RiFG Dipl.-Fw. (FH) Dr. Christian Graw, Du¨sseldorf
Der Teilbetriebsbegriff im UmwSt-Recht nach
dem UmwStE 2011
u
DB0589238
I. Einleitung
1
Der Begriff des Teilbetriebs hat im Ertragsteuerrecht, speziell
im UmwSt-Recht, große Bedeutung. Im Rahmen der Auf- und
Abspaltung auf andere Ko¨rperschaften (§ 15 UmwStG) sowie
der Einbringung in KapGes. und PersGes. (§§ 20, 24
UmwStG) muss eine betriebliche Einheit regelma¨ßig diese
(Mindest-)Anforderung erfu¨llen, damit ein Besteuerungsauf-
schub erreicht werden kann. Indes fehlt zumindest im nationalen
Recht – nicht aber im europa¨ischen Sekunda¨rrecht (vgl. Art. 2
Buchst. j Fusionsrichtlinie) – eine Legaldefinition dieses Rechts-
begriffs. Vor diesem Hintergrund ist die Auslegung des Tat-
bestandsmerkmals „Teilbetrieb“ eines der Kernprobleme des
steuerlichen Restrukturierungsrechts. Dies gilt umso mehr, als
das UmwStG durch das SEStEG vom 7. 12. 2006 grundlegend
reformiert worden ist, was zu einer Verschiebung wesentlicher
Parameter gefu¨hrt hat. So stellt sich vor allem die Frage, ob (und
inwieweit) nunmehr der von der Rspr. entwickelte nationale
Teilbetriebsbegriff oder der – wesentlich kontura¨rmere – euro-
pa¨ische Teilbetriebsbegriff der Fusionsrichtlinie gilt. Die Fi-
nanzverwaltung hat im UmwStE 2011 vom 11. 11. 2011 den
Standpunkt eingenommen, der europa¨ische Teilbetriebsbegriff
gelte umfassend in nationalen wie grenzu¨berschreitenden Um-
wandlungskonstellationen. Dieser Auffassung kann – wie noch
zu zeigen sein wird – nicht gefolgt werden.
II. Vergleich des nationalen und des europa¨ischen Teil-
betriebsbegriffs
Bevor die Frage beantwortet werden kann, wie der umwand-
lungssteuerrechtliche Teilbetriebsbegriff auszulegen ist, sind das
nationale sowie das europa¨ische Begriffsversta¨ndnis kurz zu skiz-
zieren und gegenu¨berzustellen. Aufgrund der umfangreichen
Kasuistik mu¨ssen vertiefende Hinweise an dieser Stelle allerdings
unterbleiben
2
.
1. Nationaler Teilbetriebsbegriff
Die Rspr. hat eine Definition des Teilbetriebs entwickelt, die im
Grundsatz u¨ber ihren urspru¨nglichen Anwendungsbereich – die
Teilbetriebsvera¨ußerung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG –
hinaus Geltung im gesamten Ertragsteuerrecht beansprucht.
Nach diesem klassischen (nationalen) Teilbetriebsbegriff ist ein
Teilbetrieb ein organisch geschlossener, mit einer gewissen
Selbststa¨ndigkeit ausgestatteter Teil eines Gesamtbetriebs, der –
fu¨r sich betrachtet – alle Merkmale eines Betriebs i. S. des EStG
aufweist und als solcher lebensfa¨hig ist
3
. Teilbetriebsbestimmen-
de Merkmale sind die Selbststa¨ndigkeit des Betriebsteils „nach
innen“ und seine Lebensfa¨higkeit „nach außen“
4
. Besondere Be-
deutung kommt dem Merkmal der Selbststa¨ndigkeit zu, das er-
fordert, dass die dem Teilbetrieb gewidmeten Wirtschaftsgu¨ter
in ihrer Zusammenfassung einer Ta¨tigkeit dienen, die sich von
der u¨brigen gewerblichen Ta¨tigkeit – in sachlicher oder o¨rtlicher
Hinsicht – deutlich unterscheidet
5
. Dabei ist grds. auf die Pers-
pektive des den Teilbetrieb u¨bertragenden Rechtstra¨gers („Ver-
a¨ußerersicht“) zum Zeitpunkt der U¨ bertragung abzustellen
6
. Un-
geachtet dieser Definition des begu¨nstigten Betriebsteils setzt
die steuerliche Privilegierung des zu beurteilenden Vorgangs
nach nationalem Begriffsversta¨ndnis die U¨ bertragung des Teil-
betriebs im Ganzen voraus. Dafu¨r bedarf es der U¨ bertragung des
wirtschaftlichen Eigentums i. S. von § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO an
allen wesentlichen Betriebsgrundlagen des Teilbetriebs in einem
einheitlichen U¨ bertragungsakt
7
. Aufgrund des Gebots der norm-
spezifischen Auslegung
8
ist die Wesentlichkeit im umwand-
lungssteuerrechtlichen Kontext – entgegen der Rspr. zu § 16
EStG – allein nach funktionalen Kriterien zu bestimmen; auf
das Vorhandensein stiller Reserven kommt es nicht an
9
.
