3. Wesentliche Unterschiede der Teilbetriebsbegriffe
An den zuvor aufgezeigten abstrakten Begriffsmerkmalen des
nationalen sowie des europa¨ischen Teilbetriebsversta¨ndnisses
zeigt sich, dass beide Begriffe einige Parallelen aufweisen. So
du¨rfte insbesondere das Merkmal der Lebensfa¨higkeit i. S. des
nationalen Teilbetriebsbegriffs dem Aspekt der Funktionsfa¨hig-
keit i. S. des europa¨ischen Begriffsversta¨ndnisses weitgehend
entsprechen
14
. Gleichwohl bestehen – in den Einzelheiten um-
strittene
15
– Unterschiede. Das europa¨ische Begriffsversta¨ndnis
ist insofern weiter, als sich die Ta¨tigkeit des Teilbetriebs nicht
von der Ta¨tigkeit des u¨brigen Unternehmens deutlich abheben
muss; die bloße organisatorische Selbststa¨ndigkeit reicht aus
16
.
Zudem genu¨gt aus der Sicht der Fusionsrichtlinie eine dauerhaf-
te und hinreichend abgesicherte Nutzungsu¨berlassung der Wirt-
schaftsgu¨ter des Teilbetriebs; die U¨ bertragung des (wirtschaft-
lichen) Eigentums an den wesentlichen Betriebsgrundlagen auf
den u¨bernehmenden Rechtstra¨ger ist nicht erforderlich, solange
nur die Funktionsfa¨higkeit des Teilbetriebs sichergestellt ist
17
.
Andererseits erscheint der europa¨ische Teilbetriebsbegriff enger,
soweit der EuGH im Grundsatz die U¨ bertragung sa¨mtlicher
aktiver und passiver – auch nicht betriebsnotwendiger – Wirt-
schaftsgu¨ter verlangt
18
. Nach nationalem Begriffsversta¨ndnis
mu¨ssen insbesondere passive Wirtschaftsgu¨ter, die keine wesent-
lichen Betriebsgrundlagen darstellen ko¨nnen, nicht mit u¨bertra-
gen werden
19
. Weiterhin stellt sich als nachteilig dar, dass Teil-
betriebe im Aufbau nach weit verbreiteter – aus teleologischen
Gru¨nden aber nicht zwingender
20
– Auffassung mangels Le-
bensfa¨higkeit von den Vergu¨nstigungen der Fusionsrichtlinie
ausgeschlossen sein sollen
21
, wohingegen der nationale Teil-
betriebsbegriff sie unstreitig erfasst
22
. Schließlich entha¨lt die Fu-
sionsrichtlinie keine Teilbetriebsfiktionen fu¨r Mitunternehmer-
anteile und 100%ige Beteiligungen an KapGes. wie § 15 Abs. 1
Satz 3 UmwStG. Im Ergebnis weist der Teilbetriebsbegriff der
Fusionsrichtlinie gegenu¨ber dem nationalen Teilbetriebsver-
sta¨ndnis nicht nur Erweiterungen, sondern auch Einschra¨nkun-
gen auf. Somit kann die Frage, ob aus Sicht des Stpfl. der natio-
nale Teilbetriebsbegriff oder das europa¨ische Begriffsversta¨ndnis
vorteilhaft ist, nicht pauschal beantwortet werden
23
. Ganz all-
gemein la¨sst sich allenfalls festhalten, dass der europa¨ische Teil-
betriebsbegriff tendenziell weniger streng sein du¨rfte
24
.
III. Umwandlungssteuerrechtlicher Teilbetriebsbegriff
1. Meinungsspektrum
Die Auslegung des Begriffs des Teilbetriebs im Rahmen der
§§ 15, 20, 24 UmwStG ist umstritten. Dies erkla¨rt sich ins-
besondere vor dem Hintergrund der mit dem SEStEG bewirk-
ten Europa¨isierung des UmwSt-Rechts. Das Meinungsspektrum
reicht von der einheitlichen Auslegung nach Maßgabe des natio-
nalen oder europa¨ischen Begriffsversta¨ndnisses bis hin zur ge-
spaltenen Auslegung.
a) Einheitliche Auslegung nach nationalem Begriffsversta¨ndnis
Da die Differenzierung zwischen inla¨ndischen Einbringungen
(§ 20 UmwStG 1995) und Einbringungen in der EU (§ 23
UmwStG 1995) im neuen Recht aufgegeben worden ist, wird
vereinzelt davon ausgegangen, dass der Teilbetriebsbegriff nun-
mehr einheitlich nach der Rspr. zu § 16 EStG auszulegen ist
25
.
Der deutsche Gesetzgeber habe nicht zum Ausdruck gebracht,
dass zwei unterschiedliche Teilbetriebsbegriffe anzuwenden sein
sollten oder dass ausschließlich der europa¨ische Teilbetriebs-
begriff gelten solle. Zudem verstoße eine gespaltene Auslegung
gegen europa¨isches Prima¨rrecht, da der europa¨ische Teil-
betriebsbegriff teilweise enger sei als das nationale Begriffsver-
sta¨ndnis, sodass in Einzelfa¨llen nationale Vorga¨nge steuerneu-
tral, sonst identische europa¨ische Vorga¨nge hingegen nicht steu-
erneutral durchgefu¨hrt werden ko¨nnten
26
.
b) Einheitliche Auslegung nach europa¨ischem Begriffsversta¨ndnis
Dagegen gilt nach einer weit verbreiteten Auffassung nunmehr
im Grundsatz einheitlich der europa¨ische Teilbetriebsbegriff
27
.
