Entscheidungen
Arbeitsvertragsrecht
Ja¨hrliche Sonderzahlung: Der Arbeitgeber kann
sich die Entscheidung u¨ber Ho¨he des Anspruchs
vorbehalten
Weihnachtsgratifikation in vom Arbeitgeber ja¨hrlich festzule-
gender Ho¨he (§ 315 BGB) – Einseitiges Leistungsbestimmungs-
recht – Inhaltskontrolle
BGB §§ 307 ff., 315
1. Eine Klausel in einem Arbeitsvertrag (AGB), mit der dem Ar-
beitgeber ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht zur
Entscheidung u¨ber die Ho¨he einer ja¨hrlichen Zuwendung
vorbehalten wird, ha¨lt der AGB-Kontrolle nach § 305 ff. BGB
regelma¨ßig stand, insbesondere wenn es sich um eine Grati-
fikation handelt, die nach dem Arbeitsvertrag keinen Ent-
geltcharakter hat.
2. In derartigen Fa¨llen findet § 315 BGB Anwendung. Die ja¨hr-
lich vom Arbeitgeber zu treffende Leistungsbestimmung
muss billigem Ermessen entsprechen. Ob dies der Fall ist,
kann der Arbeitnehmer nach § 315 Abs. 3 BGB vom Arbeits-
gericht u¨berpru¨fen lassen.
(Orientierungssa¨tze der Richterinnen und Richter des BAG)
BAG-Urteil vom 16. 1. 2013 – 10 AZR 26/12
u
DB0585376
Der Kla¨ger nimmt die Beklagte auf Zahlung restlicher Weihnachtsgra-
tifikationen fu¨r die Jahre 2007 bis 2010 in Anspruch. Der Kla¨ger trat
1995 in die Dienste der Beklagten, die ein Unternehmen fu¨r Maschi-
nenbau betreibt. Im Arbeitsvertrag vom 5. 12. 2005, der zuletzt die Zu-
sammenarbeit der Parteien regelte, heißt es u. a.:
„§ 6 Vergu¨tungen
Weihnachtsgratifikation 50% bei einer Betriebszugeho¨rigkeit von
mind. 6 Monaten 100% bei einer Betriebszugeho¨rigkeit von 12 Mo-
naten von der vom Arbeitgeber jeweils pro Jahr festgelegten Ho¨he
der Weihnachtsgratifikation. Sie wird zusammen mit dem Novem-
berlohn/-gehalt im jeweiligen Jahr ausgezahlt. . .“
Gleichlautende Regelungen vereinbarte die Beklagte mit ihren u¨brigen
Mitarbeitern. Der Kla¨ger erhielt in den Jahren 2001 bis 2008 Weih-
nachtsgeld in wechselnder Ho¨he. In den Jahren 2009 und 2010 wurde
wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage kein Weihnachtsgeld ge-
zahlt. Stattdessen erhielt der Kla¨ger im Jahr 2010 als „kleines Danke-
scho¨n“ zwei Tankgutscheine u¨ber je 25 Liter Kraftstoff.
Der Kla¨ger hat die Zahlung von Weihnachtsgeld in Anlehnung an ta-
rifliche Vorschriften der Metallbranche verlangt. Die Regelung im Ar-
beitsvertrag benachteilige ihn unangemessen und sei unwirksam. An ih-
re Stelle trete die branchenu¨bliche Regelung der Metallindustrie, die ein
Weihnachtsgeld i. H. von 55% des Monatsverdiensts vorsehe. Daraus
ergebe sich – nach Abzug der bereits erbrachten Leistungen – die fu¨r
den Zeitraum 2007 bis 2010 eingeklagte Summe.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sie habe nach dem Vertrag
ein Leistungsbestimmungsrecht, von dem sie angesichts der jeweiligen
wirtschaftlichen Lage Gebrauch gemacht habe.
Die Vorinstanzen (zuletzt LAG Hamm – 8 Sa 1021/11) haben die Kla-
ge abgewiesen. Die Revision hatte keinen Erfolg
AUS DEN GRU¨ NDEN
1 . . . 11
I
I.1.
Der Kla¨ger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch
auf Zahlung des eingeklagten Betrags. Ein solcher Anspruch er-
gibt sich nicht aus § 6 des Arbeitsvertrags. Die Vorschrift legt
keine bestimmte Ho¨he fu¨r die Sonderzahlung fest.
12
I
2.
Der Kla¨ger kann seinen Anspruch nicht auf § 612 BGB
i. V. mit tariflichen Vorschriften u¨ber Sonderzahlungen stu¨tzen.
