18
I
(2)
So liegt es hier. Der vertragliche Anspruch des Kla¨gers
ist nicht auf eine bestimmte Gegenleistung fu¨r erbrachte Arbeit,
sondern auf Entscheidung nach billigem Ermessen u¨ber die Ho¨-
he der Gratifikation und gegebenenfalls ihre Auszahlung im No-
vember des Bezugsjahres gerichtet. Die Beklagte entscheidet
ja¨hrlich jeweils neu u¨ber die Ho¨he der Gratifikation.
. . . und versto¨ßt nicht gegen das Transparenzgebot
19
I
bb)
Die vertragliche Regelung versto¨ßt nicht gegen das
Transparenzgebot (§307 Abs. 1 Satz 2 BGB).
20
I
(1)
Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemes-
sene Benachteiligung daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht
klar und versta¨ndlich ist. Sinn des Transparenzgebots ist es, der
Gefahr vorzubeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwen-
ders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. . .
21
I
(2)
Eine derartige Gefahr ist hier nicht erkennbar. Der mo¨gli-
che Anspruch des Kla¨gers ist durch den Arbeitsvertrag ausrei-
chend beschrieben. Der Kla¨ger konnte erkennen, dass die Beklagte
u¨ber die Festsetzung der Ho¨he der Gratifikation zu entscheiden
hatte. Erkennbar war auch, dass die Entscheidung eine Abwa¨gung
der maßgeblichen Interessen beider Seiten erforderte. Richtig ist,
dass die Vertragsklausel selbst keine Maßsta¨be fu¨r die von der Be-
klagten zu treffende Entscheidung festlegt. Insoweit ist die Auf-
fassung des Kla¨gers nachvollziehbar, aus der Klausel sei nicht zu
erkennen, wie hoch insgesamt sich letzten Endes die vertraglichen
Zahlungen belaufen werden. Indes betrifft das Leistungsbestim-
mungsrecht im Streitfall noch nicht einmal das im unmittelbaren
Gegenseitigkeitsverha¨ltnis stehende Entgelt, sondern lediglich ei-
ne – der Ho¨he nach unbestimmte – Zusatzleistung, zu welcher der
Arbeitgeber an sich nicht verpflichtet wa¨re. . .
22
I
(3)
Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein bei der je-
weiligen Zahlung erkla¨rter Freiwilligkeitsvorbehalt das Entste-
hen eines Rechtsanspruchs auf eine ku¨nftige Sonderzahlung
wirksam verhindern
2
, wohingegen vertragliche Freiwilligkeits-
vorbehalte, jedenfalls wenn sie alle zuku¨nftigen Leistungen erfas-
sen sollen, unzula¨ssig sind
3
. . . (wird ausgefu¨hrt).
23
I
(4)
Verglichen mit einer solchen – zula¨ssigen – Vertragsgestaltung ist
die Vereinbarung eines Leistungsbestimmungsrechts in der hier gegebe-
nen Form – also auch ohne na¨here Eingrenzung der fu¨r das billige Ermes-
sen geltendenMaßsta¨be – nicht zu beanstanden. Immerhin erha¨lt der Ar-
beitnehmer auf dieseWeise einen klagbarenAnspruch. Die Ausu¨bung des
Leistungsbestimmungsrechts durch den Arbeitgeber kann er vomGericht
u¨berpru¨fen lassen. Die mit der Regelung verbundene Ungewissheit ist re-
gelma¨ßig hinnehmbar, insbesondere in den Fa¨llen, in denen eine Sonder-
zahlung nicht von der Erbringung der Gegenleistung abha¨ngig ist.
Die Vertragsklausel benachteiligt den Arbeitnehmer auch nicht
unangemessen
24
I
cc)
Die Vertragsklausel ist nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1
BGB unwirksam, weil sie den Kla¨ger unangemessen benachtei-
ligen wu¨rde.
25 . . . 27
I
(1) (a)
. . .
(b)
Rechtsvorschriften i. S. von § 307 Abs. 3
Satz 1 BGB sind nicht nur die Gesetzesbestimmungen selbst,
sondern auch die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden all-
gemein anerkannten Rechtsgrundsa¨tze, d. h. alle ungeschriebe-
nen Rechtsgrundsa¨tze, die Regeln des Richterrechts und die auf-
grund erga¨nzender Auslegung nach den §§ 157, 242 BGB und
aus der Natur des jeweiligen Schuldverha¨ltnisses zu entnehmen-
den Rechte und Pflichten
4
.
28
I
(2)
Nach diesen Maßsta¨ben entha¨lt die Klausel keine unan-
gemessene Benachteiligung.
29
I
(a)
Die Regelung weicht mit ihrem durch Auslegung ermit-
telten Inhalt nicht vom Gesetz ab. Vielmehr sieht das Gesetz
selbst einseitige Leistungsbestimmungsrechte vor (§ 315 BGB).