Dafu¨r wird zum einen die „systematische Integration“
28
des § 23
UmwStG 1995 in die Tatbesta¨nde der §§ 20, 21 UmwStG an-
gefu¨hrt. Der Gesetzgeber habe die Fusionsrichtlinie in nationa-
les Recht umsetzen wollen
29
. Ebenso werden die vera¨nderte
U¨ berschrift zu § 20 UmwStG (Einbringung von Unternehmens-
teilen), die der Terminologie der Fusionsrichtlinie entspricht,
sowie die Regelungen in § 20 Abs. 7 und 8 UmwStG, welche
auf Art. 10 und 11 Fusionsrichtlinie zuru¨ckgehen, ins Feld ge-
fu¨hrt
30
. Zudem wird auf die Gesetzesbegru¨ndung
31
verwiesen
32
.
Nach dem EuGH-Urteil in der Rs.
Leur-Bloem
33
sei der EuGH
fu¨r die Auslegung einer EU-Richtlinie auch in rein nationalen
Fa¨llen zusta¨ndig, sofern ein Mitgliedstaat bei der Umsetzung
einer Richtlinienbestimmung beschlossen habe, rein innerstaat-
liche Sachverhalte und Sachverhalte, die unter die Richtlinie fal-
len, gleich zu behandeln
34
.
c) Auffassung der Finanzverwaltung
Die Finanzverwaltung hat sich der einheitlichen Auslegung nach
dem europa¨ischen Begriffsversta¨ndnis im Grundsatz angeschlos-
sen. In Rdn. 15.02, 20.06 UmwStE 2011
35
rekurriert sie auf die
in Art. 2 Buchst. j Fusionsrichtlinie enthaltene Definition des
Teilbetriebs. Indes greift die Finanzverwaltung z. T. dann doch
auf den nationalen Teilbetriebsbegriff zuru¨ck, indem darauf hin-
gewiesen wird, dass zu einem Teilbetrieb alle funktional wesent-
lichen Betriebsgrundlagen (sowie dem Teilbetrieb nach wirt-
schaftlichen Zusammenha¨ngen zuordenbare Wirtschaftsgu¨ter)
geho¨ren. Die Voraussetzungen des Teilbetriebs seien nach Maß-
14
Herzig
, IStR 1994 S. 1 (4);
Tho¨mmes
, a.a.O. (Fn. 11), S. 583 (595).
15
Blumers
, BB 2011 S. 2204;
Beutel
, in: Schneider/Ruoff/Sistermann, UmwStE
2011, 2012, Rdn. 15.6.
16
Menner
, in: Haritz/Menner, UmwStG, 3. Aufl. 2010, § 20 Rdn. 95;
Claß/Weg-
genmann
, BB 2012 S. 552 (553).
17
Menner
, a.a.O. (Fn. 16), § 20 Rdn. 96;
Blumers
, DB 2001 S. 722 (725).
18
Widmann
, in: Widmann/Mayer, UmwG/UmwStG, § 20 UmwStG Rdn. R5;
Blumers
, DB 2001 S. 722 (725).
19
Mutscher
, in: Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 20 UmwStG
Rdn. 118.
20
Schumacher
, a.a.O. (Fn. 13), § 15 Rdn. 134;
Schumacher/Bier
, in: FGS/BDI,
Der UmwStE 2011, 2012, S. 273.
21
Schmitt
, a.a.O. (Fn. 11), § 20 UmwStG Rdn. 99;
Patt
, a.a.O. (Fn. 11), § 20
UmwStG Rdn. 95.
22 BFH-Urteil vom 1. 2. 1989 – VIII R 33/85, BStBl. II 1989 S. 458 = DB 1989
S. 1005.
23 Ebenso
Tho¨mmes
, a.a.O. (Fn. 11), S. 583 (600);
Mutscher
, a.a.O. (Fn. 19),
§ 20 UmwStG Rdn. 118.
24
Herlinghaus
, in: Ro¨dder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2008, § 20
Rdn. 58;
Goebel/Ungemach/Seidenfad
, DStZ 2009 S. 354 (362).
25 Im Ergebnis wohl
Do¨tsch/Pung
, DB 2006 S. 2763 (2764, Fn. 67), anders aber
nunmehr in: Do¨tsch/Jost/Pung/Witt, KStG/UmwStG, § 15 UmwStG
Rdn. 67 f.;
Hagemann/Jakob/Ropohl/Viebrock
, NWB-Sonderheft 1/2007
S. 34;
Schulze zur Wiesche
, DStZ 2011 S. 513 (516).
26
Mutscher
, a.a.O. (Fn. 19), § 20 UmwStG Rdn. 120.
27
Do¨tsch/Pung
, a.a.O. (Fn. 25), § 15 UmwStG Rdn. 68;
Nitzschke
, in: Blu¨mich,
EStG/KStG/GewStG, § 20 UmwStG Rdn. 25.
28
Herlinghaus
, a.a.O. (Fn. 2), S. 159 (175).
29
Claß/Weggenmann
, BB 2012 S. 552 (554).
30
Blumers
, DB 2010 S. 1670 (1672).
31 BT-Drucks. 16/3369 S. 1.
32
Weier
, DStR 2008 S. 1002 (1005).
33 EuGH-Urteil vom 17. 7. 1997 – Rs. C-28/95,
Leur-Bloem
, FR 1997 S. 685.
34
Weier
, DStR 2008 S. 1002 (1005).
35 BMF-Schreiben vom 11. 11. 2011 – IV C 2 – S 1978-b/08/10001
[2011/0903665], BStBl. I 2011 S. 1314 = DB 2012 S. 86 = DB0464115.
1012
Steuerrecht
DER BETRIEB | Nr. 19 | 10. 5. 2013