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9 / 2013
KURS
PFLEGEFALL DEUTSCHLAND
Demografiewandel als
Chance begreifen
L
eider jedoch zeichnen sich die Schattenseiten der de-
mografischen Veränderung bereits deutlich auf der
gesamtwirtschaftlichen Ebene ab: Nach Bevölkerungs-
vorausrechnungen des Statistischen Bundesamtes wird die
Bevölkerungszahl in Deutschland von heute 82 auf unter
65 Millionen Menschen schrumpfen. Der Altenanteil, das
heißt der Anteil über 67-Jährigen an je 100 Erwerbsfähigen
in Deutschland wird von 29 auf 59,4 Prozent steigen. Die
junge Generation muss also immer mehr Geld aufbringen,
um die ältere zu finanzieren.
Diese Entwicklung bringt die umlagefinanzierten „Genera-
tionenverträge“ in der Kranken-, Renten-, Pflege- und Ar-
beitslosenversicherung immer stärker aus der Balance. So
hat das Institut für Gesundheits-System-Forschung in Kiel
(IGSF) errechnet, das die GKV bis zum Jahr 2060 nahezu
dreimal so hohe Leistungsausgaben als heute verzeichnen
wird. Denn je älter ein Mensch wird, desto höher sind die
Gesundheitsausgaben für ihn: Ein 80-jähriger Mann benö-
tigt beispielsweise etwa achtmal so hohe Aufwendungen für
Arzneimittel wie ein 40-Jähriger.
Gesetzliche Absicherung nur ein Teilkasko
Bislang wurde dem zunehmenden Finanzierungsproblem
der gesetzlichen Sozialsysteme mit Beitragssatzerhöhungen,
Anhebung der Versicherungspflichtgrenze, zunehmenden
Leistungseinschränkungen und steigenden Steuerzuschüs-
sen zu Leibe gerückt. Was 1950 mit einem Beitragssatz von
4,7 Prozent für die gesetzliche Krankenversicherung begann,
beläuft sich heute auf 15,5 Prozent. Dem gegenüber stehen
deutliche Leistungskürzungen, die zu Versorgungslücken
bei jedem Einzelnen führen. So muss der gesetzlich Kran-
kenversicherte z.B. seit 1993 für Arzneimittel zuzahlen, auf
Erstattungen bei großen Zahnbrücken verzichten und seit
1997 das Brillengestell selber bezahlen. Das führte in den
vergangenen Jahren zu einer verstärkten Nachfrage nach
Krankenzusatzversicherungen.
Bei der Pflegeversicherung ist die Entwicklung ebenfalls gra-
vierend: Während es heute 2,5 Millionen Pflegebedürftige
in Deutschland sind, werden es im Jahr 2050 rund 4,5 Mil-
lionen Menschen sein. Ein einfaches Rechenbeispiel zeigt,
dass die gesetzliche Absicherung in der Pflege auch nur eine
Teilkasko ist und eine große finanzielle Lücke im Pflegefall
bei Pflegestufe 3 und Pflegeheimunterbringung bleibt.
Monatliche Pflegeheimkosten
3.400 EUR
Leistungen aus der gesetzlichen
Pflegepflichtversicherung (Pflegestufe 3)
––––––––––
Verbleibender Eigenanteil
1.850 EUR
Nach 5 Jahren
ca. 120.000 EUR
Nach 7 Jahren
ca. 160.000 EUR
Nach 15 Jahren
ca. 340.000 EUR
Quelle:MünchenerVerein
1.550 EUR
Beispiel einer Lücke im Pflegefall
Volkswirtschaftlich wie auch auf der individuellen
Ebene bringt der
demografischeWandel
unserer
Gesellschaft sowohl Licht als auch Schatten mit sich.
Das Positive vorweg: Wir werden immer älter und
können auch dank des medizinischen Fortschritts
den Ruhestand lange aktiv genießen. Nicht umsonst
gelten die Senioren inzwischen als wichtiger Wachs-
tumsfaktor der Tourismusbranche: Die ab 60-Jähri-
gen sind die einzige Altersgruppe, für die von TNS
infratest bis zum Jahr 2020 eine vermehrte Reiseakti-
vität prognostiziert wurde.
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