2. Europa¨ischer Teilbetriebsbegriff
Gem. Art. 2 Buchst. j der Fusionsrichtlinie ist ein Teilbetrieb
die Gesamtheit der in einem Unternehmensteil einer Gesell-
schaft vorhandenen aktiven und passiven Wirtschaftsgu¨ter, die
in organisatorischer Hinsicht einen selbststa¨ndigen Betrieb, d. h.
eine aus eigenen Mitteln funktionsfa¨hige Einheit, darstellen.
Dabei sollte es vor dem Hintergrund der bezweckten ertragsteu-
erlichen Privilegierung – entgegen einer weit verbreiteten Auf-
fassung
10
– ebenfalls auf den Blickwinkel des u¨bertragenden
Rechtstra¨gers ankommen
11
. Zentrales Element des europa¨ischen
Begriffsversta¨ndnisses ist die Funktionsfa¨higkeit des Teil-
betriebs
12
. Die u¨bertragenen Unternehmensteile mu¨ssen als
selbststa¨ndiges Unternehmen funktionsfa¨hig sein, ohne dass sie
hierfu¨r zusa¨tzlicher Investitionen oder Einbringungen bedu¨rfen.
Die Teilbetriebseinbringung als solche erfordert nach der Rspr.
des EuGH im Grundsatz die U¨ bertragung sa¨mtlicher aktiver
und passiver Wirtschaftsgu¨ter
13
.
Dipl.-Fw. (FH)
Dr. Christian Graw
ist Richter am FG Du¨sseldorf.
1 Der Beitrag basiert auf
Graw
, „Der Teilbetrieb im UmwSt-Recht nach dem
UmwStE 2011“, IFSt-Schrift Nr. 488, 2013.
2 Vgl. dazu etwa
Herlinghaus
, in: FS Meilicke, 2010, S. 159;
Blumers
, BB 2011
S. 2204;
Goebel/Ungemach/Seidenfad
, DStZ 2009 S. 354.
3 St. Rspr. des BFH, z. B. Urteil vom 5. 6. 2003 – IV R 18/02, BStBl. II 2003
S. 838 (839) = DB 2004 S. 118; s. auch R 16 Abs. 3 Satz 1 EStR 2008.
4
Claß/Weggenmann
, BB 2012 S. 552.
5 BFH-Urteil vom 4. 7. 1973 – I R 154/71, BStBl. II 1973 S. 838 = DB 1973
S. 2173; vom 15. 3. 1984 – IV R 189/81, BStBl. II 1984 S. 486 = DB 1984
S. 1331.
6 BFH-Beschluss vom 18. 10. 1999 – GrS 2/98, BStBl. II 2000 S. 123 =
DB 2000 S. 71; vom 7. 4. 2010 – I R 97/08, BStBl. II 2011 S. 467 = DB 2010
S. 878.
7 BFH-Urteil vom 12. 4. 1989 – I R 105/85, BStBl. II 1989 S. 653 = DB 1989
S. 1752.
8 Vgl. BFH-Urteil vom 31. 10. 1990 – I R 46/88, BStBl. II 1991 S. 370;
Herling-
haus
, a.a.O. (Fn. 2), S. 159 (161).
9 Vgl. BFH-Urteil vom 2. 10. 1997 – IV R 84/96, BStBl. II 1998 S. 104 = DB
1998 S. 169; vom 25. 11. 2009 – I R 72/08, BStBl. II 2010 S. 471 = DB 2010
S. 310; BMF-Schreiben vom 16. 8. 2000 – IV C 2 – S 1909 – 23/00, BStBl. I
2000 S. 1253 = DB 2000 S. 1939.
10
Claß/Weggenmann
, BB 2012 S. 552 (553);
Blumers
, DB 2001 S. 722 (725);
Herlinghaus
, a.a.O. (Fn. 2), S. 159 (171).
11
Schmitt
, in: Schmitt/Ho¨rtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, 5. Aufl. 2009, § 20
UmwStG Rdn. 96;
Patt
, in: Do¨tsch/Jost/Pung/Witt, KStG/UmwStG, § 20
UmwStG Rdn. 92;
Tho¨mmes
, in: FS Widmann, 2000, S. 583 (602).
12
Blumers
, BB 2008 S. 2041 (2042);
Claß/Weggenmann
, BB 2012 S. 552
(553).
13 EuGH-Urteil vom 15. 1. 2002 – Rs. C-43/00,
Andersen og Jensen
, FR 2002
S. 298; kritisch
Schumacher
, in: Ro¨dder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG,
2008, § 15 Rdn. 151;
Menner/Broer
, DB 2002 S. 815 (817).
DER BETRIEB | Nr. 19 | 10. 5. 2013
Steuerrecht
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