Satz 2 BetrVG) – generell nur beschlussfa¨hig ist bei Anwesen-
heit aller Mitglieder
22
, la¨sst sich der Vorsitzende in der Praxis
mit dem Ziel eines konsensfa¨higen Ablaufs der Einigungsstelle
gerade in terminlichen Belangen oft darauf ein, auf die verschie-
denen Verhinderungen der Beisitzer Ru¨cksicht zu nehmen. Dies
kann eine erhebliche zeitliche Verzo¨gerung bzw. sogar Ver-
schleppung des Einigungsstellenverfahrens bewirken.
3. (Kein) Formalistischer Ansatz
Dieses Spannungsfeld ko¨nnte unter Berufung auf die in § 76
Abs. 5 Satz 2 BetrVG bestimmte Beschlussfa¨higkeit der Eini-
gungsstelle trotz unvollsta¨ndiger Besetzung zuna¨chst dadurch
aufgelo¨st werden, dass Verhinderungsgru¨nde der Einigungsstel-
lenmitglieder unberu¨cksichtigt bleiben ko¨nnen, wenn und solan-
ge sie vom Vorsitzenden rechtzeitig zu der Sitzung eingeladen
wurden. Dieser Ansatz beru¨cksichtigt aber nicht hinreichend
den auch im Einigungsstellenverfahren zu beachtenden Grund-
satz des rechtlichen Geho¨rs. Der Vorsitzende hat den Beisitzern
eine Teilnahme an den Sitzungen zu ermo¨glichen, damit sie sich
zum Einigungsstellengegenstand eine eigene Meinung als Ent-
scheidungsgrundlage fu¨r die Beschlussfassung bilden ko¨nnen
23
.
4. Risikospha¨renbezogene Bewertung
Dieser Befund a¨ndert aber nichts daran, dass der Einigungsstel-
lenvorsitzende bereits aus dem dargelegten Zweck des Eini-
gungsstellenverfahrens gehalten ist, der Maxime der beschleu-
nigten Konfliktlo¨sung Vorrang vor dem Streben nach Einver-
nehmlichkeit zu geben und nicht jeden vorgebrachten Verhin-
derungsgrund bei der Terminierung der Einigungsstellensitzun-
gen beru¨cksichtigen muss und darf.
Fu¨r eine interessengerechte Auflo¨sung des Spannungsfelds ist
zudem zu beru¨cksichtigen, dass die Auswahl der Einigungsstel-
lenbeisitzer allein den Betriebsparteien obliegt
24
. Beide Seiten
sind in ihrer Entscheidung u¨ber die Beisitzer frei und dabei nicht
an betriebszugeho¨riges Personal gebunden
25
. Den Betriebspar-
teien obliegt es insoweit, Beisitzer zu benennen, die den termin-
lichen Anforderungen der Einigungsstelle gewachsen sind. Dies
korrespondiert mit dem Umstand, dass die jeweils andere Seite
kein Recht hat, einen von der Gegenseite ernannten Beisitzer
abzulehnen
26
. Jeder Seite ist es zudem unbenommen, einen Bei-
sitzer abzuberufen und durch einen anderen zu ersetzen
27
, falls
etwa das Aufkommen der Einigungsstelle durch den urspru¨ng-
lich ernannten Beisitzer zeitlich nicht mehr bewa¨ltigt werden
kann. Ebenso ist es zula¨ssig, stellvertretende Beisitzer zu bestel-
len, um den zeitlichen Anforderungen gerecht zu werden
28
.
Der Vorsitzende hat folglich bei der Terminierung und
Durchfu¨hrung der Sitzungen nur Verhinderungsgru¨nde zu be-
ru¨cksichtigen, die dem Einigungsstellenmitglied aus unverschul-
deten, zum Bestellungszeitpunkt nicht erkennbaren Gru¨nden
29
eine Teilnahme an der Sitzung nicht ermo¨glichen. Fu¨r die Be-
achtlichkeit der Verhinderung des einzelnen Einigungsstellen-
mitglieds ist somit nach deren Ursprung zu differenzieren.
a) Nicht beru¨cksichtigungsfa¨hige Verhinderungsgru¨nde
Generell nicht beru¨cksichtigungsfa¨hig sind von dem Einigungs-
stellenmitglied nur vorgeschobene Verhinderungsgru¨nde
30
, die
tatsa¨chlich nicht bestehen bzw. der Vorsitzende wegen der un-
substantiierten Darlegung nicht beurteilen kann. Aus diesem
Grund muss etwa der pauschale Hinweis auf eine vermeintliche
Arbeitsu¨berlastung unberu¨cksichtigt bleiben. Ebenfalls nicht be-
ru¨cksichtigungsfa¨hig sind Verhinderungsgru¨nde, die schon zum
Ernennungszeitpunkt erkennbar bestanden und einer ordnungs-
gema¨ßen Ausu¨bung des Einigungsstellenmandats entgegenste-
hen. Dies betrifft etwa eine Dauererkrankung oder die zum Er-
nennungszeitpunkt fu¨r das Einigungsstellenmitglied bereits er-
sichtliche konkrete Arbeitsu¨berlastung fu¨r den avisierten Verfah-
renszeitraum. Schließlich sind generell nicht beru¨cksichtigungs-
fa¨hig Verhinderungsgru¨nde, die aus dem privaten Lebensumfeld
resultieren, wie etwa eine Familienfeier oder eine mehrta¨gige Ur-
laubsreise. Der Vorsitzende gewa¨hrleistet in diesen Fa¨llen die
ordnungsgema¨ße Beteiligung des an der Sitzung aus solchen
Gru¨nden nicht teilnehmenden Einigungsstellenmitglieds durch
die – dann gleichwohl aus formellen Gru¨nden
31
vorzunehmende
– rechtzeitige Einladung zu der Sitzung.
