abwa¨gung ist ausnahmsweise geboten, wenn die Funktionsfa¨hig-
keit des Betriebsrats bei Nichtausu¨bung des Betriebsratsmandats
nicht gewa¨hrleistet ist
34
.
Auch externen Einigungsstellenmitgliedern, deren Personen-
kreis sich in der Praxis zumeist aus den anwaltlichen bzw. be-
triebswirtschaftlichen Beratern der Betriebsparteien sowie aus
Mitarbeitern der einschla¨gigen Gewerkschaften bzw. Arbeit-
geberverba¨nde zusammensetzt, ist prima¨r eine zeitliche Beru¨ck-
sichtigung der vom Einigungsstellenvorsitzenden vorgeschlage-
nen Sitzungstermine in ihrer beruflichen Terminplanung auf-
zuerlegen. Daher darf der Vorsitzende bei der Terminsfindung
sonstige berufliche Ta¨tigkeiten bei einer zeitlichen Kollision nur
dann beru¨cksichtigen, wenn das Einigungsstellenmitglied u¨ber
diese Termine aus tatsa¨chlichen oder rechtlichen Gru¨nden nicht
disponieren kann. Beru¨cksichtigungsfa¨hig bei der Terminsfin-
dung ist daher etwa fu¨r den anwaltlichen Berater bzw. Mitarbei-
ter des Arbeitgeberverbandes die Teilnahme an bereits zum
Zeitpunkt der Terminsfindung feststehenden Gerichtsterminen.
V. Koalitionsspezifische Beta¨tigung als Verhinderungs-
grund
1. Kein Verhinderungsgrund
Nach den vorgenannten Kriterien ist die koalitionsspezifische
Beta¨tigung des Einigungsstellenmitglieds und daher an einem
Streik um den Abschluss eines Tarifsozialplans als beru¨cksichti-
gungsfa¨higer perso¨nlicher Verhinderungsgrund zu verneinen.
Wie bereits unter Ziff. II. ausgefu¨hrt, besteht zwischen dem
Arbeitskampf und dem Einigungsstellenverfahren aufgrund der
gebotenen Trennung von betrieblicher und Tarifebene keine
Wechselwirkung. Die Tatsache, dass Betriebsratsmitglieder
Mitglieder der entsprechenden Gewerkschaft sein ko¨nnen sowie
der Arbeitgeber Mitglied des am Tarif(sozialplan)konflikt ggf.
beteiligten Arbeitgeberverbands sein kann bzw. dass der Be-
triebsrat befugt ist, auch Gewerkschaftsfunktiona¨re als Beisitzer
in der Einigungsstelle zu benennen, a¨ndert nichts an der struk-
turellen Trennung der beiden Verfahren. Der Einigungsstellen-
vorsitzende ist auch im Fall eines parallel stattfindenden (Tarif-
sozialplan-) Streiks dazu gehalten, eine zu¨gige Durchfu¨hrung
des Verfahrens zu gewa¨hrleisten. Insbes. wa¨re es daher unzula¨s-
sig, die Verschleppungstaktik einer Seite in der Einigungsstelle
solange zu dulden (z. B. wegen sta¨ndiger Termin-„Probleme“),
bis der simultan ablaufende Streik die Arbeitgeberseite aufgrund
seines wirtschaftlichen Droh- und Schadenspotentials zum Ein-
lenken in der Einigungsstelle zwingt. Dies wu¨rde im U¨ brigen
auch dem Grundsatz der Waffengleichheit als Ausfluss des Fair-
nessgebots widersprechen, nach dem allen Beteiligten gleichwer-
tige Mo¨glichkeiten, auf das Verfahren einzuwirken, zustehen
35
.
Der Einigungsstellenvorsitzende ist verpflichtet, die Eini-
gungsstellensitzungen ungeachtet solcher tariflicher Beta¨tigun-
gen anzuberaumen. Der Turnus der Einigungsstelle darf durch
tarifliche Arbeitskampfaktivita¨ten nicht aufgehalten werden.
Eine Grenze besteht lediglich im Verbot der Willku¨r: Der Vor-
sitzende darf nicht absichtlich Termine der Einigungsstelle so
anberaumen, dass sie gezielt mit koalitionsspezifischen Verhal-
tensausu¨bungen kollidieren, nur um einer Partei zu schaden.