Es geht davon aus, dass vertragliche Regelungen diesen Inhalts
einem berechtigten Bedu¨rfnis des Wirtschaftslebens entsprechen
ko¨nnen und nicht von vornherein unangemessen sind. Das Ge-
setz ordnet ausdru¨cklich an, dass die Bestimmung mangels ab-
weichender Vereinbarung nach billigem Ermessen zu geschehen
hat, dass der Gla¨ubiger die Entscheidung des Schuldners ge-
richtlich u¨berpru¨fen und gegebenenfalls durch Urteil treffen las-
sen kann. Gegen die mit dem einseitigen Bestimmungsrecht et-
wa verbundene Gefa¨hrdung des Gla¨ubigers hat der Gesetzgeber
also Vorkehrungen getroffen. Anhaltspunkte dafu¨r, dass diese
Vorkehrungen nicht ausreichend wa¨ren, sind nicht erkennbar
5
.
30 . . . 31
I
(b)
. . .
3.
Ob der Anspruch des Kla¨gers auf Leistungsbestim-
mung nach billigem Ermessen erfu¨llt und damit erloschen ist, kann, wie
das LAG zutreffend ausgefu¨hrt hat, dahinstehen, weil der Kla¨ger nicht
geltend macht, die von der Beklagten fu¨r die im Streit stehenden Jahre
getroffene Leistungsbestimmung entspreche nicht billigem Ermessen
und sei daher nicht bindend. . . . (wird ausgefu¨hrt)
Redaktioneller Hinweis:
Volltext unter DB0581604.
2 BAG vom 8. 12. 2010 – 10 AZR 671/09, Rdn. 16, DB 2011 S. 1279, m. w. N.
3 BAG vom 14. 9. 2011 – 10 AZR 526/10, DB 2012 S. 179.
4 BAG vom 18. 1. 2012 – 10 AZR 612/10, Rdn. 20, DB0470808 = EzA BGB 2002
§611 Gratifikation, Pra¨mie Nr. 31; vom 24. 10. 2007 – 10 AZR 825/06,
Rdn. 24, BAGE 124 S. 259 = DB 2008 S. 126.
5 BAG vom 29. 8. 2012 – 10 AZR 385/11, Rdn. 42, DB 2012 S. 2942.
Urlaubsrecht
Freistellung von der Arbeitspflicht: Erfu¨llung
sowohl des gesetzlichen als auch des tariflichen
Urlaubsanspruchs
Gesetzlicher Mindest- und tariflicher Mehrurlaub – Tilgungs-
bestimmung – Erlo¨schen durch Freistellung von der Arbeits-
pflicht – Einheitlicher gesetzlicher und tariflicher Urlaubs-
anspruch
BGB § 362 Abs. 1, § 366; BUrlG §§1,3 Abs. 1, § 7 Abs. 3 und
Abs. 4, § 13 Abs. 1; MTV fu¨r das Installateur- und Heizungsbau-
er-, Klempner-, Beha¨lter- und Apparatebauer-Handwerk NRW
vom 13. 8. 2007 (MTV) §§ 6, 7, 8, 9
Differenziert eine Regelung in einem Arbeits- oder Tarifver-
trag hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs nicht
zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und einem u¨ber-
gesetzlichen Mehrurlaub, liegt i. H. des gesetzlichen Urlaubs
Anspruchskonkurrenz mit der Folge vor, dass ein Arbeitgeber
mit der Freistellung des Arbeitnehmers von der Verpflich-
tung zur Arbeitsleistung auch ohne ausdru¨ckliche oder kon-
kludente Tilgungsbestimmung beide Anspru¨che ganz oder
teilweise erfu¨llt.
BAG-Urteil vom 7. 8. 2012 – 9 AZR 760/10
u
DB0567888
Die Parteien streiten noch u¨ber einen Anspruch der Kla¨gerin auf Ur-
laubsabgeltung fu¨r weitere zehn Urlaubstage aus dem Jahr 2007 sowie
einen Anspruch auf Zahlung restlichen Urlaubsgelds fu¨r dieses Jahr. In
dem fu¨r das Arbeitsverha¨ltnis aufgrund vertraglicher Bezugnahme gel-
tenden Manteltarifvertrag fu¨r das Installateur- und Heizungsbauer-,
Klempner-, Beha¨lter- und Apparatebauer-Handwerk im Land Nord-
rhein-Westfalen vom 13. 8. 2007 (
MTV
), heißt es u. a. in § 8 Urlaubs-
dauer: „1. Der Urlaub betra¨gt fu¨r alle Arbeitnehmer 30 Arbeitstage.“
820
Arbeitsrecht
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013
1...,62,63,64,65,66,67,68,69,70,71 73,74,75,76,77,78,79,80,81,82,...94