Voraussetzung hierfu¨r wa¨re die Unwirksamkeit der arbeitsver-
traglichen Regelung zur Weihnachtsgratifikation. § 6 Abs. 4 des
Arbeitsvertrags ist jedoch wirksam.
Die einzelvertragliche Bestimmung gewa¨hrt einerseits einen
Anspruch auf Weihnachtsgratifikation (ohne Freiwilligkeitsvor-
behalt, . . .
13
I
a)
Die Vorschrift regelt die Zahlung einer Weihnachtsgratifi-
kation. Sie beinhaltet keinen Freiwilligkeitsvorbehalt. Sie gewa¨hrt
dem Kla¨ger einen Anspruch auf Zahlung einer Weihnachtsgrati-
fikation in einer von der Beklagten nach billigemErmessen (§ 315
Abs. 1 BGB) festzulegenden Ho¨he. Die Ho¨he der Gratifikation
musste, da der Kla¨ger la¨nger als zwo¨lf Monate bescha¨ftigt war,
100% der von der Beklagten festzusetzenden Gratifikation betra-
gen. Das ergibt die Auslegung der Vertragsklausel.
. . . andererseits ist die Bestimmung der Ho¨he (nach § 315 BGB)
dem Arbeitgeber vorbehalten, aber gerichtlich u¨berpru¨fbar
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I
b)
Die Regelung der Weihnachtsgratifikation ist im Arbeits-
vertrag unter der U¨ berschrift „Vergu¨tungen“ enthalten. Sie be-
schreibt in Vomhundertsa¨tzen die Ho¨he der zu leistenden Zah-
lung und legt den Zahlungstermin (
jeweils mit dem November-
lohn
) fest. Als Anspruchsvoraussetzung fu¨r die Entstehung des
Anspruchs dem Grunde nach ist bestimmt, dass das Arbeitsver-
ha¨ltnis nicht am 31. Ma¨rz des Folgejahres vom Arbeitnehmer
geku¨ndigt, nicht durch Aufhebungsvertrag beendet und auch
nicht ruhend gestellt ist. Der Anspruch ist damit weder an Ar-
beitsleistung im Bezugszeitraum noch an weitere Voraussetzun-
gen geknu¨pft. Irgendein Vorbehalt oder eine Widerrufsmo¨glich-
keit fu¨r den Arbeitgeber ist nicht vorgesehen. Allerdings ist die
Ho¨he des Anspruchs nicht im Vertrag bestimmt. Von ihr ist ge-
sagt, sie sei vom Arbeitgeber jeweils festzusetzen. Damit ist hin-
reichend deutlich, dass einerseits ein Anspruch vereinbart wer-
den sollte, andererseits die Bestimmung der Ho¨he dem Arbeit-
geber vorbehalten sein sollte. Fu¨r derartige Vertragsregelungen
legt § 315 Abs. 1 BGB fest, dass die Leistungsbestimmung bil-
ligem Ermessen zu entsprechen hat und dass bei unterlassener
oder verzo¨gerter Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen
eine Festsetzung durch das Gericht erfolgt (§ 315 Abs. 3 BGB).
Die Vertragsklausel entha¨lt keinen (unzula¨ssigen) A¨ nderungs-
vorbehalt. . .
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I
c)
Mit diesem Inhalt ha¨lt § 6 Abs. 4 des Arbeitsvertrags der
Inhaltskontrolle nach § 307 ff. BGB stand.
16
I
aa)
§ 6 Abs. 4 des Arbeitsvertrags entha¨lt keinen unzula¨ssi-
gen A¨ nderungsvorbeha¨lt i. S. des § 308 Nr. 4 BGB.
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I
(1)
Gem. § 308 Nr. 4 BGB ist die Vereinbarung eines Rechts
des Verwenders, die versprochene Leistung zu a¨ndern oder von ihr
abzuweichen, in Allgemeinen Gescha¨ftsbedingungen unwirksam,
wenn nicht die Vereinbarung der A¨ nderung oder Abweichung un-
ter Beru¨cksichtigung der Interessen des Verwenders fu¨r den ande-
ren Vertragsteil zumutbar ist. Einseitige Leistungsbestimmungs-
rechte i. S. von § 315 ff. BGB fallen jedoch nicht unter § 308
Nr. 4 BGB, wenn sie darauf beschra¨nkt sind, dem Verwender
die erstmalige Festlegung seiner Leistung zu ermo¨glichen
1
.
1 BAG vom 29. 8. 2012 – 10 AZR 385/11, Rdn. 32, DB 2012 S. 2942, m. w. N.
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013
Arbeitsrecht
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