Die Beklagte gewa¨hrte der Kla¨gerin im Jahr 2007 15 Tage Urlaub und
zahlte ihr fu¨r dieses Jahr tarifliches Urlaubsgeld i. H. von 1.049,71 Euro
brutto. Vom 29. 4. 2008 bis zum Ende des Arbeitsverha¨ltnisses am
28. 2. 2009 war die Kla¨gerin durchgehend arbeitsunfa¨hig krank. Sie ver-
langte mit Schreiben vom 20. 2. 2009 von der Beklagten ohne Erfolg
u. a. die Abgeltung von 15 Urlaubstagen aus dem Jahr 2007 sowie die
Zahlung von weiterem tariflichem Urlaubsgeld fu¨r dieses Jahr.
Die Kla¨gerin hat behauptet, es bestehe bei der Beklagten eine betriebli-
che U¨ bung, wonach Urlaub bis zum 31. 12. des Folgejahres genommen
werden ko¨nne. Da die Beklagte bei der Urlaubsgewa¨hrung im Jahr 2007
keine Tilgungsbestimmung getroffen habe, finde § 366 Abs. 2 BGB
Anwendung mit dem Ergebnis, dass mit der Gewa¨hrung von 15 Ur-
laubstagen der tarifliche Mehrurlaubsanspruch von zehn Urlaubstagen
und der gesetzliche Urlaubsanspruch i. H. von fu¨nf Urlaubstagen erfu¨llt
worden sei. Demzufolge habe die Beklagte noch 15 Tage gesetzlichen
Urlaub aus dem Jahr 2007 abzugelten, der aufgrund ihrer Arbeitsunfa¨-
higkeit nicht vor der Beendigung des Arbeitsverha¨ltnisses verfallen sei.
Neben der Urlaubsabgeltung stehe ihr das beanspruchte weitere tarifli-
che Urlaubsgeld fu¨r das Jahr 2007 zu.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der u¨bergesetzliche Mehr-
urlaub fu¨r das Jahr 2007 sei angesichts der eigensta¨ndigen Regelung in
§ 7 MTV verfallen.
Das ArbG hat der Klage teilweise stattgegeben und der Kla¨gerin u. a. Ur-
laubsabgeltung fu¨r fu¨nf Tage gesetzlichen Resturlaub aus dem Jahr 2007
sowie fu¨r diese fu¨nf Tage weiteres tarifliches Urlaubsgeld zugesprochen.
Im U¨ brigen hat es die Klage abgewiesen. Das LAG (Du¨sseldorf – 5 Sa
353/10) hat die Beklagte zur Abgeltung weiterer zehn Urlaubstage aus
dem Jahr 2007 sowie zur Zahlung weiteren tariflichen Urlaubsgelds fu¨r
diese zehn Tage verurteilt. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg.
AUS DEN GRU¨ NDEN
1 . . . 9
I
I.
Ein Anspruch der Kla¨gerin auf Abgeltung von weiteren
zehn Tagen gesetzlichen Urlaub aus dem Jahr 2007 folgt nicht aus
§ 7 Abs. 4 BUrlG, wonach der Urlaub abzugelten ist, wenn er we-
gen Beendigung des Arbeitsverha¨ltnisses ganz oder teilweise nicht
mehr gewa¨hrt werden kann. Da keine Arbeitspflicht an sechs Ta-
gen in der Woche bestand, sondern die Kla¨gerin imRahmen einer
Fu¨nftagewoche bescha¨ftigt war, standen dieser im Kalenderjahr
nach § 3 Abs. 1 BUrlG 20 Urlaubstage zu. Daru¨ber, dass die Be-
klagte der Kla¨gerin insgesamt 15 Urlaubstage aus dem Jahr 2007
gewa¨hrte, besteht kein Streit. Demzufolge hatte die Beklagte gem.