2. Verfassungsrechtliche Absicherung
Dieses Ergebnis steht mit der dem streikenden Einigungsstel-
lenmitglied nach Art. 9 Abs. 3 GG gewa¨hrten koalitionsspezi-
fischen Beta¨tigungsfreiheit im Einklang. Die Nichtberu¨cksichti-
gung einer solchen Verhinderung bei der Terminierung der Ei-
nigungsstellensitzung beinhaltet keinen Eingriff in seine Ar-
beitskampffreiheit. Ebenso wie das streikende Betriebsratsmit-
glied wa¨hrend Zeiten seiner Streikteilnahme zwar sein Mandat
im Hinblick auf das Arbeitskampfverbot nach § 74 Abs. 2
Satz 1 BetrVG nicht ausu¨ben
36
, aber zugleich unbeschra¨nkt als
Arbeitnehmer an dem Arbeitskampf teilnehmen kann
37
, hindert
die U¨ bernahme des Einigungsstellenmandats das Einigungsstel-
lenmitglied nicht an der Teilnahme an dem zum Tarifsozialplan
gefu¨hrten Arbeitskampf. Aus diesem Grund ist auch ein Vor-
rang der koalitionsspezifischen Beta¨tigungsfreiheit vor den eben-
falls durch Art. 12, 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich geschu¨tz-
ten Interessen des Arbeitgebers an einer zu¨gigen Durchfu¨hrung
des Einigungsstellenverfahrens abzulehnen. Eine Konkordanz
dieser jeweiligen verfassungsrechtlich geschu¨tzten Interessen
kann durch die zugestandene Zula¨ssigkeit der Teilnahme an
dem Arbeitskampf bei gleichzeitiger Nichtberu¨cksichtigung der
Arbeitskampfmaßnahme als Verhinderungsgrund fu¨r die
Durchfu¨hrung einer Einigungsstellensitzung erreicht werden.
Der Arbeitnehmerseite bleibt es unbenommen, ein Ersatzmit-
glied in die Einigungsstelle zu entsenden, wenn das regula¨re
Mitglied aufgrund von Arbeitskampfaktivita¨ten an der Teilnah-
me gehindert ist.
VI. Mo¨glichkeiten des Arbeitgebers bei Nichtbeachtung
des Beschleunigungsgebots durch den Vorsitzenden
Beru¨cksichtigt der Einigungsstellenvorsitzende gleichwohl die
Verhinderung des einzelnen Mitglieds aufgrund dessen Teilnah-
me an dem (Tarifsozialplan-)Arbeitskampf, ist fu¨r die Rechts-
schutzmo¨glichkeiten des Arbeitgebers
38
zu differenzieren.
1. (Keine) Ablehnung wegen Befangenheit
Praktisch nicht von Relevanz sein du¨rfte die Ablehnung des
Einigungsstellenvorsitzenden wegen Befangenheit gem. des fu¨r
die Ablehnung entsprechend anzuwendenden § 1036 ZPO
39
.
Der Vorsitzende wu¨rde zwar mit der Beru¨cksichtigung von irre-
levanten Verhinderungsgru¨nden berechtigte Zweifel an seiner
Unparteilichkeit aufkommen lassen, allerdings entspricht das
Ablehnungsverfahren mit der erforderlichen Bestellung eines
neuen Einigungsstellenvorsitzenden i. d. R. nicht dem Interesse
des Arbeitgebers an der zu¨gigen Durchfu¨hrung des Verfahrens.
2. Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen
Der Vorsitzende fu¨hrt aber mit der Beru¨cksichtigung von irrele-
vanten Verhinderungsgru¨nden eine Verzo¨gerung des Einigungs-
stellenverfahrens herbei. Der Arbeitgeber kann bei einer solchen
Verzo¨gerung das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlun-
gen vor der Einigungsstelle erkla¨ren
40
, ohne die Rechtsfolgen
des § 113 Abs. 3 BetrVG befu¨rchten zu mu¨ssen.
34 Etwa, wenn alle anderen Mitglieder und die Ersatzmitglieder des Betriebs-
rats krankheitsbedingt das Betriebsratsmandat fu¨r das konkrete Betei-
ligungsrecht des Betriebsrats nicht ausu¨ben ko¨nnen.
35 Allgemein dazu (Art. 6 EMRK) BeckOK-StPO/
Valerius
, 15. Aufl. 2012, Art. 6
EMRK, Rdn. 10; s. zum Fairnessgebot im Arbeitskampf Maunz/Du¨rig/
Scholz
,
66. Erg.-Lfg. 2012, Art. 9 GG Rdn. 319.
36 Davon zu unterscheiden ist die generelle Ausu¨bbarkeit des Betriebsratsamts
wa¨hrend des Arbeitskampfs in Zeiten, in denen sich das Betriebsratsmitglied
nicht aktiv am Arbeitskampf beteiligt und daher sein Betriebsratsmandat
grundsa¨tzlich ausu¨ben kann (s. nur BAG vom 10. 12. 2002– 1 ABR 7/02, DB
2003 S. 2072 = NZA 2004 S. 223; vom 25. 10. 1988 – 1 AZR 368/87, DB 1989
S. 682 = NZA 1989 S. 353).
37 S. dazu nur
Kreutz
, a.a.O. (Fn. 7), § 74 BetrVG Rdn. 66, m. w. N.
38 Die Reaktionsmo¨glichkeiten bestehen auch fu¨r die Arbeitnehmerseite.
39 S. zur Anwendung der §§ 1036 ff. ZPO fu¨r die Ablehnung des Einigungsstel-
lenvorsitzenden wegen Befangenheit nur BAG vom 11. 9. 2001 – 1 ABR
5/01, DB0044384 = NZA 2002 S. 572.
40
Kania
, a.a.O. (Fn. 19), § 112a BetrVG Rdn. 8;
Kania/Joppich
, NZA 2005
S. 749 (751).
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013
Arbeitsrecht
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