Enger zeitlicher Zusammenhang von Darlehenshingabe und
-ru¨ckfu¨hrung
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I
aa)
Der Schuldnerin wurden die in ihrer Eigenschaft als Be-
scha¨ftigungsgesellschaft fu¨r ihre Arbeitnehmer monatlich zu
entrichtenden Sozialversicherungsbeitra¨ge jeweils kurze Zeit
nach Fa¨lligkeit durch o¨ffentliche Beihilfen erstattet. Die Darle-
hensgewa¨hrung durch die Beklagte als Alleingesellschafterin der
Schuldnerin diente lediglich dem Zweck, der Schuldnerin diese
o¨ffentlichen Beihilfen monatlich kurzfristig vorzufinanzieren,
um ihr die pu¨nktliche Zahlung der Sozialversicherungsbeitra¨ge
zu ermo¨glichen. Die Beihilfen wurden von der Schuldnerin nach
Erhalt jeweils vereinbarungsgema¨ß zur Ru¨ckfu¨hrung der Darle-
hen eingesetzt. Damit standen Darlehen und Beihilfen in engem
sachlichen Zusammenhang mit der Tilgung der Sozialversiche-
rungsbeitra¨ge. Darlehenshingabe und Darlehensru¨ckzahlung
wiederholten sich in der geschilderten Art, weil die Schuldnerin
dauerhaft nicht imstande war, die Sozialversicherungsbeitra¨ge
vor Erhalt der Beihilfe aus eigenen Mitteln aufzubringen, und
deshalb sta¨ndig gegenu¨ber der Beklagten als ihrer Gesellschafte-
rin zeitweise Kredit in Anspruch nahm. Infolge der jeweils nur
voru¨bergehend beno¨tigten Liquidita¨t und des engen zeitlichen
Zusammenhangs von Zahlung und Ru¨ckzahlung erfolgte die
Abwicklung der nacheinander abgelo¨sten Darlehen absprachege-
ma¨ß in der Art eines Kontokorrentkredits. Der Schuldnerin
wurde im Wege des Staffelkredits nicht ein Darlehensbetrag in
der Summe der jeweiligen Einzeldarlehen, sondern infolge der
jeweils vor erneuter Ausreichung bewirkten Ru¨ckfu¨hrungen
ebenso wie bei einem Kontokorrentkredit lediglich im Umfang
des sich daraus ergebenden Saldos gewa¨hrt. Schon diese Um-
sta¨nde legen nahe, den durch einen sich fortlaufend erneuernden
voru¨bergehenden Liquidita¨tsbedarf und entsprechende Erstat-
tungszahlungen gepra¨gten Vorgang der Gewa¨hrung eines Staf-
felkredits einer einheitlichen Bewertung i. S. einer Kreditgewa¨h-
rung in laufender Rechnung zu unterziehen.
Monatliche Vorfinanzierung der zur Zahlung der Sozialversiche-
rungsbeitra¨ge beno¨tigten Mittel als einziger Zweck
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I
bb)
Ferner kommt die Besonderheit hinzu, dass die Beklagte
mit der Kreditgewa¨hrung lediglich den Zweck verfolgte, der
Schuldnerin in der Art eines Kontokorrentkredits monatlich die
zur Zahlung der Sozialversicherungsbeitra¨ge beno¨tigten Mittel
vorzufinanzieren, aber nicht bereit war, ihr wie eine Bank eine all-
gemeine, ihrer freien Verwendung u¨berlassene Kreditlinie zu
ero¨ffnen. Da sich der Zweck der Darlehensbeteiligten, der Schuld-
nerin die rechtzeitige Abfu¨hrung der Sozialversicherungsbeitra¨ge
fu¨r ihre Arbeitnehmer zu ermo¨glichen, ohne Einrichtung eines
Kontokorrents vorzugsweise durch laufende, nacheinander abge-
lo¨ste Staffelkredite verwirklichen ließ, entspricht das Gescha¨ft
wirtschaftlich betrachtet der Ero¨ffnung einer Kreditlinie.