§ 7 Abs. 4 BUrlG nur fu¨nf Tage gesetzlichen Urlaub abzugelten,
wozu sie das ArbG rechtskra¨ftig verurteilt hat.
Mit der Freistellung von der Arbeit ist sowohl der gesetzliche
als auch den tarifliche Urlaubsanspruch erfu¨llt
10
I
1.
Die Beklagte gewa¨hrte mit der Freistellung der Kla¨gerin
von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung im Jahr 2007 zuna¨chst
nicht nur den tariflichen Mehrurlaub. Auf eine Tilgungsbestim-
mung der Beklagten kam es nicht an. Mit der Freistellung der
Kla¨gerin von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung an 15 Tagen
im Jahr 2007 hat die Beklagte sowohl den gesetzlichen als auch
den tariflichen Urlaubsanspruch gem. § 362 Abs. 1 BGB teil-
weise zum Erlo¨schen gebracht.
11
I
2.
Der Hinweis der Kla¨gerin auf die Regelung in § 366
Abs. 2 BGB gibt kein anderes Ergebnis vor. Allerdings trifft es
zu, dass der Senat in seiner Entscheidung vom 5. 9. 2002
1
auf
diese Bestimmung zuru¨ckgegriffen und angenommen hat, nach
der Auslegungsregel des § 366 Abs. 2 BGB sei davon auszuge-
hen, dass ein Arbeitgeber zuna¨chst auf den gesetzlichen und so-
dann auf den tariflichen/vertraglichen Urlaubsanspruch leiste,
wenn er Urlaubsanspru¨che erfu¨lle. Wenn eine arbeits- oder tarif-
vertragliche Regelung hinsichtlich des Umfangs des Urlaubs-
anspruchs nicht zwischen gesetzlichen und arbeits- oder tarifver-
traglichen Urlaubsanspru¨chen unterscheidet und den Arbeitneh-
mern einen u¨ber den gesetzlichen Anspruch hinausgehenden
Anspruch auf Erholungsurlaub einra¨umt, kommt ein Ru¨ckgriff
auf die Auslegungsregel in § 366 Abs. 2 BGB jedoch ebenso we-
nig in Betracht wie eine analoge Anwendung dieser Vorschrift.
Treffen gesetzliche und tarif- oder arbeitsvertragliche Erho-
lungsurlaubsanspru¨che zusammen, handelt es sich um einen
einheitlichen Anspruch
12
I
a)
In Konstellationen wie der vorliegenden sind die Anwen-
dungsvoraussetzungen des § 366 Abs. 2 BGB nicht erfu¨llt. Die
Norm regelt den Fall, dass der Schuldner dem Gla¨ubiger aus
mehreren Schuldverha¨ltnissen zu gleichartigen Leistungen ver-
pflichtet ist und das von ihm Geleistete zur Tilgung sa¨mtlicher
Schulden nicht ausreicht. Voraussetzung ist mithin eine Mehr-
heit von Schuldverha¨ltnissen, wobei § 366 BGB das Schuldver-
ha¨ltnis im engeren Sinn meint
2
. Aus dem systematischen Ver-
ha¨ltnis zu § 367 BGB folgt jedoch, dass es sich um selbststa¨ndi-
ge Forderungen handeln muss
3
. Treffen gesetzliche und tarif-
oder arbeitsvertragliche Erholungsurlaubsanspru¨che zusammen,
handelt es sich, soweit sich diese Anspru¨che decken, grundsa¨tz-
lich nicht um selbststa¨ndige Urlaubsanspru¨che
4
. Insoweit han-
delt es sich um einen einheitlichen Anspruch auf Erholungs-
urlaub, der auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruht
5
.
Anders verha¨lt es sich bei unterschiedlichen Urlaubsanspru¨chen,
z. B. dem Anspruch auf Erholungsurlaub einerseits und dem
Anspruch auf Bildungs- oder Sonderurlaub andererseits
6
.