b) Beru¨cksichtigungsfa¨hige Verhinderungsgru¨nde
Fu¨r die nach der Beisitzerernennung von dem einzelnen Eini-
gungsstellenmitglied aufgefu¨hrten weiteren Verhinderungsgru¨n-
de ist wie folgt zu differenzieren:
Grundsa¨tzlich beru¨cksichtigungsfa¨hig sind in der Person des
Einigungsstellenmitglieds liegende Gru¨nde, die dem Einigungs-
stellenmitglied eine Teilnahme an der Sitzung aus unverschulde-
ten Gru¨nden nicht ermo¨glichen. Das Einigungsstellenmitglied
kann also etwa berechtigt eine kurzfristig eintretende Krankheit
als beru¨cksichtigungsfa¨higen Verhinderungsgrund angeben
32
.
Dagegen sind aus der beruflichen Ta¨tigkeit des Einigungs-
stellenmitglieds bedingte Verhinderungen grundsa¨tzlich nicht zu
beru¨cksichtigen.
Sind die Einigungsstellenmitglieder zugleich Mitglied des
Betriebsrats, ist fu¨r die Ausu¨bung des Betriebsmandats zu unter-
scheiden: Da eine nicht mo¨gliche Amtsausu¨bung aus betriebli-
chen Gru¨nden einen anerkennungsfa¨higen Verhinderungsgrund
§ 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bildet
33
, ist der Teilnahme an dem
Einigungsstellenverfahren generell Vorrang vor der Ausu¨bung
des Betriebsratsmandats einzura¨umen; die Verhinderung der
Ausu¨bung des Betriebsratsmandats kann durch die Teilnahme
eines Ersatzmitglieds kompensiert werden. Entscheidet sich das
Einigungsstellenmitglied fu¨r die Ausu¨bung des Betriebsratsman-
dats zulasten seiner Teilnahme an der Einigungsstellensitzung,
ist seine Verhinderung vom Vorsitzenden nicht zu beru¨cksichti-
gen und seine ordnungsgema¨ße Beteiligung durch die rechtzeiti-
ge Einladung zu der Sitzung gewahrt. Eine andere Interessen-
22
Kliemt
, a.a.O. (Fn. 14), § 76 BetrVG Rdn. 73; a. A.
Fiebig,
DB 1995 S. 1278.
23 Die angezeigt ist, da das Einigungsstellenmitglied in der Ausu¨bung seines
Einigungsstellenmandats nicht weisungsgebunden ist; s. dazu nur BAG vom
27. 6. 1995 – 1 ABR 3/95, DB 1995 S. 2219 = NZA 1996 S. 161.
24
Kliemt
, a.a.O. (Fn. 14), § 76 BetrVG Rdn. 24.
25
Fitting
, a.a.O. (Fn. 16), § 76 BetrVG, Rdn. 10; s. auch BAG vom 14. 12. 1988
– 7 ABR 73/87, DB 1989 S. 888 = NZA 1989 S. 515.
26
Joost
, a.a.O. (Fn. 13), § 232 Rdn. 15; LAG Baden-Wu¨rttemberg vom 4. 9.
2001 – 8 Ta BV 2/01, BeckRS 2001, 30793183.
27 DKK/
Berg
, 13. Aufl. 2012, § 76 BetrVG Rdn. 30;
Kania
, a.a.O. (Fn. 19), § 76
BetrVG Rdn. 10; a. A.
Tscho¨pe,
NZA 2004 S. 945 (948): Abberufung nur aus
sachlich gerechtfertigtem Grund zula¨ssig.
28
Kreutz
, a.a.O. (Fn. 7), § 76 BetrVG Rdn. 49;
Kliemt
, a.a.O. (Fn. 14), § 76
BetrVG Rdn. 27.
29 Die Bestellung von Ersatzbeisitzern, auf die das Teilnahmerecht delegiert
werden kann, ist mo¨glich; eine Rechtspflicht hierzu besteht gleichwohl
nicht, vgl.
Berg
, a.a.O. (Fn. 27), § 76 BetrVG Rdn. 30.
30 Das Einigungsstellenmitglied handelt dann rechtsmissbra¨uchlich, da es sich
durch das Vorschieben solcher Verhinderungsgru¨nde in Widerspruch zu sei-
ner mit der Annahme des Beisitzermandats signalisierten zeitlichen Verfu¨g-
barkeit fu¨r die Teilnahme an den Einigungsstellensitzungen setzt.
31 S. nur BAG vom 27. 6. 1995, a.a.O. (Fn. 23): Die nicht ordnungsgema¨ße Ein-
ladung begru¨ndet als Verfahrensfehler bereits die Unwirksamkeit des Eini-
gungsstellenspruchs.
32 S. auch
Kliemt
, a.a.O. (Fn. 14), § 76 BetrVG Rdn. 97;
Berg
, a.a.O. (Fn. 27),
§ 76 BetrVG Rdn. 76.
33 Richardi/
Thu¨sing
, § 25 BetrVG Rdn. 7; i.E. wohl auch BAG vom 25. 5. 2005 –
7 ABR 45/04, DB 2005 S. 1976 = NZA 2005 S. 1002.
816
Arbeitsrecht
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013
1...,58,59,60,61,62,63,64,65,66,67 69,70,71,72,73,74,75,76,77,78,...94