Beurteilung des Gesamtvorgangs der Darlehensgewa¨hrung und
Kredittilgung anfechtungsrechtlich wie die Ero¨ffnung einer
Kreditlinie
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I
Zwar ha¨tte sich die Beklagte dazu entschließen ko¨nnen, der
Schuldnerin anstelle von Staffelkrediten eine dauernde Kreditlinie
einzura¨umen. Dann ha¨tte jedoch die Gefahr bestanden, dass die
Schuldnerin die Mittel nicht nur zur Begleichung der Sozialver-
sicherungsbeitra¨ge, sondern auch zur Deckung ihres sonstigen
Geldbedarfs einsetzte. Bei Ausscho¨pfung einer solchenKreditlinie
fu¨r andere Zwecke ha¨tten die Mittel dann nicht mehr zur Zahlung
der Sozialversicherungsbeitra¨ge verwendet werden ko¨nnen. Die
verwirklichte Zweckbindung konnte die Beklagte – ohne na¨here
Erwa¨gung mo¨glicherweise bestehender banktechnischer Alterna-
tiven – am ehesten sicherstellen, indem die Gelder monatlich je-
weils unmittelbar vor Fa¨lligkeit der Sozialversicherungsbeitra¨ge
an die Beklagte u¨berwiesen wurden und diese sie anschließend
an die Einzugsstelle weiterleitete. Die Staffeldarlehen gingen wirt-
schaftlich daher nicht weiter als eine der Schuldnerin zweckgebun-
den fu¨r die Abfu¨hrung der Sozialversicherungsbeitra¨ge einge-
ra¨umte Kreditlinie, wobei die Darlehensmittel durch die nachfol-
genden o¨ffentlichen Beihilfen zuru¨ckgefu¨hrt wurden. Konnte die-
ser Zahlungserfolg ohne Hilfe eines Kontokorrents durch Vergabe
von in gleicherWeise wie einKontokorrentkredit zuru¨ckgefu¨hrten
Staffeldarlehen verwirklicht werden, so ist der Gesamtvorgang der
Darlehensgewa¨hrung und Kredittilgung anfechtungsrechtlich wie
die Ero¨ffnung einer Kreditlinie zu beurteilen. Die Staffelung der
nacheinander abgelo¨sten Darlehen entspricht der Ero¨ffnung eines
Kontokorrentkredits, weil nur auf diese Weise ein jeweils aus glei-
chem Grund kurzfristig wiederkehrender Liquidita¨tsbedarf fort-
laufend befriedigt werden konnte.
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I
In diesen Erwa¨gungen liegt nicht – wie die Revisionserwide-
rung im Anschluss an das Berufungsgericht meint – eine in der
Insolvenzanfechtung unstatthafte hypothetische Betrachtungs-
weise, die eine Gla¨ubigerbenachteiligung weder begru¨nden noch
ausschließen kann
13
. Maßgebend ist vielmehr der reale Zusam-
menhang zwischen den wechselseitigen Rechtshandlungen von
Schuldnerin und Beklagter, wie er sich in der Kreditpraxis ins-
besondere bei Kontokorrentkrediten findet. Hierbei sind jedoch
im Verha¨ltnis von Gesellschaft und Gesellschafterin die laufende
Rechnung und die Ero¨ffnung einer dauernden Kreditlinie nicht
die anfechtungsrechtlich entscheidenden Gesichtspunkte.
Anfechtungsrechtliche Gleichstellung der Finanzierungshilfen
mit Kontokorrentkredit aufgrund der Verbindung der Staffel-
kredite durch Gesellschaftsverha¨ltnis
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I
b)
Die anfechtungsrechtliche Gleichstellung der Finanzie-
rungshilfe der Beklagten mit einem Kontokorrentkredit folgt aus
dem weiteren Umstand, dass die Staffelkredite durch das zwi-
schen der Schuldnerin und der Beklagten bestehende Gesell-
schaftsverha¨ltnis miteinander verbunden wurden.
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I
Ein Gesellschafterdarlehen kommt grundsa¨tzlich mit Ru¨ck-
sicht auf das gesellschaftliche Band zwischen dem Gesellschafter
und seiner Gesellschaft zustande und dient dem Zweck, die Be-
lange der Gesellschaft zu fo¨rdern. Die neben dem Kreditverha¨lt-
nis bestehende gesellschaftliche Treuepflicht kann einem Gesell-
schafter verbieten, gegenu¨ber seiner GmbH einen Anspruch auf
Ru¨ckgewa¨hr eines Gesellschafterdarlehens durchzusetzen, wenn
die Gesellschaft dadurch in eine Krise geriete
14
. Fordert der Ge-
sellschafter das seiner GmbH gewa¨hrte Darlehen zuru¨ck, kann
er wegen einer mo¨glichen Verletzung der Treuepflicht ihm dro-
hende, mindestens auf Fortsetzung der Kredithilfe gerichtete
Schadensersatzanspru¨che nicht ausschließen. Deshalb hatte die
Beklagte bereits bei der Ru¨ckzahlung des ersten Darlehens auf
die absehbare Liquidita¨tslage der Schuldnerin Bedacht zu neh-
men. Erneuert der Gesellschafter zur Vermeidung einer etwai-
gen Haftung das ihm zuru¨ckerstattete Darlehen, sind die Vor-
ga¨nge untrennbar miteinander verknu¨pft, weil das Erstdarlehen
bei gleichem Ausfallrisiko durch das Zweitdarlehen ersetzt wird
(§ 249 Abs. 1 BGB). Entsprechendes gilt fu¨r Folgedarlehen.
Mithin werden nach Begleichung der vorherigen Kredite aus-
13 BGH-Urteil vom 14. 5. 2009 – IX ZR 63/08, BGHZ 181 S. 132 = DB 2009
S. 1346, Rdn. 28; vom 19. 4. 2007 – IX ZR 199/03, DB0219042 = WM 2007
S. 1133, Rdn. 19.
14 RG, JW 1937 S. 1986; OLG Koblenz, Urteil vom 5. 4. 1984 – 6 U 218/83, ZIP
1984 S. 1352 (1354 f.);
Raiser
, in: Ulmer, GmbHG, § 14 Rdn. 88; vgl. auch
§ 64 Satz 3 GmbHG.
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Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013