13
I
b)
Die Regelungen des § 366 BGB sind auch nicht analog
mit dem Ergebnis anzuwenden, dass zuna¨chst ausschließlich auf
den den gesetzlichen Mindesturlaub u¨bersteigenden, nur tarif-
vertraglich begru¨ndeten Teil des Urlaubsanspruchs geleistet
wird
7
. Dies wu¨rde das Vorliegen einer planwidrigen Regelungs-
lu¨cke voraussetzen. Eine solche Lu¨cke ist nach dem Regelungs-
plan des Gesetzes nicht zu erkennen
8
. Die Unabdingbarkeit des
gesetzlichen Urlaubsanspruchs spricht dafu¨r, dass die Freistel-
lung zur Erfu¨llung des Anspruchs auf Erholungsurlaub – zumin-
dest auch – in Bezug auf das Bundesurlaubsgesetz als An-
spruchsgrundlage erfolgt
9
.
Der tarifliche ist gegenu¨ber dem gesetzlichen Urlaubsanspruch
kein eigensta¨ndiger Anspruch, soweit sich beide decken
14
I
3.
Der Urlaubsanspruch aus § 6 Ziff. 1 i. V. mit § 8 Ziff. 1
MTV, wonach der Erholungsurlaub in jedem Kalenderjahr fu¨r
alle Arbeitnehmer 30 Arbeitstage betra¨gt, ist gegenu¨ber dem ge-
setzlichen Anspruch auf Erholungsurlaub gem. §§ 1, 3 Abs. 1
BUrlG kein eigensta¨ndiger Anspruch, soweit sich beide Anspru¨-
che decken.
15
I
a)
§ 8 Ziff. 1 MTV differenziert schon seinem Wortlaut
nach bei der Festlegung der Ho¨he des Urlaubsanspruchs nicht
1 BAG vom 5. 9. 2002 – 9 AZR 244/01, zu B. III. 2. b) aa), DB 2003 S. 1521.
2 Vgl. Staudinger/
Olzen
, 2011, §366 Rdn. 14. §366 BGB gilt auch bei einer
Mehrheit von Forderungen aus demselben Schuldverha¨ltnis (
Palandt/Gru¨ne-
berg
, BGB, 71. Aufl., § 366 Rdn. 2; Mu¨KoBGB/
Fetzer
, 6. Aufl., § 366 Rdn. 2.
3 Staudinger/
Olzen
, a.a.O. (Fn. 2), m. w. N.
4 Vgl. Hessisches LAG vom 26. 4. 2010 – 17 Sa 1772/09; LAG Berlin-Branden-
burg vom 2. 12. 2009 – 17 Sa 621/09, zu II. 1.;
Natzel
, NZA 2011 S. 77 (78);
Powietzka/Rolf, BurlG, § 1 Rdn. 4.
5 Vgl. AnwK-ArbR/
Du¨well
, 2. Aufl., Bd. 2, § 7 BurlG, Rdn. 53; Leinemann/
Linck, Urlaubsrecht, 2. Aufl. § 7, BUrlG Rdn. 15; HWK/
Schinz
, 5. Aufl., § 7
BUrlG Rdn. 14.
6 Vgl. BAG vom 1. 10. 1991 – 9 AZR 290/90, zu II. 1. b), BAGE 68 S. 308;
HWK/
Schinz
, a.a.O. (Fn. 5).
7 A. A. ErfK/
Gallner
, 12. Aufl., § 7 BurlG, Rdn. 54.
8 Vgl.
Natzel
, NZA 2011 S. 77 (79).
9 Vgl. Leinemann/Linck, a.a.O. (Fn. 5), Rdn. 15; AnwK-ArbR/
Du¨well
, a.a.O.
(Fn. 5), Rdn. 53.
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013
Arbeitsrecht
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1...,63,64,65,66,67,68,69,70,71,72 74,75,76,77,78,79,80,81,82,83,...94