen der Mitglieder einer Familie nicht stets gleich
laufen und eine dahingehende Vermutung keine Grundlage
ha¨tte. Das Verbot in § 89 Abs. 3 AktG betrifft nur bestimmte
Gescha¨fte.
Keine Nichtigkeit des Verpflichtungs- und Erfu¨llungsgescha¨fts
trotz Beurteilung der Abtretung der Gescha¨ftsanteile als ver-
botene Einlagenru¨ckgewa¨hr nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG
11
I
b)
Zu Recht hat das Berufungsgericht den Kauf- und Abtre-
tungsvertrag auch im U¨ brigen fu¨r wirksam erachtet. Fu¨r die revi-
sionsrechtliche Beurteilung ist dabei der Vortrag des Kla¨gers zu
unterstellen, dass der Kaufpreis in einem objektiven Missverha¨lt-
nis zum Wert der Anteile steht, weil das Berufungsgericht dazu
keine Feststellungen getroffen hat und die Abtretung der Ge-
scha¨ftsanteile danach als eine verbotene Einlagenru¨ckgewa¨hr
nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG anzusehen ist.
12
I
Bei einem Verstoß gegen § 57 AktG sind weder das Ver-
pflichtungs- noch das Erfu¨llungsgescha¨ft nichtig.
Auffassungen im Schrifttum
13
I
aa)
Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung ist im
Falle des § 57 AktG sowohl das Verpflichtungsgescha¨ft als auch
das Erfu¨llungsgescha¨ft wegen eines Verstoßes gegen § 134 BGB
nichtig
2
, wobei teilweise zwischen der sog. offenen und der ver-
deckten Ru¨ckzahlung – typischer Fall: der Verkauf von Gegen-
sta¨nden oder wie hier Gescha¨ftsanteilen – unterschieden wird
3
.
Nach anderer Ansicht ist nur das Verpflichtungsgescha¨ft nich-
1
Spindler
, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 112 Rdn. 8;
Israel
, in: Bu¨rgers/
Ko¨rber, AktG, 2. Aufl., § 112 Rdn. 3;
Hamloch-Gesinn/Gesinn
, in: Ho¨lters,
AktG, 2. Aufl., § 112 Rdn. 7; a. A. – nur bei wirtschaftlicher Identita¨t –
Habersack
, in: Mu¨nchKommAktG, 3. Aufl., § 112 Rdn. 9;
Mertens/Cahn
, in:
Ko¨lnKomm-AktG, 3. Aufl., § 112 Rdn. 18;
Hu¨ffer
, AktG, 10. Aufl., § 112
Rdn. 2a;
Drygala
, in: Karsten Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 112 Rdn. 11;
Tomasic
, in: Grigoleit, AktG, § 112 Rdn. 6; gegen jede Ausweitung
Roth
, in:
Hopt, Großkomm-AktG, 4. Aufl., § 112 Rdn. 43.
2
Lutter
, in: Ko¨lnKomm-AktG, 2. Aufl., § 57 Rdn. 63;
Henze
, in: GroßKomm-
AktG, 4. Aufl., § 57 Rdn. 203;
Strohn
, Die Verfassung der Aktiengesellschaft
im faktischen Konzern,1977, S. 24 f.; jedenfalls fu¨r das Verpflichtungs-
gescha¨ft: RGZ 107 S. 161 (168).
3 Vgl.
Lutter
, a.a.O. (Fn. 2), § 57 Rdn. 69;
Hu¨ffer
, a.a.O. (Fn. 1), § 57 Rdn. 23.
864
Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 16 | 19. 4. 2013
1...,46,47,48,49,50,51,52,53,54,55 57,58,59,60,61,62,63,64,65,66,...104