KURS MAGAZIN 11/2013 - page 33

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11 / 2013
KURS
Boomender Markt
Der
Rechtsschutzmarkt
boomt. Seit 2007 ist der Vertragsbestand um rund
760.000 Verträge auf 21,23 Millionen angestiegen, so der Gesamtverband der
Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Und immer noch gibt es ordentli-
ches Potenzial: Erst rund 40 Prozent der Haushalte verfügen über diesen Versi-
cherungsschutz. Günstig ist die Absicherung mit einer Selbstbeteiligung.
Zielgruppentarife für Single, junge Leute und Senioren er-
möglichen ein bereites Verkaufsfeld. Zeitgenossen, die sich
für „zahme Lämmer“ halten, sollen zudemmit Kostenschutz
bei der Streitschlichtung gewonnen werden. Doch gerade
diese Mediation erfährt von Anwälten Kritik. Der Vorwurf:
Sie wird zur Schadensteuerung missbraucht.
Die Classic-Rechtsschutzpolice mit einer Selbstbeteiligung
(SB) von 500 Euro kostet beim Konzeptanbieter Degenia
153 Euro pro Jahr, wie der Marktbeobachter Innosystems
in einemVergleich ausweist. Dafür hat der Kunde Verkehrs-,
Berufs-, Privat- und Mietrechtsschutz. Die DMB Rechts-
schutz verlangt bei einer SB von 300 Euro derzeit jährlich
167 Euro.Wer hingegen keine SB vereinbart, zahlt bei beiden
Anbietern rund das Doppelte. Für ein SB von 150 bietet die
Ideal-Versicherung Kunden ab 40 Jahren den Schutz für 175
Euro pro Jahr an. Das kann sich selbst für kleine Streitig-
keiten lohnen. So zahlt man schon, wenn man sich gegen
eine Kündigung des Arbeitsplatzes wehren muss und über
zwei Instanzen geht, mehr als 6000 Euro Anwalts- und Pro-
zesskosten, wenn man rund 3300 Euro pro Monat verdient.
Angst vor den Kosten
Geht es um die Existenz, dann kann man sich Rechtsschutz
ohne Versicherung oft gar nicht leisten. Bei einem hohen exis-
tenziellen Streitwert von beispielsweise 200.000 Euro liegt das
Kostenrisiko der Betroffenen schon bei über 20.000 Euro. Da
ist es kein Wunder, dass 71 Prozent der Deutschen laut einer
Forsa-Umfrage aus Angst vor den Kosten eines Rechtsstreits
erst gar keinen Anwalt einschalten. Doch der Zugang zum
Recht sollte nicht von wirtschaftlicher Stärker abhängen.
Daher ist es auch sehr problematisch, wenn Günter Hörmann
von derVerbraucherzentrale Hamburg behauptet, jeder könne
ja selbst entscheiden, ob er vor Gericht geht oder nicht. Der
Verbraucherschützer übersieht: Wer Opfer eines schweren
Verkehrsunfalls oder einer medizinischen Falschbehandlung
wird, muss in aller Regel um seinen Schadenersatz streiten.
Hier geht es dann umdie Existenz. Und das kann bei Streitwer-
ten in Millionenhöhe für Normalverdiener unbezahlbar sein.
Zudem ist mit einem langen Streit zu rechnen, denn in sol-
chen Fällen sind die Gegner finanzstarke Haftpflichtversi-
cherer. Ohne Rechtsschutzversicherung dürften sich dann
die meisten Betroffenen einen Streit gar nicht leisten können.
Daher ist die Einschätzung von Hörmann, die Rechtsschutz-
versicherung sei eine der „unwichtigsten“ Versicherungen,
schlicht falsch.Anders wertet die StiftungWarentest. Sie hält
die Rechtsschutzversicherung immerhin für „sinnvoll“, wenn
bereits die wichtigsten Risiken von Privatpersonen durch
eine Privathaftpflicht- und BU-Versicherung abgesichert
sind. Etwas zurückhaltender ist der Bund der Versicherten:
„Die Rechtsschutzversicherung zählt zu den weniger wich-
tigen Versicherungen. Erst wenn Haftpflicht-, BU-, Unfall-,
Risikolebens-, Hausrat- und Wohngebäudeversicherung
nach Bedarf „unter Dach und Fach“ sind, sollte über eine
Rechtsschutzversicherung nachgedacht werden“, so der Ver-
braucherschutzverein aus Hamburg.
Schutz wird teurer
Rechtsschutz wird aber künftig noch wichtiger, denn er
wird teurer. Seit August 2013 sind die Streitkosten durch
das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz um rund 16 Prozent
angehoben worden, schätzt der GDV. Zudem haben sich laut
Bayerischem Staatsministerium der Justiz die Gerichtskosten
um rund 20 Prozent erhöht. Die erhöhten Preise gelten nicht
nur für Gerichtskosten, sondern auch für Anwaltshonorare
oder für die Vergütung von Sachverständigen und Dolmet-
schern. Gleichzeitig können Kosten eines Rechtsstreits kaum
noch steuerlich geltend gemacht werden. Wer streitet und
ohne Versicherungsschutz ist, muss die Kosten daher meist
voll aus eigener Tasche tragen.
„Das kann sogar passieren, wenn man den Prozess gewinnt“,
warnt Monika Maria Risch, Vorsitzende der Arbeitsgemein-
schaft Versicherungsrecht imDeutschenAnwaltverein (DAV).
So sei es nicht selten, dass trotz eines gewonnen Prozesses der
Gewinner auf seinen Kosten sitzen bleibt, weil der Gegner
mittelos ist. Bisher konnten die Kosten eines Zivilprozesses
immerhin noch steuerlich geltend gemacht werden. „Das
galt bisher, wenn die Prozesse nicht mutwillig angestrengt
wurden“, so Risch, die Fachanwältin für Versicherungsrecht
ist. So hatte der Bundesfinanzhof 2011 (AZ: VI R 42/10)
entschieden, dass die Kosten für einen Zivilprozess von der
Einkommenssteuer abgesetzt werden können, wenn der
Prozess ausreichende Aussicht auf Erfolg hat. Nun hat die
Finanzverwaltung die Absetzbarkeit weiter erschwert. Künf-
tig gilt, dass solche Kosten nur noch dann steuerlich geltend
gemacht werden können, wenn es für den Betroffenen um
seine Existenzgrundlage geht. „Wann die Absetzbarkeit gilt,
dürfte künftig rechtlich oft umstritten sein“, schätzt Risch.
Preisspanne ist relativ groß
Höhere Kosten für Streit verteuern aber auch die Rechts-
schutzversicherung. Zwar verweist Gehard Horrion, Chef
der Rechtsschutzversicherer im GDV und Vorstandsvor-
VERS I CHERUNGEN
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